Die Zukunft ist nicht leicht zu finden. Sie versteckt sich in einem Keller in Zürich Aussersihl. Abgeschirmt von der Öffentlichkeit, beschäftigen sich Christiane Fimpel und Philipp Binkert mit einer Technologie, die das Zeug hat, die nächste industrielle Revolution auszulösen. Fimpel und Binkert arbeiten in ihrer Firma 3D-Model.ch mit dreidimensionalen Druckern. Mit dem Verfahren des «Digital Fabricating» – auch «Fabbing» genannt – drucken sie dreidimensional.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

So wie heute jedermann per Tintenstrahldrucker beschriftetes Papier printet, stellen ihre drei 3-D-Drucker Gegenstände her. Zum Beispiel den 35 Zentimeter hohen Pokal aus ABS-Kunststoff, der Roger Federer an den Swiss Indoors in Basel überreicht wurde. Eine Lampe für eine Designerin. Eine Filzmütze für einen Modeschöpfer. Aus einem digitalen Datensatz im PC wird ein greifbares Gut. Man füllt das gewünschte Material in den Drucker ein, und dieser printet den greifbaren Gegenstand. «Wie es in kurzer Zeit normal wurde, Musik am CD-Händler vorbei auf seinen eigenen Tonträger zu holen», erklärt Binkert, «macht Fabbing jeden zum Hersteller. Es ist das iTunes der Dinge.»

Desktop-Fabrik. Architekturbüros setzen seit längerem auf Fabbing, um damit Baumodelle auszudrucken. Diese Technologie wird für gewisse Teile auch beim Flugzeugbauer EADS (Airbus) angewandt. Mit professionellen Printgeräten, aus deren Druckköpfen fein säuberlich Lage um Lage eines Materials aufgeschichtet wird. Weiterbildungsangebote tauchen jetzt langsam auf, als Architektur-Wahlfach an der ETH Zürich oder im Horwer FabLab, einer Hightech-Werkstatt der Hochschule Luzern. Auch Fimpel und Binkert bieten Workshops zu den Themen Fabrikation und Zusammenbau der 3-D-Drucker an, die als Kit in der einfachsten Variante rund 2000 Franken kosten.

FabLab-Leiter Roman Jurt schätzt, dass heute noch «keine 200 Personen» in der Schweiz privat einen 3-D-Drucker besitzen. Doch das Thema werde gross: «Alles, was heute physisch hergestellt werden kann, wird man künftig auch digital herstellen können.» Denkbare Berufsbilder und Arbeitsplätze: Materialforscher, Fabrikationslabore, 3-D-Copy-Center.

Karin Frick, Trendforscherin am Gottlieb Duttweiler Institute, sieht die Technologie an einem Wendepunkt: «Das Thema 3-D-Drucker geistert seit zehn Jahren herum und ist bei professionellen Anwendern – etwa im Prototypenbau – längst angekommen. Neu wird es jetzt auch anwendungsreif für den Privatgebrauch und für Massenmärkte.» Eine mögliche Folge daraus: «Es könnte in den Bereichen Materialforschung und Re-Industrialisierung zu einem Schub führen. Wurden bisher grosse Teile der Fabrikation nach China ausgelagert, können sich die Menschen im Westen dank ihrer ‹Desktop-Fabrik› ihre Gegenstände selber und nach Mass produzieren.» Das US-Marktforschungsunternehmen Wohlers Associates schätzt das weltweite Fabbing-Geschäft derzeit auf 1,3 Milliarden Dollar; bis 2020 soll es auf 5,2 Milliarden wachsen.

So wie das Fabbing an der Schnittstelle von IT und industrieller Produktion Innovation schafft, verhält es sich mit vielen Jobfeldern der Zukunft. Die Berufsbilder, die in den nächsten Jahren neu entstehen, vermischen sich zusehends. Informationstechnologie und Social Media wirken als Querschnittsbranchen, die in bestehende Felder integriert werden und damit neues Spezialistentum schaffen. Beispiel Banking: Die Aussichten der einst so erfolgsverwöhnten Branche verdüstern sich durch Attacken aus den USA, schleppende Wirtschaftsentwicklung und Margenerosion.

Als Job-Wachstumsfelder macht Nicole Schmidt Risk Management und Compliance aus. Gemäss der Schweiz-Chefin des Finanzrekrutierungsspezialisten Robert Half International übertrifft die Nachfrage in diesen Bereichen das Angebot. Weiterbildungen mit diesem Spezialisierungsgrad seien noch nicht lange im Angebot. «Hier müssen zuerst einmal genügend Leute ausgebildet werden.»

Schwarm-Banking. «Die Vermögensverwaltung wird weiterhin wachsen. Aber das Profil des Private Bankers wird sich ändern», sagt Charles Donkor, Partner Human Capital Consulting bei PricewaterhouseCoopers. Die Banker müssten noch mehr wegkommen von der reinen «Wine & Dine»-Betreuung der betuchten Klientel, neue gefragte Skills seien interkulturelles Management – zum Beispiel Kenntnisse des Islamic Banking – und der Umgang mit sozialen Medien. Als neues Berufsbild macht Donkor dasjenige des «Digital Bankers» aus. Dieser vertreibt Finanzprodukte über elektronische Kanäle.

Geldbeschaffung bekommt durch die neuen Medien eine ganz andere Dimension. Das hat auch Philipp Steinberger erkannt und im April 2011 zusammen mit seinem Partner die Plattform C-crowd.com lanciert. Hier bringt der ehemalige Investment Banker Projekte und Kapitalgeber zusammen. Jungunternehmer mit guten Ideen, die heutzutage kaum von den Banken unterstützt werden, können über C-crowd effizient an interessierte Investoren gelangen, um so ihren Businessplan zu finanzieren.

Crowdfunding, wie die aufkommende Finanzierungsart genannt wird, mobilisiert sozusagen das Portemonnaie der breiten Masse. Sie kann schon mit geringen Beträgen von 500 bis 1000 Franken in zukunftsträchtige Geschäfte investieren und so zu Aktionären und Business Angels werden. Philipp Steinberger ist überzeugt, dass Crowdfunding in der Finanzbranche eine wachsende Bedeutung haben wird. «Das Vertrauen in Banken und traditionelle Investitionsinstrumente hat gelitten. Die Leute suchen nach neuen greifbaren Anlagemöglichkeiten.» Dies hat sich bereits bestätigt, indem zwei Projekte mit einer Gesamtsumme von knapp 650 000 Franken finanziert wurden.

Die Nachfrage nach solchen alternativen Anlagemöglichkeiten wird sich gemäss dem Firmengründer in Zukunft noch stärker entwickeln, insbesondere wenn die Hemmschwelle, via Internet zu investieren, weiter schwindet: «Für unternehmerisch denkende Menschen mit einer Ausbildung im Finanzbereich öffnen sich mit Crowdfunding zweifellos neue Joboptionen», glaubt Steinberger. Bezüglich Weiterbildung in diesem neuen Gebiet – ein weiteres Stichwort ist das Peer-to-Peer Lending, die Vergabe von Krediten unter Privatpersonen ohne Einbezug von Banken – könnte der Schub von der Social-Media-Szene kommen. «Wir arbeiten momentan an einem Schulungsangebot», sagt Anders Bally, Managing Partner der Zürcher Social-Media-Akademie Somexcloud.

Wenn sich in neuen Jobfeldern IT mit industrieller Produktion mischt, wenn Finanz-Know-how mit Kenntnissen der Schwarmintelligenz von virtuellen Gruppen verschmilzt, wird klar: Generell gute Chancen hat künftig, wer die Kunst der Schnittstellenbesetzung beherrscht.

Dieses Thema ist auch in der Weiterbildung angekommen: «Interdisziplinarität wird immer wichtiger. Die Arbeitnehmer von morgen müssen noch mehr fähig sein, an den Rändern ihres Gebiets zu forschen und den Austausch mit Spezialisten anderer Bereiche zu pflegen», sagt Andreas Poplutz, Stabsstellenleiter Weiterbildung an der ZHAW (siehe Interview unter 'Nebenartikel'). So sieht man es auch an der Hochschule Luzern (HSLU). In den Bereichen Technik und Architektur seien auf dem Arbeitsmarkt «nicht mehr reine Techniker gefragt, sondern spezialisierte Generalisten. Energie und Nachhaltigkeit sind Querschnittsthemen, die den Ingenieur ebenso betreffen wie den Architekten.»

Pharma 3.0. George Sheldon, Professor für Arbeitsmarkt- und Industrieökonomie an der Universität Basel, stösst ins gleiche Horn: «Wer Wirtschaft studiert, war früher Generalist. Heute geht der Trend klar in Richtung Spezialisierung.» Überlappungen in Spezialgebieten schaffen neue Berufsbilder. Das weiss man auch bei OdASanté, der nationalen Dachorganisation der Arbeitswelt Gesundheit: «Durch neue Technologien und Therapien steigen die Ansprüche an das Fachwissen des Personals», sagt Präsident Bernhard Wegmüller. Derzeit werden beispielsweise in den Bereichen der Onkologie- und der Palliativpflege als Vertiefungsrichtung spezialisierte Berufsbilder entwickelt.

Mehr Spezialisierung plus Verschmelzung von Kompetenzen – das ist eine Aufgabe, die sich auch Weiterbildungsprofis selber zunehmend auferlegen. Für den neuen Masterlehrgang Alter und Gesellschaft, der im Herbst an der HSLU erstmals beginnt, werden sämtliche Register der Interdisziplinarität gezogen. «Da sich die Alterung auf ganz unterschiedliche Lebensbereiche auswirkt, haben wir bei der Entwicklung des Studiengangs gleich von Beginn weg alle Departemente der Hochschule einbezogen», sagt Co-Studienleiter Matthias von Bergen, «also neben den federführenden Abteilungen Wirtschaft und soziale Arbeit auch Technik & Architektur, Design & Kunst und Musik.» «Die unaufhaltsame Kraft der Demografie dürfte noch ungeahnte neue Berufsbilder schaffen», glaubt von Bergen.

Mit der stürmischen IT-Entwicklung kommt die Elektronik auch in den Life Sciences zu ihrem Auftritt. «Pharma 3.0» nennt Ernst & Young diesen Trend in einer Studie. Mittels Smartphone-Apps und der Verknüpfung per drahtlose Geräte liessen sich neue Geschäftsmodelle schaffen. Bekannt sind die Pläne von Novartis, Chip-bestückte Tabletten (Smart Pills) zu lancieren, die nach der Einnahme dem behandelnden Arzt Signale aus dem Inneren des Patienten senden können.

Jürg Huwyler, Ordinarius an der Abteilung für pharmazeutische Technologie an der Uni Basel, macht Marktchancen aus an der Schnittstelle von Pharma und Elektronik: «Im Bereich der medizinischen Compliance sehen wir ein Zukunftspotenzial. Es geht darum, den Patienten – etwa bei Herzerkrankungen oder Transplantationen – die teuren Medikamente zum genau richtigen Zeitpunkt in der genau richtigen Menge zu verabreichen.» Dient eine Pille als Träger für einen Mikrochip, macht das die Tablette nachverfolgbar, was für den behandelnden Arzt von hoher Wichtigkeit wäre. Solche verfolgbaren Tabletten seien zudem fälschungssicher.

Smarte Gebäude. Bereits heute an der Schnittstelle von Pharma und Elektronik arbeitet Isabelle Arnet, Oberassistentin Pharmaceutical Care Research Group an der Uni Basel. Auch bei ihr geht es um das «elektronische Monitoring» der Patienten mittels Sensoren auf den sogenannten Medikamentenblistern, den Tablettenverpackungen. Drückt der Patient eine Tablette aus dem Blister heraus, werden Datum, Zeit sowie Angaben zum entleerten Hohlraum mittels eines elektronischen Sensors registriert. «Diese Daten können in der Apotheke erfasst und dem Arzt übermittelt werden» erklärt Arnet. «In naher Zukunft werden auch Handys hierfür eingesetzt werden und einen Datentransfer direkt vom Patienten aus ermöglichen.» Das sei keine Science Fiction: «Die persönliche Verblisterung wird heute schon von rund 60 Schweizer Apotheken angeboten.» Der Nutzen: Mit elektronischen Tools kann eine optimale Therapietreue bewerkstelligt werden.

Oft genug sind berufliche Entwicklungen so neu, dass das Wissen nicht an einer Hochschule, sondern erst bei der beruflichen Anwendung entsteht. Wie bei der Luzerner ProBus Technik AG. Die zehnköpfige Firma versteht sich als Kompetenzzentrum für Gebäudeautomation und Multimedia-Lösungen. «Was wir tun, gibt es eigentlich in dieser Form noch gar nicht. Es ist eine Verschmelzung diverser Fachgebiete», sagt Co-Geschäftsführer Andreas Büttiker. «Wir machen quasi Gebäude intelligent. Unsere Gebäudesystemintegratoren erbringen Beratung und implementieren Heizungs-, Kühlungs-, Beschattungs-, Beleuchtungs- und Mediensysteme. Dabei wird auch das Thema Energieeffienz zunehmend aktueller.»

Büttikers Geschäftspartner Werner Roth, gelernter Elektromonteur und eidgenössisch diplomierter Elektroinstallateur, holte sich zwar in diversen Kursen und Weiterbildungen zusätzliches Wissen bezüglich Klimatechnik, Heizungs- und Lüftungssystemen. Doch das reicht nicht: «Aus- und Weiterbildung ist in diesem Bereich das eine. Aber das Wichtigste sind die Erfahrung und das Know-how, die man sich on the job angeeignet hat.» Es gehe darum, die zunehmende Komplexität aller Komponenten auf die Kundenbedürfnisse abzustimmen und anzuwenden: «Jedes der Systeme für sich kann alles. Aber sie müssen mittels Beratung richtig gesteuert und zusammengeführt werden.»

Exakte Wissenschaften im Aufwind. Solchen neuen Entwicklungen hinkt die Aus- und Weiterbildung oft hinterher. Viele Technologien entstehen auf privater Basis. «Vor allem in neuen Fachgebieten stehen zu Beginn die informelle Bildung und die nicht formale Bildung im Vordergrund», sagt Dani Duttweiler, Leiter Ressort Grundsatzfragen + Politik sowie stellvertretender Leiter Leistungsbereich Bildung im Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT). Das BBT ist zuständig für den Erlass und die Genehmigung von Abschlüssen der beruflichen Grundbildung und Angeboten der höheren Berufsbildung.

Die Karriere eines anerkannten Abschlusses spielt sich in der Regel auf drei Ebenen ab. Im Beispiel Solarenergie etwa könnte das heissen: Freaks lesen zunächst Bücher über die Montage von Solarpanels und tauschen sich mit Gleichgesinnten aus – die Stufe der informellen Bildung. Besucht man dann einen Kurs bei einem Hersteller oder einem Lieferanten, wird von nicht formaler Bildung gesprochen. Entwickelt ein Thema Drive, werden erste Verbände gegründet. Diese machen in der Regel ihr Thema «olympisch»: «Welche neuen Bildungsangebote auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind, bestimmen die Berufsverbände», sagt Duttweiler. «Sie sind mit den Gegebenheiten in ihren Branchen am besten vertraut.»

Weiterbildung ist Big Business in der Schweiz. Die Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung (SKBF) hat jährliche Aufwendungen von mehr als 5,3 Milliarden Franken ermittelt, rund ein Prozent des BIP. Die Hälfte davon wird von den Lernenden selber bezahlt. Auf eidgenössischer Ebene ist das Angebot überblickbar. 400 Berufsprüfungen und 400 höhere Fachprüfungen sind im Angebot, dazu 230 berufliche Grundausbildungen, «wobei die 20 meistgewählten von zwei Dritteln aller Lernenden abgedeckt werden», so Duttweiler. Aufgrund der hohen Nachfrage nach IT-Fachkräften – bis 2017 fehlen gemäss Berechnungen des Verbandes ICT Berufsbildung 32 000 Spezialisten – setzt man beim BBT den Fokus auf die sogenannten MINT-Berufe (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik), zudem auf die Branchen Gesundheit und Cleantech.

Die globalen Treiber dahinter: der Hunger nach immer mehr Energie und damit das Bedürfnis nach Energieeffizienz. Die demografische Entwicklung, das Ergrauen des Planeten. Und das Management der Informationsströme, ohne die sich ein Leben heute kaum mehr denken lässt. «Die exakten Wissenschaften werden an Bedeutung gewinnen», glaubt auch Arbeitsmarktprofessor George Sheldon von der Uni Basel. Damit verbunden ist für den Portfolio-Worker der Zukunft der Imperativ, selber Wissen auf der informellen Stufe zu sammeln.

Auf Gates Spuren. Auch die Fabbing-Vorreiter Christiane Fimpel und Philipp Binkert – sie ist diplomierte Kommunikationsmanagerin, er hat einen Architekturabschluss vom New Yorker Pratt Institute – haben sich ihr Wissen on the job angeeignet. «Wir waren an Veranstaltungen, sind in Kontakt mit Herstellern, bewegen uns in Online und Offline Communities und haben so ein Netzwerk aufgebaut», zeigt Fimpel, die ihren Job «Ideenbeschleunigerin» nennt, die Lernkurve auf. Materialisiert sich der Siegeszug des Fabbing, will man beim BBT mitziehen: «Sollte auf dem Arbeitsmarkt ein Bedürfnis bestehen nach Fachpersonen im Bereich Digital Fabricating», sagt Duttweiler, «dann wird es eines Tages auch eidgenössisch geregelte Berufslehren und Angebote der höheren Berufsbildung geben.»

Bis dahin wird noch viel Kunststoff aus den 3-D-Druckern von Fimpel und Binkert rieseln. Vom Erfolg jedenfalls ist das Duo in Zürich Aussersihl überzeugt: «Wir sind Bill Gates im Keller unten.»

Andreas Güntert
Andreas GüntertMehr erfahren