Wie in Goethes «Zauberlehrling» rufen wir «Geister» herbei, die ein Eigenleben entwickeln und uns kontrollieren. Gedankenkarussell und Abwärtsspirale gepaart mit Stress, Konflikten und Fehlentscheidungen sind die Folge. Das gilt es zu verhindern. Wir rufen Geister nicht mit Zauberformeln, sondern mit unseren Gedanken: «Das geht schief.» «Der wird mich enttäuschen.» «Die Woche wird stressig.» Oft reicht ein kleiner Impuls oder ein sogar vernünftig klingender Gedanke wie «sei wachsam», und schon verändert sich etwas. Man wird vorsichtiger, erwartet weniger und sichert sich doppelt ab.
Es ist ein Irrtum, zu glauben, wir beobachteten die Realität. In Wahrheit erschaffen wir sie mit. Unser Gehirn ist evolutionär auf mögliche Gefahren fokussiert. Der sogenannte Negativity-Bias sorgt dafür, dass negative Informationen stärker wahrgenommen werden als positive – und man sich stärker daran erinnert. Das war überlebenswichtig, als wir noch in Höhlen lebten. In der heutigen turbulenten Welt führt er dazu, dass unser mentales Betriebssystem auf Alarm programmiert bleibt – auch ohne akute Gefahr.
Viele Führungskräfte sind sich der Kraft ihrer Gedanken nicht bewusst. Sie achten auf Worte, auf Verhalten, auf Wirkung, aber das Fundament all dessen bleibt unreflektiert: der innere Dialog. Die Geschichte, die man sich selbst erzählt, bevor man handelt oder eben nicht handelt. Über die Zeit hinweg entwickeln sich Muster. Uns prägt ein bestimmter Blick auf Menschen, eine gewisse Haltung gegenüber Veränderungen sowie eine stille Erwartung an Leistung und Engagement. Man nennt es Erfahrung, doch manchmal ist es bloss Gewohnheit, gespeist aus früheren Enttäuschungen oder unbewältigten Fehlern. Das alles bestimmt das innere Drehbuch.
Gerade der Führungsalltag besteht aus Problemen, Worst-Case-Szenarien und Unvorhergesehenem. Kein Wunder, dass unser Gefahrenradar Bedenken, Skepsis und Sorgen meldet. Negatives Denken ist hoch ansteckend und schafft eine Atmosphäre von Unsicherheit und Angst. Mikromanagement, Absicherungsrituale und lähmende Entscheidungsvermeidung sind die Folge.
Die Gastautorin
Katja Unkel ist Gründerin der Firma Managing People AG, die Führungskräfte und Organisationen berät, coacht und trainiert.
Wer führen will, muss nicht alles wissen. Aber er oder sie muss wissen, was in einem vorgeht. Welche Denkmuster haben sich eingeschlichen? Welche Stimmen im Kopf sind lauter als andere? Was glaube ich, ohne es wirklich zu wissen?
Mentale Hygiene ist kein spiritueller Luxus, sondern ein tägliches Führungsinstrument. Es ist die Fähigkeit, die eigenen Denkmuster zu entlarven und zu verändern. Bewusstmachung ist der erste Schritt: Welche Sätze wiederholen sich in stressigen Situationen? Wie spreche ich innerlich über mich und wie über andere? Die zweite Stufe ist mentale Klarheit mit der Frage: Was ist neutrale Beobachtung und was ist Interpretation? Als dritte Stufe kommt mentale Führung. Hier zählt die bewusste Entscheidung, welche Haltung ich einnehmen will: weder negativ noch naiv-positiv, sondern lösungsorientiert, zugewandt und professionell.
Führungskräfte sind nicht nur Vorbilder im Verhalten, sondern auch im Denken. Wer mit Klarheit und Zuversicht denkt, schafft Vertrauen und Raum für Kreativität und Innovation. Wer hingegen seine Geister ungebremst wüten lässt, darf sich nicht wundern, wenn andere blockieren oder sich zurückziehen. Manchmal hilft schon eine kleine gedankliche Intervention: Was, wenn es dieses Mal anders ist? Was, wenn es gut ausgeht? Was, wenn Vertrauen sich lohnt? Wer es probiert, merkt sofort den Unterschied. Es lohnt sich.