Die Wut auf VW ist gross. In der Politik, bei den Mitarbeitern, bei den Verbrauchern und sogar bei der Konkurrenz. Dass ausgerechnet das deutsche Vorzeigeunternehmen schlechthin mit Tricksereien und Manipulationen die Aufsichtsbehörden hinters Licht zu führen versucht hat, erschüttert und empört.

Und es macht Angst. Denn Volkswagen wird zu kämpfen haben, seinen gerade erst errungenen Platz als grösster Autobauer der Welt zu verteidigen. Und das kann handfeste Folgen haben – für die Arbeitsplätze in den deutschen VW-Werken, aber auch für die Beschäftigung in der zahlenmässig noch gewichtigeren Zulieferindustrie im Land.

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Personalwechsel soll Imageschaden mildern

Schwerer noch wiegt aber die Sorge, dass das Ansehen der deutschen Ingenieurskunst und der Wert des Labels «Made in Germany» ernsthaften und nachhaltigen Schaden nehmen könnten. Denn von beidem hängt unser aller Wohlstand ab.

Der rasante personelle Kehraus in Wolfsburg ist damit nicht nur die notwendige Konsequenz aus den möglicherweise kriminellen Machenschaften im Konzern, nicht nur ein Versuch der Schadensbegrenzung und die Chance, die amerikanischen Behörden eventuell milder zu stimmen: Er hat auch den Charakter einer symbolischen Selbstreinigung.

Politik trägt Mitschuld

Die Welt soll sehen, dass die deutsche Wirtschaft sogar auf eigene Verfehlungen rigoroser, moralischer und rechtschaffener reagiert als andere. Martin Winterkorn und die übrigen geschassten Vorstandskollegen sind in diesem Sinne Opfer, wenn auch keine unschuldigen, zum Wohle der deutschen Volkswirtschaft.

Doch wie steht es wirklich um die deutsche Tugendhaftigkeit? Die Politik hat fast durchweg mit Anerkennung und auch einer gewissen Erleichterung auf den personellen Befreiungsschlag bei Volkswagen reagiert. Manch einer zweifellos auch deshalb, weil er hofft, selbst so ungeschorener davon zukommen.

Denn die deutsche Politik ist mitverantwortlich für das Desaster. Sie hat jahrelang sehenden Auges zugelassen, dass die Abgastests in der Automobilindustrie mit der Realität so gut wie nichts zu tun haben. Mehr noch, sie hat durch ihr Agieren in Brüssel und anderenorts erst dafür gesorgt, dass Graubereiche entstanden sind, die Täuschungen und sogar Betrug ermöglichen.

Schöne Statistik verdient politische Milde

Ob nun Energiewende oder Klimaschutz – nur zu gern präsentieren sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Regierung auch in der Umweltfrage als globale Musterschüler. In der Praxis der politischen Normensetzung zählen die ökonomischen Interessen des «Autolandes» oft mehr als die umweltpolitischen Ambitionen.

Die Lobby der Autobauer versteht es seit Jahrzehnten geschickt, ihre ohnehin grosse volkswirtschaftliche Bedeutung so zu überhöhen, dass der Interessenfilz zwischen Politik und Kfz-Industrie längst so etwas wie eine Staatsräson geworden ist.

Der unausgesprochene Deal lautet: Wenn die Autokonzerne dafür sorgen, dass die Statistik stimmt und Deutschland sich als Heimat sauberer Verkehrstechnik rühmen kann, schaut die Politik nicht so genau hin. Eine Deutschland AG der besonderen Art.

Dies erklärt, neben dem allgemeinen Imageschaden, auch den Ärger der deutschen Konkurrenten von VW. Denn mit dieser für alle so praktischen Verfahrensweise dürfte es jetzt erst einmal vorbei sein. Und damit auch mit vielen der bislang legalen Optimierungsmöglichkeiten.

In Umfragen noch umweltbewusst kaufen Deutsche gerne SUVs

Schon, um nicht in den Ruf zu kommen, sich an der Täuschung der Verbraucher zu beteiligen, wird die Politik handeln und für strengere und realitätsnähere Testverfahren auch in Europa sorgen müssen.

Dies wird nicht nur für ernüchternde Zahlen auf dem einen oder anderen technischen Datenblatt sorgen, sondern möglicherweise auch für höhere Kosten. Und die werden über kurz oder lang auch bei den Autokäufern landen, nämlich dann, wenn zusätzliche Technik eingesetzt werden muss, um die vorgegebenen Grenzwerte auch bei strengeren Prüfungen zu erreichen.

Ist es den deutschen Autokäufern mit ihrem Umweltbewusstsein ernst, werden sie das hinnehmen. Schliesslich werden Energieeffizienz und sparsamer Verbrauch in Umfragen immer wieder als wichtige Kaufmotive genannt. In der Realität allerdings ist der Trend zu mehr PS und grösseren Wagen ungebrochen.

Fast jede vierte Neuzulassung in diesem Jahr wird ein SUV sein – nicht unbedingt ein Ausweis gelebten Umweltbewusstseins. Es scheint, als gibt es in Deutschland eine grosse Koalition der Scheinheiligkeit. Nicht nur Volkswagen muss umdenken!

Die Kontributoren sind externe Autoren und wurden von bilanz.ch sorgfältig ausgewählt. Ihre Meinung muss nicht mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen.