Es ist wieder passiert: Ein weiterer Linkedin-Experte fordert, dass Firmen mehr zur Verfügung stellen müssen als einen lausigen Obstkorb, wenn sie Talente anziehen wollen. Und sie vor allem halten wollen. Das Thema kursiert seit Monaten, denn der Fachkräftemangel schmerzt alle, die eine Stelle besetzen müssen. Der arme Obstkorb verkommt dabei zum Symbolbild für eine Krise, die viel komplexer ist.

Um beim Bild zu bleiben: Der faule Apfel beim Fachkräftemangel findet sich bereits bei den Ansprüchen. Firmen suchen heute nämlich meist die perfekte Kandidatin oder die einzigartigen Alleskönner. Damit verzögern sie die eigene Suche. Das wiederum kostet Geld, die Produktivität stagniert, und der Firma entgehen mögliche Talente, weil sie das Potenzial von Bewerbenden verkennt.

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Das ist nicht fair. Doch nur die Arbeitgeber in die Mangel zu nehmen, wäre zu kurz gegriffen. Wer nämlich heute eine neue Arbeitgeberin sucht, ist heikel. Kein Homeoffice? Nicht mit mir. Fixe Arbeitszeiten? Da winke ich gleich ab. Ein Lohn unter meinen Vorstellungen? Keine Chance. Der allgemeine Wohlstand, die niedrigen Arbeitslosenzahlen in der Schweiz, die Pandemie, die Diskussionen um Work-Life-Balance und der Wettkampf um Talente tragen – so sehr sie auch gute Entwicklungen und wichtige Änderungen in der Arbeitswelt befeuert haben – seltsame Früchte: Vor allem Grossfirmen «bewerben» sich regelrecht bei ihren potenziellen Angestellten, auf den HR-Seiten überschlagen sie sich mit ihren Angeboten. Der Spass wird dabei in den Vordergrund gestellt, die Arbeit verkommt zum Nebenprodukt.

Negativspirale im Arbeitsmarkt

Dieses Verhalten verstärkt sich in einer Negativspirale: Die junge Generation predigt beinahe gebetsmühlenartig, was sie sich alles wünscht und wie schwierig es sei, sie zu überzeugen und zu halten. Die Firmen wiederum bemühen sich um die Jungen und wollen ihnen das Arbeitsparadies ermöglichen. Zwischen Siebträgerkaffee, Sabbaticals und Remote Work geht jedoch etwas verloren: die Treue. Denn obwohl es heute mehr Benefits gibt als früher, kann keine Arbeitgeberin mehr darauf vertrauen, dass die soeben angestellte Person mehr als ein paar Jahre in der Firma bleibt. Ein vermeintlich besseres Angebot wird sie bald zu einer neuen Arbeitgeberin locken.

Das liegt zum einen daran, dass viele der vermeintlich grosszügigen Angebote trotzdem am echten Bedürfnis von Arbeitnehmenden vorbeigehen: nämlich an jenem nach einer sinnstiftenden Tätigkeit, die den eigenen Fähigkeiten entspricht und in welcher man sich entfalten und entwickeln kann. Hier sind gutes Leadership, effiziente Strukturen und klare Ziele wichtiger als ein zusätzlicher Pingpongtisch.

Zum anderen schadet dieses ständige gegenseitige Überbieten und Abjagen von Talenten der Arbeitskultur. Übertriebene Forderungen von einer Seite bergen Konfliktpotenzial, grossspurige Versprechen auf der anderen Seite ebenfalls. Zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden mangelt es an Ehrlichkeit und Fairness. So ist es nicht fair, Bewerbende hinzuhalten oder auszusortieren, wenn die Anforderungen sowieso utopisch sind. Es ist aber auch nicht fair, grossspurig einen neuen Job anzufangen und sich trotzdem permanent nach links und rechts umzusehen.

Und schlussendlich ist die ganze Diskussion vor allem einem gegenüber nicht fair: dem Obstkorb. Diesem angeblich bösen Übel des Fachkräftemangels. Aber mal ganz ehrlich: Steht pro Tag ein Apfel zur Verfügung, sind alle glücklicher und haben mehr Spass an der Arbeit.

Tina Fischer
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