Ich habe jahrelang unter starker Migräne gelitten. Ich weiss noch, wie ich die Schmerzwellen kommen spürte, wie die Schmerzen allmählich zunahmen. Dann nahm ich einige Schmerzmittel, die allerdings nicht viel halfen, und ging zur Arbeit, wo ich meine Arbeit – sei es eine tägliche Aufgabe oder ein wichtiges Projekt – mit einer zusätzlichen Belastung bewältigen musste, die mich erschöpfte. Wenn ich abends nach Hause kam, musste ich ins Bett gehen und einige Stunden warten, bis die Migräneattacke aufhörte.

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Das dauerte einige Jahre, bis ich die Ursache für meine Migräne herausfand und das Problem löste. Aus persönlicher Sicht war das grossartig, und meine Lebensqualität verbesserte sich erheblich.

Das war in den Achtzigerjahren, und ich war mir nicht bewusst, dass das, was ich hatte, heute eine unsichtbare Behinderung genannt wird. Jedenfalls verhielt ich mich aus beruflicher Sicht genau so, wie sich die meisten Menschen mit unsichtbaren Behinderungen auch heute noch verhalten: Ich habe mein Problem nicht erwähnt, ich habe versucht, so viel wie möglich durch zusätzliche Anstrengungen zu kompensieren, ich habe alle Konsequenzen möglicher Verzögerungen oder Fehler, die durch meine Migräne verursacht wurden, auf mich genommen.

Die Gastautorin

Simona Scarpaleggia ist Beraterin und Boardmitglied des Zertifizierungsunternehmens Edge, das auch den Prozess der Equal-Voice-Initiative von Ringier zertifiziert. Davor war sie CEO von Ikea Schweiz und Co-Chair des UN-High-Level-Panels für die wirtschaftliche Förderung von Frauen.

Heute haben wir jedoch eine ganz andere Situation, es gibt mehr Bewusstsein für das Phänomen und es gibt natürlich integrative Massnahmen und Verhaltensweisen, die ergriffen werden können, um einen guten Arbeitsplatz auch für Menschen mit unsichtbaren Behinderungen zu schaffen.

Was aber sind unsichtbare Behinderungen genau? Nach Angaben der Invisible Disabilities Association lautet die Definition so: «Einfach ausgedrückt ist eine unsichtbare Behinderung ein körperlicher, geistiger oder neurologischer Zustand, der von aussen nicht sichtbar ist, aber die Bewegungen, Sinne oder Aktivitäten einer Person einschränken oder beeinträchtigen kann. Leider kann gerade die Tatsache, dass diese Symptome unsichtbar sind, zu Missverständnissen und falschen Wahrnehmungen und Urteilen führen.»

Mehrere Untersuchungen zeigen, dass es sowohl an Bewusstsein für diese unsichtbaren Behinderungen als auch für die Bedürfnisse von Menschen mit unsichtbaren Behinderungen mangelt und dass Organisationen oft nicht darauf vorbereitet sind, die notwendige Unterstützung zu bieten. Folglich hindert diese Situation Menschen mit unsichtbaren Behinderungen daran, ihren Zustand offen darzulegen.

Heute haben Organisationen jedoch die Chance, dies zu ändern und auch in dieser Hinsicht einen integrativeren Arbeitsplatz zu schaffen.

Was können Organisationen und Führungskräfte im Umgang mit Menschen mit unsichtbaren Behinderungen tun?

Hier einige wirksame Massnahmen:

  1. Verallgemeinern Sie nicht und stellen Sie keine Vermutungen an. Hören Sie stattdessen zu. Es geht um die Person, die ein Problem hat, und darum, wie sie sich wohler fühlen kann, und nicht um die Führungskraft oder das Unternehmen. Wenn Sie die Bedürfnisse des Einzelnen verstehen und die richtige Unterstützung bieten, können Sie Probleme besser und schneller lösen.
  2. Bleiben Sie im Dialog. Fragen Sie nach Fortschritten, Situationen, die einfach sind, und Situationen, die schwierig sind und Hindernisse mit sich bringen. Erarbeiten Sie gemeinsam Massnahmen, das gibt der Person das Gefühl, berücksichtigt und einbezogen zu werden, und schafft die Voraussetzungen dafür, dass die Person bessere Leistungen erbringen kann.
  3. Fördern Sie eine offene Diskussion über integrative Praktiken in der Organisation. DE&I-Politiken und -Praktiken spielen eine wichtige Rolle bei der Schaffung eines integrativen Arbeitsplatzes und unterstützen dabei, diese einzuführen. 
  4. Achten Sie bei der Planung von Büroveranstaltungen auf ein integratives Setting. Wenn es um Essen geht, denken Sie an Allergien, spezielle Diäten, besondere Lebensmittelanforderungen oder lebensmittelbezogene Bedingungen. Wenn es um Aktivitäten im Freien geht, sorgen Sie dafür, dass es einen geschützten Bereich und einen Raum gibt, in dem sich etwa Menschen mit Agoraphobie (Angst vor Situationen ohne Fluchtmöglichkeit) wohlfühlen.
  5. Schaffen Sie ein Gefühl der Gemeinschaft. Sorgen Sie dafür, dass der Arbeitsplatz ein sicherer Ort ist, an dem man über die eigenen unsichtbaren – oder sichtbaren – Behinderungen sprechen und sich darüber austauschen kann.

Diese Überlegungen können nützlich sein, um eine Organisation besser zu führen, aber vor allem, um besser mit Menschen umgehen und leben zu können. Schliesslich sind wir alle unterschiedlich und haben alle relative Behinderungen – Perfektion gibt es nicht.