Führungspersönlichkeiten brauchen weniger Gewissheit über das bestmögliche Vorgehen, wenn sie Entscheidungen für andere fällen müssen. Das berichten Zürcher Forschende im Fachblatt «Science».

Eltern, Lehrer, Firmenchefinnen und Generäle: Sie alle müssen laufend Entscheidungen treffen, die das Wohlbefinden anderer beeinflussen. Teils tangieren diese Entscheide nur einzelne Personen, teils ganze Belegschaften oder Nationen.

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Am Willen oder Widerwillen, solche Entscheidungen zu fällen, lassen sich Führungspersönlichkeiten von Personen unterscheiden, die sich lieber führen lassen. Dieser Eigenschaft sind Forschende um Micah Edelson von der Universität Zürich auf den Grund gegangen, und zwar anhand einer Reihe von Experimenten mit Freiwilligen, deren Rang im Schweizer Militärdienst Aufschluss über ihre Führungsbereitschaft im realen Leben gab.

Verantwortungswille als bestes Indiz

Für ihre Studie liessen Edelson und Kollegen die Probanden Wettspiele mit unterschiedlichen Gewinnchancen annehmen oder ablehnen. Bei diesen konnten sie beispielsweise mit 60 Prozent Wahrscheinlichkeit 50 Punkte gewinnen, aber mit 40 Prozent Wahrscheinlichkeit 30 Punkte verlieren. Am Ende lockte ein Geldgewinn.

Zunächst mussten die Probanden diese Entscheidungen nur für sich selbst fällen, später innerhalb einer Gruppe. In dieser zweiten Phase des Experiments betraf ihre Entscheidung mal nur ihre eigenen Gewinne, mal auch die der anderen in ihrer Gruppe.

Sie durften dabei auch jederzeit die Entscheidung an die Gruppe delegieren. Dies tat der Grossteil der Probanden insbesondere dann, wenn sie über die Gewinne der ganzen Gruppe entscheiden mussten. Diese Abneigung, die Verantwortung für solche Führungsentscheide zu übernehmen, bezeichnen Fachleute als «responsibility aversion». Und der Grad dieser Aversion stellte sich als die Eigenschaft heraus, die am meisten mit dem militärischen Rang der Probanden zusammenhing.

Weniger Bedürfnis nach Gewissheit

Die geringere Verantwortungsaversion liess sich jedoch nicht durch Eigenschaften wie Risikofreude, geringe Verlustängste oder ein hohes Kontrollbedürfnis erklären, wie man vielleicht vermuten könnte. So schrieb die Universität Zürich in einer Mitteilung von Freitag. Stattdessen unterschieden sich die Verantwortungswilligen im Grad an Gewissheit, den sie brauchten, um Führungsentscheide zu fällen.

Die meisten Probanden brauchten viel mehr Sicherheit über das beste Vorgehen, wenn sie eine Entscheidung für die ganze Gruppe treffen sollten als wenn es nur um ihren eigenen Gewinn ging. Bei Führungspersönlichkeiten unterschied sich das Sicherheitsbedürfnis zwischen den beiden Situationen weniger stark.

Nicht unbedingt die besseren Anführer

Zwar gebe es offenbar einen Zusammenhang zwischen «responsibility aversion» und Führungsposition, aber die Art des Zusammenhangs bleibe unklar, schrieben Stephen Fleming und Dan Bang vom University College London in einem Begleitartikel im Fachblatt «Science». Werden Personen mit wenig Scheu vor Verantwortung eher Führungskräfte oder haben Führungskräfte weniger Scheu vor Verantwortung, weil sie oft Entscheide für andere treffen müssen?

Interessanterweise scheinen die Verantwortungswilligen aber nicht unbedingt die besseren Anführer, wie die Studie von Edelson und seinen Kollegen ebenfalls zeigte: Die Probanden mit besonders niedriger Aversion gegen Führungsentscheide gewannen nicht mehr Geld für die Gruppe als die, die lieber gemeinsam mit den anderen entschieden.

(sda/mlo)