Sie können die modernste Küche haben, die besten Zutaten kaufen und die teuersten Kochbücher lesen. Aber falls der Koch und sein Team nicht den ‹richtigen Spirit› haben, werden Sie nie neue Kreationen von Weltruhm erschaffen», sagt Bastian Widenmayer, Dozent und stellvertretender Leiter des Instituts für Innovation und Technologiemanagement an der Hochschule Luzern – Technik und Architektur. Eine gepflegte Innovationskultur ist für ihn entscheidend für den Erfolg eines Unternehmens. «Sie bildet das Rückgrat.»

Innovation ohne Hierarchie

Ganz ähnlich sieht man die Dinge bei Google Schweiz. Das Technologieunternehmen belegt den dritten Platz im neuen Ranking der «Top innovativen Unternehmen der Schweiz 2022», das BILANZ und «PME» zusammen mit Statista erarbeitet haben. «Unsere Unternehmens- und Innovationskultur ist unser Fundament», so Patrick Warnking, Country Director Google Schweiz. Diese Kultur müsse als Team breit abgestützt, gelebt und umgesetzt werden. Wohlbefinden, Respekt, Diversität, Inklusivität, Gerechtigkeit und persönliche Weiterentwicklung seien hierfür die Grundlage.

Von der richtigen Denkart als Grundvoraussetzung für Innovation spricht man auch im Kantonsspital Baden (KSB), Erstplatzierte in der Branche Gesundheit und Pflege. CEO Adrian Schmitter: «Wir fördern bei unseren Mitarbeitenden eine innovative Einstellung und Haltung, denn sie tragen den Wandel wesentlich mit.»

Dass gute Ideen nicht nur vom Management kommen können, sondern von jeder Ebene, von allen Mitarbeitenden im Unternehmen, davon ist man beim Schweizer Onlineshop QoQa, Erstplatzierte in der Branche Handel, fest überzeugt. «Dank der Selfleadership, die durch Holacracy ermöglicht wird, können diese noch eher ans Licht kommen», erklärt Pascal Meyer, Gründer und «Loutre in chief» (CEO) bei QoQa. Ob Produkt, Unternehmensführung, Firmenkultur oder agile Arbeitsweise: Das innovative Denken ziehe sich durch sämtliche Unternehmensbereiche. Solche Voraussetzungen dürften einen Beitrag geleistet haben, dass QoQa im Bereich Innovationskultur gemäss Statista-Auswertung zu den Spitzenreitern in der Schweiz gehört.

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Flache Hierarchien und eine agile Arbeitsorganisation sollen bei Roche, Erster im Gesamtranking der «Top innovativen Unternehmen der Schweiz 2022» sowie Erstplatzierte in der Sub-Liste der Branche Chemie und Pharmazie, eine aktive Innovationskultur unterstützen. «Innovation ist bei Roche nicht auf die Forschung und Entwicklung beschränkt; in der IT, der Produktion und den unterstützenden Funktionen werden ebenfalls innovative Ansätze verfolgt, um bestehende Arbeitsabläufe und Produkte kontinuierlich zu optimieren», hält Jürg Erismann, Standortleiter Roche Basel/Kaiseraugst, fest.

Zerstören vs. fortsetzen

Eine gepflegte Innovationskultur und die Menschen, die sie mittragen, gelten also als Schlüssel, um die Zukunft eines Unternehmens aktiv zu gestalten. Doch was genau verbirgt sich hinter dem breiten Begriff «Innovation»? Der Duden definiert sie als «Realisierung einer neuartigen, fortschrittlichen Lösung für ein bestimmtes Problem, besonders die Einführung eines neuen Produkts oder die Anwendung eines neuen Verfahrens.» HSLU-Dozent Bastian Widenmayer differenziert. «Es gibt unzählige Arten von Innovation: radikale versus inkrementelle Innovation; Produkt-/ Service-Innovation versus Geschäftsmodellinnovation und so weiter.»

Jeder dieser Ansätze nehme eine bestimmte Perspektive ein und habe seine Berechtigung. «Persönlich finde ich die Unterscheidung von Clayton Christensen und Kollegen sehr anschaulich. Sie unterscheiden zwischen ‹disruptive› und ‹sustaining› Innovationen.» Dabei stünden «disruptive» (zu Deutsch «zerstörende» oder «auflösende») Innovationen für neue Produkte, Services oder Geschäftsmodelle, die den Markt und die Wettbewerbslandschaft nachhaltig verändern. «Sustaining» (übersetzt «fortsetzende» oder «stützende») Innovationen würden hingegen kontinuierlich die Kernattribute der bestehenden Produkte und Dienstleistungen verbessern.

Wichtig für Widenmayer: Innovationen seien nicht per se vorteilhaft. Es komme immer auf die Perspektive an. «Die Atomindustrie der 70er und 80er Jahre hat zweifellos viele Arbeitsplätze geschaffen, Wohlstand erzeugt und den immer grösser werdenden Energiehunger der Industrie gedeckt», erklärt der Experte. Betrachte man dies jedoch unter heutigen ESG-Kriterien, wäre das Urteil vielleicht negativer. Grundsätzlich könne man jedoch festhalten, dass Innovationen die Basis des Fortschritts seien. «Sie sind ein entscheidender Motor unserer Gesellschaft und ein Garant für Wohlstand.»

«Wir wollen jeden Mitarbeitenden dazu animieren, innovative Ideen in seinen Arbeitsalltag einzubringen.»

Adrian Schmitter, CEO Kantonsspital Baden

Sämtliche 125 im Gesamtranking der «Top innovativen Unternehmen der Schweiz 2022» gelisteten Firmen trumpfen damit, dass Innovation innerhalb der Organisation tagtäglich aktiv gefördert wird; sie alle sind in dieser Kernkompetenz der Wirtschaft echte Gewinner. Massnahmen zur Entwicklung neuer Ideen gibt es zuhauf, auf interner wie auch auf externer Ebene. Erste Impulse werden oftmals, wie bereits angesprochen, innerhalb der eigenen Unternehmensmauern auf allen Ebenen gesucht und gefördert.

Dabei werden den Arbeitnehmenden unterschiedliche Hürden gesetzt: Neon beispielsweise, Zweitplatzierte in der Branche Banken und Versicherungen, sammelt neue Ideen unter anderem bereits sehr niedrigschwellig via Slackchannel #productideas. Bei Nestlé, Erstplatzierte im Branchenranking Lebensmittel und Konsumgüter sowie Fünftplatzierte im Gesamtranking, können die Mitarbeitenden ihre Kreativität über die Intrapreneurship-Plattform «InGenius» einbringen und zusammen mit Unternehmenspartnern, Start-ups und mit Hilfe von Design Thinking und anderen Methoden gemeinsam innovieren – vom Konzept bis zur Pilotphase.

Und die SBB, Erstplatzierte in der Branche Transport und Logistik, stellen mittels der «ONE Innovation Community» und des Intrapreneurship-Programms «Kickbox» sicher, dass internes Wissen möglichst effizient eingesetzt und zum Wohle aller geteilt wird. Zudem verfügt das Unternehmen über einen hauseigenen Inkubator. Dort werden autonom oder in Zusammenarbeit mit externen Firmen neue Ansätze und Technologien erprobt und erforscht und neue Lösungen ganz bewusst vor der Marktreife getestet.

Externes Wissen anzapfen

Beim Schweizer Onlineshop QoQa wurde der Innovationsprozess institutionalisiert: «Seit einigen Jahren gibt es bei uns intern das sogenannte ‹Qlab›. Mitarbeitende von QoQa oder auch Start-ups können im Rahmen dieses Qlab ihre Innovationen vorstellen», erklärt Pascal Meyer. Geleitet und organisiert werde das Qlab von zwei QoQa-Mitarbeitern, wobei die vorgestellten Innovationen von einer Jury bewertet werden. Damit werde auch die «Trial & Error»-Kultur gefördert, denn nur wer auch mal etwas wage, komme wirklich voran. Meyer: «Lieber einmal auf die Schnauze fallen, etwas daraus lernen, wieder aufstehen und anhand dieser Erfahrung wachsen!»

Beim Kantonsspital Baden wurde der Innovation eine eigenständige Abteilung gewidmet: «Da die Medizin laufend Fortschritte macht, ist es wichtig, neue Entwicklungen frühzeitig zu erkennen und aufzunehmen», hält Adrian Schmitter fest. «Um diesem Anspruch gerecht zu werden, hat das KSB 2018 einen Health Innovation Hub gegründet.» In diesem würden Ideen getestet, um das Gesundheitswesen nachhaltig zu verbessern. Ein gutes Netzwerk sei hierfür unabdingbar. «Wenn wir im Spital Abläufe, Prozesse und Technologien nachhaltig verändern wollen, dann müssen wir uns auch mit Leuten umgeben, die anders denken als wir», sagt Schmitter. Deshalb arbeite man im KSB Health Innovation Hub mit Start-ups zusammen, aber auch mit Technologiepartnern wie Siemens und ABB oder mit Institutionen wie der ETH, der Universität Zürich, der Fachhochschule Nordwestschweiz oder dem Paul-Scherrer-Institut.

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Externes Wissen anzapfen, um Innovation voranzutreiben, ist keine exklusive KSB-Strategie. Zahlreiche im Ranking weit vorne platzierte Unternehmen, darunter Schindler, SBB, Rolex, Nestlé oder ABB, arbeiten ebenso eng mit Start-ups, Hochschulen, Universitäten und renommierten Forschungsinstitutionen zusammen, um neue Ansätze und Technologien zu erforschen. Schindler unterhält sogar ein eigenes Forschungszentrum an der EPF Lausanne, um zusammen mit Professoren und Studierenden die Zukunft zu zeichnen.

Auch Pharmariese Novartis, Zweitplatzierte im Gesamtranking sowie innerhalb der Branche Chemie und Pharmazie, ist bestrebt, den Austausch mit anderen Akteuren in Forschung und Technologie positiv zu beeinflussen. Ein Beispiel ist der Novartis Campus in Basel, der seit vergangenem Jahr für die Ansiedlung von externen Start-ups, Inkubatoren, Instituten, Unternehmen und Partnern offensteht. «Innovation entsteht sehr oft aus der Interaktion und dem direkten Austausch von Forscherinnen und Forschern mit unterschiedlichem Erfahrungshintergrund», sagt Vas Narasimhan, CEO von Novartis.

Und auch bei Google setzt man auf das Know-how von aussen: «Wir entwickeln vor Ort in Zusammenarbeit mit Partnern aus Academia (ETHZ/EPFL, Universität St. Gallen und anderen), Unternehmen von Start-ups bis zu multinationalen Playern, aber auch mit Repräsentanten aus der NGO-Welt und der Zivilgesellschaft innovative Lösungen», betont Patrick Warnking.

Qualität aus der Schweiz

«Made in Switzerland» sei weltweit ein Gütesiegel, so Warnking weiter. «Die Kultur und die Vielfalt der Schweiz sind ein grosser Vorteil, um unterschiedliche Bedürfnisse zu verstehen und Lösungen dafür zu denken», weiss der Google-Mann. So stammten etwa grosse Teile von Google Maps, Cloud, YouTube und von vielen anderen Google-Produkten aus der Schweiz. Warnking: «Insbesondere für die Schweiz ist es wichtig, auch in Zukunft ein führender Standort für nachhaltige Forschung, Entwicklung und Innovation zu sein. Davon profitiert das ganze Land.»

Dass die Schweiz in Sachen Forschung und Entwicklung weltweit führend ist, zeigt auch die Anzahl Patente, die in der Schweiz erfunden wurden, also «made in Switzerland» sind: Ganz vorne dabei ist hier die Swatch Group (Zweitplatzierte in der Branche Mode, Bekleidung und Luxusgüter), noch vor Roche und Nestlé. Aber auch die Schweiz-Töchter von Google, IBM (Zweitplatzierte in der Branche Medien, Telekommunikation und IT), Johnson & Johnson (Viertplatzierte in der Branche Chemie und Pharmazie) und BASF (14. in der Branche Chemie und Pharmazie) sind bei in der Schweiz entwickelten Patenten sehr stark aufgestellt, ebenso Syngenta (10. in der Branche Chemie und Pharmazie), Sika (7. in der Branche Chemie und Pharmazie) und Schindler.

Auch beachtenswert, doch weniger «rekordverdächtig» arbeitet das Traditionsunternehmen Rolex. So hat die Schweizer Uhrenmanufaktur im Laufe ihrer 116-jährigen Geschichte über 500 Patente angemeldet und zahlreiche uhrmacherische Innovationen entwickelt. Und das Technologieunternehmen ABB hat 2020 mehr Patente beim Europäischen Patentamt eingereicht als jedes andere Schweizer Unternehmen.

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Wie Innovation gelingt

An der Tabellenspitze des Gesamtrankings finden sich auffallend viele Unternehmen aus dem Bereich Chemie und Pharmazie. Der Innovationsexperte Bastian Widenmayer warnt allerdings vor dem voreiligen Schluss, Innovation mit der Anzahl angemeldeter Patente gleichzusetzen: «Eine Innovation ist eine Invention, die eine erfolgreiche Anwendung im Markt findet», definiert er. Daher sei ein Patent eben nur ein Indikator. «Entscheidend ist, ob das Patent wirklich Einzug in ein erfolgreiches Produkt oder einen erfolgreichen Service hält.»

Für Unternehmen, die ihren Innovationserfolg nachhaltig steigern wollen, hat Bastian Widenmayer den folgenden Rat: «Wichtig ist, dass es eben nicht nur eine zentrale Massnahme gibt», sagt er und knüpft an seine Koch-Metapher an: «Wie bei einem guten Essen benötigt auch Innovation viele Zutaten und die richtige Zubereitung.» Hierzu würden Strategien, Organisationsformen, Prozesse und Unternehmenskulturen zählen, die Innovation fördern. «Alle diese Zutaten müssen vorhanden, aufeinander abgestimmt und richtig umgesetzt werden. Dann gelingt Innovation.»

So wurden die Daten erhoben:  zur Methodik