Langsam geht der Selbstversuch auf die Zielgerade. Und noch immer ist die Frage nicht beantwortet: Ist es möglich, ein hartes Lauftraining über Wochen zu absolvieren, bei 100 Prozent veganer Ernährung? Langsam lichtet sich jedoch der Smog. In Woche drei war es nicht länger eine Frage der schweren Beine. Es wurde plötzlich eine Frage des Kopfes. Aus vielen Gründen.

Gerade mal 30 Kilometer

Reden wir nicht lange drumherum, ich muss ein paar Dinge anerkennen: Der vegane Ultra-Läufer Scott Jurek ist eine coole Sau. Er hat dieser Tage einen neuen Rekord beim Appalachian Trail in den USA aufgestellt. Jurek ist 3500 Kilometer gelaufen, täglich im Schnitt 84, dabei hat er 156’970 Höhenmeter bewältigt, alles ohne tierische Nahrung. Und ich Lappen kriege mit Soja und Früchten gerade mal 30 Kilometer hin. Was für eine Niederlage.

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Spass beiseite. Scott Jurek ist eine Ausnahmeerscheinung, die viel Respekt verdient. Punkt. Diese Nachricht machte etwas mit meinem Kopf. Ebenso wie ein Bericht des ARD-Magazins «Report Mainz». Ein erschütternder Beitrag darüber, wie ein Wurstfabrikant mit Tieren umgeht. Ein Irrsinn, der mir wirklich die Kraft zum Laufen nahm. Nennen Sie mich ein veganes Weichei, aber ich musste meinen Lauf in der Tat auf den Abend schieben. Und ich fühlte mich nach diesen Bildern deutlich besser mit der veganen Ernährung.

Die vegane «Community» hilft weiter

Die dritte Komponente, die meinen Kopf beschäftigte, waren viele Debatten im Internet. In den sozialen Netzwerken war gerade meine Kolumne «Schlapp wie ein Turnschuh» ein grosses Thema. In Facebook-Gruppen wie «Vegan in Topform» oder «Top Athletes Vegan» stellte ich mich vielen Diskussionen. Und ich bin fest der Meinung: Wer sich mit dem Thema wirklich ernsthaft auseinandersetzen will, wer wirklich mitreden will, der muss sich diesem Trend unserer Zeit stellen. Diese und andere Quellen können hilfreich sein, sich umfassend ein eigenes Bild zu machen.

Angenehm bei diesen beiden Gruppen ist: Nicht das Missionieren steht hier im Vordergrund, die Community hilft sich gegenseitig. Auch wenn die Aggressivität vieler Veganer oft nervt, auch wenn oft ein beinahe religiöser Ansatz eine faire Debatte fast unmöglich macht, ist es zu einfach zu behaupten: «Vegan geht nicht, vegan ist gefährlich, vegan kann der Körper nicht, vegan ist nicht natürlich.»

Bewusster Ernähren auf jeden Fall

In der Tat gibt es einen Aspekt, der die ganze Diskussion um vegane Ernährung und natürlich auch diesen Selbstversuch völlig absurd macht: Wir reden hier über ein Luxusproblem. Und nur in einem Land wie Deutschland ist es überhaupt möglich, diese Debatte zu führen. In Ländern, in denen jedes Jahr Millionen von Kindern verhungern, stellt man sich nicht die Frage, ob es ethisch okay ist, eine Kuh zu essen. Die afrikanischen Läufer verbessern einen Rekord nach dem nächsten, nicht weil sie auf ihre Ernährung achten, sondern weil sie wissen, dass sie von den Preisgeldern ganze Familiengenerationen ernähren können. Und dieser Fakt ist nicht diskutierbar. Nicht mit mir.

Egal, was nach der letzten Woche dieses veganen Laufversuchs als Ergebnis zu verzeichnen ist, eines ist für mich bereits heute klar: Sollte ich doch wieder Fleisch essen, so werde ich mir einen Bauern in der Nähe suchen, von dem ich weis, wie er mit den Tieren umgeht. Mein Kaffee wird keine Kuhmilch mehr bekommen, die Sojaalternative finde ich leckerer. Meine Kochkünste sind um einige vegane Rezepte reicher. Viel wichtiger ist aber folgende Erkenntnis:

Wer den Versuch startet, sich vegan zu ernähren, und dabei Sport treibt, wird mehr Klarheit im Kopf bekommen. Er wird wieder lernen, auf den eigenen Körper zu hören. Wird sensibler mit sich und der Umwelt umgehen. Auf den Punkt: Alle Ratschläge der erfahrensten Veganer sind nice to have, aber am Ende doch nur ein Reiskorn im Tofuland. All die Messungen und Hinweise der Ärzte sind wertvoll, wissenschaftlich und logisch, aber nur ein kleiner Ausschlag auf der EKG-Kurve.

Die eigenen Ratschläge vergessen

Ich habe mir über Wochen einen Overload an Debatten und Tipps gegeben, mein Kopf kreiste um Sojabohnen und verlorene Muskelmasse. Bis mir völlig klar wurde: Wie sollen meine Beine PS auf die Strasse pressen, wenn mein Kopf die Energie braucht, um das richtige Essen zu finden? Wie sollte ich Höchstleistungen bringen, wenn ich mental zwischen schwarzen Vitamin-B-12-Löchern und fehlendem Sommergrillen schwankte?

In vielen Kolumnen habe ich es bereits aufgeschrieben: «Hör auf das, was dein Körper dir sagt. Nur das ist am Ende richtig für dich!» Und was mache ich seit drei Wochen? Ich höre nicht mehr auf den Körper. Ich habe nicht einmal gemerkt, dass er gegen das Heuschnupfenmittel, das ich seit Wochen einnehme, mit Schlappheit und Müdigkeit reagierte. Ich hörte es aus allen Ecken: «Du musst dies, du musst das. Achtung, das geht nicht. Davon hast du keine Ahnung. Du Selbstdarsteller kannst nix, du musst es so und auch so machen.» Wahnsinn.

Auf den Körper hören

Und wissen Sie was? Seit einer Woche lasse ich wieder die Kohlehydrate am Abend weg. Plötzlich schlafe ich besser, und meine Beine werden gerade wieder top. Die Zeiten werden schneller. Tschüss, ihr Cabs-Bomben am Abend! Ich lasse das Heuschnupfenmittel weg, und die Müdigkeit ist verflogen. Ich trinke keine gesunden grünen Smoothies mehr, die mir schwer im Magen lagen, sondern Wasser. Wunderbar klares Wasser. Und ich fühle mich leicht wie eine Feder. Ich trinke meinen Kaffee mit Sojamilch, verzichte auf das Wundermittel Matcha, der Kaffee knallt mich wach und macht mich fit. Amaranth ist ein geiles Zeug, aber Walnüsse sind geiler im Sojajoghurt mit Früchten. Zehn Tomaten mit Zwiebeln und Essig und Öl am Abend sind lässiger als ein Salat mit Räuchertofu.

Vegan und Sport kann unheimlich viel. Es kann den Kopf öffnen. Es kann bewusst machen, dass wir endlich lernen, sensibel mit unserem Körper umzugehen, und dass wir endlich begreifen: Vegan oder nicht vegan, das ist hier nicht die Frage. Die Frage ist, was uns guttut. Die Antwort ist, dass uns der Körper das alles sagen kann. Wenn wir zuhören können. So läuft es.

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