Nichts Geringerem als «dem Urknall der Intelligenz» würden wir derzeit zuschauen, sagte Tesla-Gründer Elon Musk kürzlich mit Blick auf die rasante Entwicklung der künstlichen Intelligenz. «KI wird die Spielregeln der Arbeitswelt neu schreiben», prophezeit Nvidia-Boss Jensen Huang. Wer dem milliardenschweren Wirtschaftsboss in seiner lässigen schwarzen Lederjacke so zuhört, fühlt sich an die Euphorie der Dotcom-Boomphase erinnert. «Im Schatten der chaotischen Trump-Show entwirft eine Clique blitzgescheiter Männer (es sind tatsächlich alles Männer) unsere Zukunft: mit disruptiven Auswirkungen auf sämtliche Branchen, unser Zusammenleben, unsere Gefühle, Wahrnehmung und Fertigkeiten», schrieb ein Autor des «Tages-Anzeigers» kürzlich.

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Tatsächlich wird die Welt derzeit nicht nur politisch von einem kleinen Zirkel brachial vorgehender Männer in Washington neu gedacht, sondern auch technologisch von ein paar sehr reichen Unternehmern aus den USA in hohem Tempo neu aufgesetzt – mit Langzeitfolgen für die Menschheit.

Nicht die Aussicht auf eine Tech-Revolution macht skeptisch. KI bietet enormes Potenzial für die Wirtschaft und im Alltag. Irritierend ist, wie uns unter dem Deckmantel von Effizienzgewinn und Fortschritt mal wieder etwas Grosses vor die Nase gesetzt wird, das absehbar unkontrollierbar wird. Wir erinnern uns an die Euphorie in den Anfängen von Facebook, Tiktok und Co. Heute sehen wir die Auswirkungen von Social Media auf unser Beziehungsverhalten, vor allem für die Jugend. Die Opportunitätskosten für die Einführung von Social Media waren hoch. Bei KI werden sie noch höher sein. «Sie werden nicht den Job an KI verlieren, aber an jemanden, der KI benützt», so Jensen Huang.

Die Gastautorin

Karin Kofler ist regelmässige Gastkolumnistin und selbstständige Publizistin.

Der Nvidia-Chef findet es praktisch, dass er dank KI künftig weniger mit seiner Frau sprechen muss. «Natürlich kann KI die Kommunikation revolutionieren. Wenn ich zu Hause anrufe, muss ich nicht mehr so viele Worte verwenden, weil meine Frau schon den ganzen Kontext kennt, für dessen Beschreibung ich früher einen Haufen Worte brauchte.» Effizienter mit der Gattin plaudern dank AI – klingt nicht nach der Vision von Frauen.

Frauen sehen die Welt holistischer

In einem Webinar zu KI im Marketing, das ich vor kurzem absolvierte, simulierte der Referent ein Online-Date auf Chat GPT. Flirten mit Stützrädern sozusagen. Auch das ist kritisch zu sehen mit Blick auf die Entwicklung zwischenmenschlicher Fähigkeiten. In den USA hat ein Chatbot bereits einen Teenager in den Suizid getrieben.

Frauen sehen die Welt holistischer – Studien zeigen, dass sie KI deutlich skeptischer gegenüberstehen als Männer. Doch derzeit gibt Testosteron den Takt vor. «Wir können eine Geschlechterkluft bezüglich der Frage sehen, wer heute die wichtigen Entscheidungen in der KI-Entwicklung trifft», sagt Marguerita Lane, Arbeitsmarktwissenschaftlerin der OECD.

Überträgt man die Aussagen auf die Verhältnisse in Firmen, wo Chefetagen noch immer männerdominiert sind, scheint der Kurs auch dort gegeben. Der Druck, KI rasch gewinnbringend ins Geschäftsmodell zu integrieren, ist gross, obwohl vieles noch ungeklärt ist. Gleichzeitig fehlt es offenbar an Kompetenz in den obersten Gremien. «Bei KI habe ich erstmals in meiner ganzen Karriere das Gefühl, nicht mehr auf der Höhe zu sein», gestand mir ein erfahrener Verwaltungsratspräsident einer börsenkotierten Firma unlängst. Eine jüngere Deloitte-Studie über KI-Governance bestätigt das. Von weltweit 695 befragten Verwaltungsratsmitgliedern und Top-Executives gaben zwei Drittel an, dass ihr Gremium über limitiertes oder überhaupt kein KI-Wissen oder -Erfahrung verfüge. Als Frau beunruhigt mich das.