Der Unterschied ist das Koffein. Schon als Tom Naratil 2015 die Posten des Finanzchefs und des Chief Operating Officers zusammen bekleidete, war seine Dauerbetankung mit Kaffee und Red Bull legendär. «Ich brauche erst mal einen Kaffee», sagt er dann auch an diesem kalten Februarnachmittag, an dem er erstmals zusammen mit seinem neuen Kollegen Martin Blessing ein Hintergrundgespräch zulässt, zur Begrüssung.

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Seit dem 1. Februar führen die beiden als Co-Chefs Wealth Management die UBS-Herzkammer. Doch Blessing winkt ab. Bislang war er Schweiz-Chef, da lag sein Radius vorrangig zwischen Genf und Rorschach. Jetzt erkundet er sein neues Vermögenverwaltungsreich, in dem die Sonne nie untergeht – und da verzichtet er auf den Koffein-Shot: «Jetlag und Kaffee: Das passt nicht gut zusammen.»

Grosse Harmonieshow bei Tom Naratil und Martin Blessing

Wer nach anderen Unterschieden sucht, braucht schon eine sehr feine Lupe. Tom und Martin, wie sie sich gegenseitig nennen, liefern die grosse Harmonieshow. Blessing hat bereits zu Jahresbeginn sein Büro im dritten Stock am Zürcher Talacker bezogen, ganz nah bei Konzernchef Sergio Ermotti. Naratil ist zur Konzernleitungssitzung aus seinem Büro im Herzen Manhattans eingeflogen. Das WEF-Schaulaufen in Davos überliess er dem Kollegen, was schon zu erstem Getuschel unter den Mitarbeitern führte: Ist Blessing etwa wichtiger?

«Ich musste arbeiten, Martin konnte sich amüsieren», witzelt Naratil. «Wenn Tom so viel arbeitet, profitiere ich auch: Wir haben jetzt ja den gleichen Bonus-Pool», grinst Blessing zurück. Ein Griff an den Arm hier, ein zustimmendes Lächeln dort. «Wir sind nun für mehr als vier Milliarden Reingewinn verantwortlich», betont Tom dann gravitätisch aus tiefer New Yorker Kehle. «Da dürfen wir es nicht vermasseln.» Martin sucht zwar manchmal nach der richtigen Übersetzung («What does Schnittstelle mean?»), doch obwohl er im Gegensatz zu Naratil mit dessen 17 UBS-Jahren erst seit gerade zweieinhalb Jahren an Bord ist, gibt er sich nicht unterwürfig. Und beiden schiesst ein Satz aus dem Mund, bei dem sich nicht zuordnen lässt, wer ihn zuerst gesagt hat: «Wir schaffen es gemeinsam – oder wir scheitern gemeinsam.»

Sergio Ermottis grösste Wette

In der Tat. Denn der Mann, der sie auf ihre neue Mission geschickt hat, lässt in einem Punkt keinen Zweifel: «Wenn sie nicht zusammen Erfolg haben, wird keiner Erfolg haben.» Für Bankchef Sergio Ermotti ist die Zusammenlegung der globalen Vermögensverwaltung mit dem US-Geschäft die grösste Wette der letzten Phase seiner Amtszeit – und ein grosses Risiko. Schon einmal lähmte eine Mammutsparte die Bank: Vier Jahre lang, von 2005 bis 2009, wurden die beiden Wealth-Management-Einheiten zusammen geführt, zusätzlich war das Schweiz-Geschäft dabei. Dann wurde das Grossexperiment stillschweigend wegen Erfolglosigkeit begraben. Und auch mit Co-Chefs hat die UBS bisher eher bescheidene Erfahrungen gemacht. 2009 hatte sie zwei Investment-Banking-Chefs und ebenfalls eine Doppelspitze von Wealth Management und Schweiz-Geschäft. Beide hielten nur ein Jahr.

Jetzt muss Ermotti nicht nur zeigen, dass er es besser macht. Vor allem will er dem Markt beweisen, dass die Bank wirklich der weltgrösste Vermögensverwalter ist. «Die Kunden und unsere Investoren unterstützen diesen Schritt», betont der 57-Jährige. Im Oktober hatte er gegenüber Bloomberg geklagt, dass Analysten, Rating-Agenturen und Medien die UBS noch immer als Investmentbank wahrnähmen: «Total lächerlich» sei das – und drücke auf die Aktie. «Wir sind die teuerste Investmentbank und der billigste Asset Manager der Welt.» Ende Jahr zog die Aktie zwar leicht an, doch seit dem Absturz Anfang Februar zuckt sie wieder um die triste 17-Franken-Marke.

Sergio Ermotti und Axel Weber
Quelle: Reuters

Von der luftigen Bewertung eines reinen Wealth Managers wie Julius Bär ist die UBS weit entfernt – diese wird an der Börse zum 18fachen des Jahresgewinns gehandelt, bei der UBS ist es Faktor 13. «Es gibt in der Führung eine Frustration über den zu tiefen Kurs», sagt ein langjähriges Konzernleitungsmitglied. Auf 26 Franken hatte Ermotti das Kursziel Ende 2015 beziffert. «Nicht nur aus meiner Sicht sind wir auch heute noch unterbewertet», wiederholt er gegenüber BILANZ.

UBS baute als erste Bank radikal um

Der Verdruss ist gross. Die UBS setzte vor fünfeinhalb Jahren als erste globale Bank auf den Radikalumbau mit dem drastischen Abbau des Investment Bankings. Der Kurs sprang von 10 auf 17 Franken – und verharrt seitdem störrisch in der wenig ambitionierten 15-bis-20-Franken-Zone. Als Ermotti im September 2011 antrat, lag die Bank beim Börsenwert weltweit auf Platz 23, jetzt belegt sie Platz 26, obwohl sie mehr als 20 Milliarden zugelegt hat. Die anderen sind eben schneller gewachsen – die Amerikaner um ihren Koloss J.P. Morgan etwa, aber auch die Europäer mit stetem Retailgeschäft wie Santander oder BNP.

Dass die Bank operativ stark unterwegs ist, die höchste Kapitalquote der europäischen Grossbanken ausweist und als Hort der Superreichen weltweit unangefochten die Nummer eins ist, wird fast ausgeblendet. Kostensenkungsprogramme, bei Analysten beliebt, will Ermotti nicht weiter ankündigen, denn seine Botschaft lautet: Die Sanierung ist abgeschlossen – anders als bei der CS, die mit ihrem Umbau zwei bis drei Jahre hinter der UBS liegt und zudem im Kerngeschäft Wealth Management auf Regionalisierung – Spötter sagen: Verzettelung – setzt. Seit 2012 hat die Bank die gleiche Strategie: verdienstvoll sicher, aber in dieser schnelllebigen Zeit auch wenig aufregend. Die hektische Investorenschar sucht immer neue Kicks. Als beim langjährigen Grossaktionär GIC aus Singapur letztes Jahr der Chief Investment Officer wechselte, verkaufte der kurzerhand die Hälfte seiner 5,1-Prozent-Beteiligung – dem UBS-Papier traute er offenbar keine grossen Sprünge zu.

Leitwolf der globalen Bankenszene

Es geht dabei auch um Ermottis ganz persönliche Erfolgsgeschichte. Eigentlich hatte er geplant, nach der Sanierung abzutreten. Er wollte die UBS nach der Nahtoderfahrung 2008 zu Apple oder IBM der Finanzindustrie machen – auferstanden aus Ruinen. «Das Rückspiel hat begonnen», sagte er vor drei Jahren gegenüber BILANZ. Demnach wäre im nächsten Jahr Schluss gewesen – mit dem erfolgreichen Abschluss der Sanierung. Jetzt ist eher die Rede von Eishockey: Das letzte Drittel hat begonnen. Im vergangenen Jahr hatte VR-Präsident Axel Weber verkündet, bis 2022 bleiben zu wollen, gemeinsam mit Ermotti. Damit hat sich die Führung erst mal Ruhe verschafft.

Auch J.P.-Morgan-Vormann Jamie Dimon, Leitwolf der globalen Bankenszene, gönnte sich gerade die Fünf-Jahres-Zielmarke – als Kontrastprogramm zu Goldman-Sachs-Langzeit-Lenker Lloyd Blankfein, der Nachfolgespekulationen mit dem Satz abtut: «Mein Rücktritt liegt heute näher als gestern.»Doch wie es dann wirklich kommt, ist noch offen – dafür sind die Personalien zu eng miteinander verwoben. Lange war es bei der UBS Tradition, dass der CEO zum VR-Präsidenten aufsteigt. Heute mag das nicht mehr ganz zeitgemäss sein, doch verboten ist es nicht, wie der Fall Nestlé zeigt. Für den UBS-Verwaltungsrat ist jedoch ein direkter Wechsel des CEO auf den Präsidentensessel keine Option – Präsident Weber sieht sich da der deutschen Sitte einer «Cooling-off period» – einer zweijährigen Abkühlphase – verpflichtet.

Ein Szenario ist, dass Ermotti nach Abschluss des neuen Wachstumsplans in drei Jahren abtritt und dann zwei Jahre später das Präsidium übernimmt. Doch da ist alles noch im Fluss. «Ich schliesse das Präsidium nicht aus, strebe es aber auch nicht an», präzisiert Ermotti seine Bloomberg-Aussage («Never say never»). «Wichtig ist, was die beste Lösung für die Bank ist.» Weber hat zudem mit Ermotti vereinbart, dass ihn der Tessiner ein gutes Jahr vor seinem Rückzug in Kenntnis setzt, damit er die Nachfolge aufgleisen kann. Und sicher ist auch: Der Nachfolger soll von innen kommen, wie Ermotti betont: «Wahrscheinlich wäre etwas nicht gut gelaufen, wenn mein Nachfolger von aussen käme.»

Kandidaten Andrea Orcel und Sabine Keller-Busse

Und das macht die jüngste Umstrukturierung so zentral. Mit der neuen Aufteilung schafft die Bank eine Mammutsparte Wealth Management, die zusammen mehr als 60 Milliarden wert ist, zwei mittelgrosse Bereiche – Investment Banking und Schweiz – und die Bonsai-Sparte Asset Management. Natürlich weisen alle Beteiligten die Nachfolgespekulationen weit von sich. Sie wissen aber, dass das Vorturnen begonnen hat: der selbstbewusste Investment-Banking-Chef Andrea Orcel etwa, der schon offen seine Ambitionen auf den Chefsessel formuliert hat, oder Sabine Keller-Busse, die sich neu als Chief Operating Officer grosse Meriten erwerben kann, wenn sie den noch immer zu hohen Kostenblock abschmilzt. Doch die Favoriten sind die zwei frisch gekürten Chefs der neuen Mammutsparte, nur schon, weil es schwer vorstellbar ist, dass der neue Chef nicht aus dem Kerngeschäft stammt: Tom und Martin.

Die Rolle des Kronprinzen darf dabei Blessing für sich beanspruchen, der als stärksten Trumpf mitbringt, dass er Lust und Leiden des CEO-Daseins schon einige Jahre an der Spitze der deutschen Commerzbank erlebt hat. Aber eben: bei der Commerzbank. Deutschland hat sich seinen Ruf als globale Auto-Hochburg hart erarbeitet, als Bankennation ist es nicht verhaltensauffällig geworden. Bei dem Sanierungsfall Deutsche Bank amtete Josef Ackermann, beim Run auf den CS-Chefposten einst kühl abserviert, zehn Jahre als unangefochtener Vormann, und der heutige CEO John Cryan war zuvor UBS-Finanzchef, hatte jedoch keine Chance auf den Chefsessel.

Die Commerzbank ist im Vergleich noch mal zwei Stufen tiefer, eine gebeutelte Retailbank mit Amtssprache Deutsch, die noch immer vom Staat gepäppelt wird. Deutsche Banker, die international reüssiert haben, sind früh ausgewandert, wie etwa Oswald Grübel (und dessen Einschätzungen des deutschen Bankwesens sind nicht druckreif ). Da wundern sich manche Bankveteranen schon über den fast märchenhaften Aufstieg Blessings, zumal er im Wealth Management, das er jetzt übernimmt, bisher kaum Erfahrung hat – die Commerzbank ist dort tiefste Provinz. «Da kümmern sich 30 Leute um die Investment-Prozesse, bei der UBS sind es 3000», betont ein Kenner.

Die Stärke von Martin Blessing

Blessing war nur zwei Jahre Schweiz-Chef – zu kurz, um wirklich Spuren zu hinterlassen, zumal er von seinem Vorgänger Lukas Gähwiler einen gut geölten Marktführer übernommen hatte. Den Digitalumbau trieb er mit seiner Initiative «Client Experience 2020» voran, doch der Abschluss des Projekts liegt jetzt bei seinem Nachfolger Axel Lehmann. Blessings Stärke: Er hat sich mit seiner unprätentiösen Art als Teamplayer bestens integriert. Die Swatch, schon in Deutschland als Symbol für sein umgängliches Wesen bestens bewährt, schmückt auch im Uhrenland Schweiz weiter sein Handgelenk, und von den teuren Sportkarossen, die sich so viele seiner Kollegen gönnen, will er noch immer nichts wissen.Dass er in seinem Team gut Gefolgsleute aufbauen kann, zeigt die zentrale Besetzung seines neues Bereichs: Die bisherige Investment-Banking-Schweiz-Chefin Christine Novakovic war wenig begeistert gewesen, als ihr Blessing vor die Nase gesetzt wurde.

Doch offenbar war sein Auftreten überzeugend genug, dass sie ihm als EMEA-Chefin folgte. Die McKinsey-Schule und endlose Projektgruppen in Deutschland haben ihn Analyseschärfe und Gelassenheit gelehrt. Und mit Unternehmern, deren Vermögensbetreuung die UBS besonders im Visier hat, kennt er sich aus: Wenn die Commerzbank denn eine Stärke hat, dann ist es das KMU-Geschäft – in ihrer Sparte Trade Finance begleitete sie deutsche Kunden rund um die Welt. Schaden kann zudem sicher auch nicht: Mit VR-Präsident Weber ist er seit den stürmischen Tagen der Finanzkrise 2008 per Du, in den formalisierten deutschen Vorstandsetagen ungewöhnlich. Weber war damals als Chef der Bundesbank Blessings Aufseher und lernte den umgänglichen Bankchef schätzen.

Jürg Zeltner
Quelle: UBS

Die Personalie Jürg Zeltner

Zudem war der breit aufgestellte Blessing für ein sehr spezielles Thema zentral: Er war die willkommene Allzweckwaffe, um die Personalie Zeltner zu lösen. Noch immer fragen sich viele Mitarbeiter, warum der erfolgreiche Wealth-Management-Chef Jürg Zeltner Mitte Dezember abrupt die Bank verliess. Aus seinem Umfeld ist die klassische Version zu hören: Er habe nach neun Jahren in der Konzernleitung das Gespräch mit Weber und Ermotti nach Entwicklungsmöglichkeiten gesucht, und beide hätten signalisiert, dass die Nachfolge nicht unmittelbar bevorstehe – da habe er sich entschieden, gerade den magischen fünfzigsten Geburtstag hinter sich, etwas Neues zu beginnen. Die üblichen Begründungen eben.

Allerdings: Bei den Gesprächen soll dem ambitionierten Berner auch bedeutet worden seien, dass er keine Chance auf den CEO-Posten habe. Über keinen anderen Manager innerhalb der Bank kursierten so viele Gerüchte, und der Verwaltungsrat war offenbar zur Erkenntnis gekommen, dass diese nicht ganz unbegründet waren: Vetternwirtschaft, Beziehungsdelikte, Machtspiele. Zeltner, schon bei der Grossbankenfusion vor zwanzig Jahren an Bord, war auch das Einfallstor für Veteranen wie Arthur Decurtins, in den neunziger Jahren glückloser SBG-Private-Banking-Chef, oder Ex-IT-Chef Stephan Zimmermann.

Sie alle, wie auch seinen Bruder Urs Zeltner, versorgte er mit wattig dotierten und wenig aufreibenden Posten, wohlklingend betitelt als «Divisional Vice Chairman». Und als letzten Sommer seine Abteilung zur Überraschung der Kollegen das Programm «UBS Unique» zur besseren Betreuung weiblicher Investoren lancierte und die Ex-Tennisqueen Maria Sharapova als Aushängeschild präsentierte, übernahm Jürg Zeltners sehr enge Vertraute Mara Harvey die Leitung. Es wird interessant sein, wie Blessing mit dieser Hinterlassenschaft umgeht. Urs Zeltner musste schon gehen: In der zweiten Februarwoche wurde die Trennung intern verkündet.

Zeltner gegen Sergio Ermotti

Zeltner hatte 2011 auch wenig verdeckt gegen die Kür Ermottis zum CEO gekämpft, und viele Beobachter waren erstaunt, dass der Tessiner ihn nicht in seinen Anfangsjahren abservierte. Doch der Bankchef war souverän genug, ihn gewähren zu lassen, solange die grossen Linien stimmten: Die Abkehr vom Schwarzgeldgeschäft hatte Zeltner sauber bewerkstelligt, das elementare Asiengeschäft zu einer wahren Geldmaschine aufgebaut, und selbst die Kosten hatte er scharf gesenkt.

Doch jetzt musste Zeltner klar sein, dass die Zusammenlegung der beiden Sparten kommen und damit sein Reich aufgebrochen werden würde. Intern hatte er sich als Gegner eines Zusammenschlusses positioniert: Die Synergien seien zu gering, und die Margen seiner Sparte würden durch das weniger profitable US-Geschäft verwässert. In der neuen Struktur war kein Platz für ihn, das war offensichtlich.

Doch bevor es zum offenen Bruch kam, nahm sich Zeltner selbst aus dem Spiel. Präsident Weber erwies ihm in der «NZZ am Sonntag» dann noch die Gefälligkeit, den Abgang als eigenen Wunsch darzustellen. Auch heute redet Zeltner nur positiv über Axel und Sergio. Krieg will niemand: Die Bank weiss viel über ihn, aber er weiss eben auch viel über die Bank.Blessing wurde erst kurz vor dem Abtritt Zeltners am 14. Dezember über seine neue Position in Kenntnis gesetzt. Zeltner übergab zu Jahresende sein Büro an Blessing, und so musste der Mann, der 30 Jahre bei der Bank war, seine letzten Meetings im Januar in einem Sitzungszimmer abhalten. Da planten seine Nachfolger schon das neue Wealth Management: Ermotti hatte Blessing und Naratil beim Abgang Zeltners die neue Struktur verkündet und sie aufgefordert, bis zur Bilanzpressekonferenz am 22. Januar ihr Team zusammenstellen. Das klappte – ohne Leck.

Tom Naratil
Quelle: Keystone

Tom Naratils Vorsprung

Doch wenn Blessing auch nach aussen der Frontrunner sein mag, so ist die Gefechtslage nach innen nicht ganz so klar. Denn Naratil kennt alle Stellschrauben innerhalb der Bank: Er zog in seiner Doppelfunktion als COO und Finanzchef bis Ende 2015 Ermottis Sparprogramm von 2,1 Milliarden durch, und die beiden knüpften enge Bande – der Tessiner, sozialisiert beim Wall-Street-Haus Merrill Lynch, schätzt die direkte No-Nonsense-Mentalität des Amerikaners. Als er ihn vor zwei Jahren als Chef der amerikanischen Vermögensverwaltung zurück nach New York schickte, war die Zusammenlegung der Sparten schon ein Thema. Doch noch waren die Rechtsfälle in den USA nicht genügend abgearbeitet und die Profitabilität zu dürftig – die US-Tochter wäre noch stärker als Juniorpartner in die interne Fusion gegangen. Das ist nun anders: «Wir erzielen heute in den USA mit 6800 Kundenberatern 1,4 Milliarden Gewinn», betont Naratil. «Vor zehn Jahren waren es nur 500 Millionen – bei 8600 Beratern.»

Dass Naratil bereits beim ersten Versuch der Zusammenlegung dabei war und das Scheitern hautnah miterlebte, verleiht ihm gegenüber Blessing einen Vorsprung. Die Herausforderungen sind gross. Schwerster Kostenblock ist die IT: Während das Asiengeschäft gerade auf die Schweizer Plattform verschoben wurde und damit 85 Prozent des bisherigen Wealth Managements über das gleiche System laufen, läuft das US-Geschäft noch separat. Eine Integration würde wohl mehr als eine Milliarde Franken kosten. Auch ist die Entlöhnung der Kundenberater unterschiedlich, und das soll sie auch bleiben: In den USA arbeiten die Finanzberater als Broker und werden direkt erfolgsabhängig bezahlt.

Andrea Orcel etwas an den Rand gedrängt

Doch auch die Vorteile sind unbestreitbar: Gerade bei den sogenannten «Ultra High Net Worth Individuals», der umworbenen Spezies mit einem Vermögen von mehr als 50 Millionen Franken, von denen die UBS jeden zweiten auf der Welt betreut, ist eine globale Produktpalette ein grosser Vorteil, und dass der erfolgreiche UHNWI-Chef Joe Stadler seinen Bereich jetzt auf die USA ausdehnt, ist sicher eine grosse Verbesserung. Dass die Aktie durch die Zusammenlegung jedoch wirklich steigt, wird sich nur durch tiefere Kosten und höhere Erträge beweisen lassen. Blessing gibt sich entschlossen: «Wir werden die Synergien nutzen und Mehrwert schaffen.»

Etwas an den Rand gedrängt scheint dadurch Investmentbank-Chef Andrea Orcel. Der Vollblutbanker gilt als das fachlich beschlagenste Konzernleitungsmitglied und hat laut Morgan Stanley die profitabelste Investmentbank Europas aufgebaut – das weckt zu Recht Lust auf Höheres. Doch weil seine Investmentbank noch immer ein Drittel des Eigenkapitals braucht, gibt es auch Kritik.«Die Bank sollte das Investment Banking noch weiter verkleinern, das würde für den Kurs mehr bringen als die Zusammenlegung der Wealth-Management-Sparten», behauptet ein Ex-Konzernleitungsmitglied.

Gerade für den wichtigsten Wachstumsmarkt Asien ist eine starke Investmentbank jedoch zentral, denn die Reichen dort sind vor allem Unternehmer und erwarten von ihrem Vermögensverwalter ausgeklügelte Kapitalmarktprodukte. Ausserdem – und natürlich nur ganz nebenbei – liefert die Investmentbank den Oberen ein schönes Argument für ihre üppigen Bezahlungen. Ohne dieses Geschäft liessen sich die Saläre von Ermotti (13 Millionen) oder Weber (mit 6 Millionen der höchstbezahlte VR-Präsident der Bankenwelt) kaum rechtfertigen: BNP und Santander etwa, obwohl an der Börse deutlich mehr wert, zahlen ihren Chefs nur die Hälfte. Die UBS gönnt sich dagegen bei der Salärfestlegung in ihrer Vergleichsgruppe auch die Grossverdiener von Goldman Sachs oder J.P. Morgan – Andrea Orcel sei Dank.

Sabine Kellerbusse UBS
Quelle: Gabi Vogt / 13 Photo

Sabine Keller-Busse könnte den grössten Aktienhebel entfalten

Und dann gibt es noch eine Kandidatin, die bei erfolgreicher Arbeit vielleicht sogar den grössten Hebel auf den Aktienkurs entfalten könnte: Die neue COO Sabine Keller-Busse. Denn die triste Realität fast aller Finanzkolosse ist, und da ist auch die UBS keine Ausnahme: Die Kosten sind noch immer zu hoch. 2011, als Ermotti seinen Job antrat, lag der Geschäftsaufwand des Konzerns bei 22,4 Milliarden Franken, letztes Jahr betrug er 23,6 Milliarden. Gründe gibt es immer: Rechtsfälle, Compliance, die ewigen IT-Nachrüstungen. Mehr als 20'000 Mitarbeiter, der Grossteil IT-Leute, beschäftigt das Corporate Center, das Keller-Busse jetzt untersteht. Als COO des Schweiz-Geschäfts hat sie markig durchgegriffen. Gelingt ihr das nun auch auf Konzernebene, gehört sie in den engsten Kandidatenkreis.

Doch bevor Weber die CEO-Nachfolge angeht, muss er den Verwaltungsrat erneuern. Dort stehen Schlüsselmitglieder vor der Ablösung: Der Senior Independant Director David Sidwell und der Audit-Ausschuss-Vorsitzende William Parrett sind seit zehn Jahren dabei, Vizepräsident Michel Demaré und die Vergütungsausschussvorsitzende Ann Godbehere seit neun Jahren. Zwei Kandidaten sollen in diesem Frühjahr präsentiert werden, zwei nächstes Jahr.

Und wenn es dann um die Ermotti-Nachfolge geht, muss der erfahrene Weber vor allem mit dem in der Bank weit verbreiteten Verdacht umgehen, er wolle unbedingt seinen Landsmann Blessing inthronisieren. Für diesen macht es das nicht einfach. Denn die eherne Regel im Nachfolgegeschäft lautet: Wer zu lange Kronprinz ist, bleibt auf der Strecke.

Dirk Schütz
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