Flexible Arbeitszeiten, Elternzeit und unbegrenzter Urlaub bei General Electric, Netflix oder Best Buy: Eigentlich sind die US-Firmen nicht für Grosszügigkeit gegenüber Arbeitnehmern berühmt, doch immer mehr zeigen sich von der gönnerhaften Seite. Die Angebote haben jedoch ihre Tücken.

Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein: Ferien, unbegrenzt und bezahlt. Einige, vor allem kleinere US-Unternehmen und insbesondere solche aus der Tech-Branche, wie der Onlinespiele-Macher Zynga oder das Schnäppchenportal Groupon, bieten das schon länger an. Das Kalkül der Unternehmen ist nicht uneigennützig - in den USA herrscht Vollbeschäftigung und beim Buhlen um talentierte Mitarbeiter müssen Firmen Anreize setzen.

Mit dem Videodienst Netflix gibt es auch ein prominentes Beispiel. Inzwischen lässt sogar einer der grössten Arbeitgeber in den USA, der Industrieriese General Electric (GE), seinen Angestellten die Wahl, wie oft sie sich frei nehmen wollen.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Mehr Vertrauen in Mitarbeiter

Nach den neuen Regeln soll es keine formale Begrenzung der bezahlten Fehltage mehr geben - egal, ob sie für Ferien verwendet werden oder für Krankheitsausfälle, die in den USA häufig auch zulasten des Ferienkontos gehen.

Das betrifft bei GE allerdings nur Führungskräfte und höherrangige Mitarbeiter, insgesamt sollen etwa 30'000 Angestellte in den USA davon profitieren. GE beschäftigt weltweit gut 300'000 Arbeitskräfte. Der Schritt soll Teil eines breiteren Kulturwandels im Konzern sein. GE habe erkannt, dass es der erfolgversprechendere Ansatz sei, wenn die Mitarbeiter mehr Vertrauen geniessen, so eine Personalchefin gegenüber CNN.

Arbeitswütige Angestellte

Das klingt erstmal sehr fair, zumal US-Unternehmen anders etwa als Schweizer Firmen keinen gesetzlichen Mindesturlaub geben müssen und häufig mit freien Tagen knausern. Einer Analyse der Initiative «Project Time Off» zufolge machen die US-Angestellten im Schnitt nur 16 Tage im Jahr frei. Das liegt aber nicht nur an den Unternehmen. Viele Firmen haben sogar Probleme, weil Mitarbeiter Ferien vor sich herschieben. Wer zum Jahresende noch Urlaubskonten hat, die nicht leer sind, muss Rückstellungen bilden und gerät buchhalterisch unter Stress.

Einer Umfrage auf dem Job- und Karriereportal Glassdoor von 2014 zufolge nutzen US-Angestellte im Schnitt nur gut die Hälfte ihrer Urlaubstage. 61 Prozent gaben an, in den Ferien zu arbeiten. Firmen, die sich bei freien Tagen gönnerhaft hervortun, dürften diese Zahlen gut kennen. Und natürlich kommt das Angebot nie ohne Haken.

Als der Luftfahrtunternehmer und Milliardär Richard Branson im letzten Jahr den unbegrenzten Urlaub bei seiner Virgin Group erklärte, machte er unmissverständlich klar, unter welchen Auflagen das geschieht: «Es ist den Angestellten überlassen [...], aber sie dürfen es nur tun, wenn sie sich zu 100 Prozent sicher fühlen, dass es dem Geschäft nicht schadet - oder ihren Karrieren.»

«Arbeits-Märtyrer-Syndrom»

Genau hier sehen Forscher das Problem mit dem Angebot, unbegrenzt freizunehmen. Angestellte gönnen sich dann mitunter noch weniger Urlaub, um einen guten Eindruck zu machen. Das Finanzmagazin «Bloomberg Businessweek» fand schon 2012 ein gutes Beispiel. Der App-Entwickler Evernote aus dem Silicon Valley wollte mit grosszügigem Urlaub Tech-Talente anlocken. Dann wollte keiner mehr freinehmen und die Firma begann, Wochentrips mit 1000 Dollar zu sponsern.

Gerade in Branchen, wo der Konkurrenzdruck hoch ist, müssen die Mitarbeiter manchmal eher gebremst werden. Die US-Investmentbank Goldman Sachs verbot ihren Sommerpraktikanten dieses Jahr, mehr als 17 Stunden pro Tag zu arbeiten. US-Forscher sprechen in diesem Zusammenhang vom «Arbeits-Märtyrer-Syndrom», das zu Überstunden, Überarbeitung und letztlich zum Burn-out führen kann.

Bislang experimentiert nach Schätzungen der «Society for Human Resource Management» ohnehin nur ein verschwindend geringer Teil der US-Firmen mit unbegrenztem Urlaub. Und niemand sollte sich etwas vormachen: der Kündigungsschutz ist in den USA häufig nicht sehr ausgeprägt, die Kultur des Arbeitsmarkts wird nicht umsonst als «Hire and Fire» bezeichnet. Wer es mit seiner Freizeit überstrapaziert, kann möglicherweise gleich endlos im Urlaub bleiben - aber unbezahlt.

(sda/ccr)