Bienenwaben ziehen sich über die hohe Fensterfront im Erdgeschoss des sechsstöckigen Bürobaus im Zürcher Industriequartier. Draussen kühles Glas und Beton, drinnen gemütliches Hygge-Design: viel Holz, viel Grün, viele Polster und die unvermeidbaren Töggelikästen. Die Adresse, Hardturmstrasse 181, bringt ihren Mietern offensichtlich Glück: Im ersten Stock ist Scandit einquartiert, eines der erfolgreichsten Schweizer Start-ups. Über 2000 Firmen rund um die Welt bedient es mit seiner Scan-Software und ist ein Unicorn, eine Jungfirma mit einem Wert von über einer Milliarde Dollar. Im Erdgeschoss ist Beekeeper einquartiert, ebenfalls eines der erfolgreichsten Schweizer Start-ups: Über 1200 Firmen rund um die Welt bedient es mit seiner Software für Mitarbeitermanagement und ist ein Soonicorn, ein baldiges Unicorn.

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Was sie ausser der Adresse gemeinsam haben: Sie sind von Start-ups zu Scale-ups geworden – und haben damit auf die Überholspur gewechselt. Die Herausforderung liegt nun nicht mehr im Überleben, sondern im möglichst schnellen Wachstum. Denn den beiden ist es gelungen, in den letzten 24 Monaten eine namhafte Finanzierungsrunde zu stemmen, 150 Millionen bei Scandit, 50 Millionen bei Beekeeper. Und das trotz schwierigster Umstände: Um 46 Prozent ist das Volumen an Investitionen in Wagniskapital letztes Jahr in Europa zurückgegangen, in der Schweiz waren es im ersten Halbjahr 2023 (neuere Zahlen liegen noch nicht vor) sogar 54 Prozent. Weltweit sind Anzahl und Umfang von Finanzierungsrunden zurückgefallen auf den Stand des Jahres 2018 – vier Jahre Wachstum wurden damit ausradiert.

yokoy

Yokoy

 

Sitz: Zürich

Produkt: Software für Ausgabenmanagement

Gründungsjahr: 2019

Gründer: Thomas Inhelder, Lars Mangelsdorf, Philippe Sahli, Devis Lussi (v.l.), Melanie Gabriel (ausgeschieden)

Mitarbeiter: ca. 280

Umsatz: ca. 40 Mio. CHF

Letzte Finanzierung: 80 Mio. USD (März 2022)

Gesamtfinanzierung: 108 Mio. USD

Bewertung: >500 Mio. USD

Quelle: KI-Visualisierung: Sy Goldstein / AI Artists für BILANZ. Diese Illustration wurde vom KI-Modell Midjourney generiert und von einem Menschen überprüft und finalisiert.

Ukraine- und Nahostkrieg, Inflation, steigende Zinsen, Wachstumssorgen – es ist ein Giftcocktail, der zuerst die Tech-Aktien dahinsiechen liess und dann mit etwas Verzögerung auch die Venture-Capital-Szene massiv schwächte. Viele Start-ups müssen aufgeben, weil sie kein Geld mehr bekommen. Oder nur noch zu deutlich tieferen Bewertungen als in den Vorjahren. Das erzürnt nicht nur die Altinvestoren, die zu höheren Preisen eingestiegen waren, sondern vor allem die Mitarbeiter, deren Optionen nun oftmals wertlos sind. Abgänge von Top-Talenten sind häufig die Folge. Letztes Jahr waren weltweit rund 20 Prozent aller Finanzierungen sogenannte Down Rounds – trauriger Rekord! «Dabei gibt es eigentlich genügend Geld im Markt. Die VC-Fonds sind einfach vorsichtiger geworden und halten ihr Pulver trocken», sagt Alex Fries, Start-up-Investor im Silicon Valley und in der Schweiz: «Aber wenn eine Firma gutes Wachstum zeigt und dazu profitabel ist, dann hat sie auch jetzt intakte Chancen, Geld zu bekommen.»

 

Spektakulärer Pivot

So wie eben Beekeeper. Die Firma, 2012 gegründet, stellt Software zum Workforce-Management her. Firmen wie ABB, Denner, Holcim, der Flughafen London-Heathrow, Marriott und Hilton erreichen mit ihrer App jene Mitarbeiter, die im Feld oder an der Kundenfront arbeiten und häufig keinen E-Mail-Zugang haben. Dabei startete Beekeeper ganz anders: mit einer Flirting-App für Studenten. Der Erfolg war überschaubar, das Geld ging zur Neige, als ein Hotelmanager auf die vier Gründer um CEO Cristian Grossmann zukam mit der Frage, ob sie ihm eine App programmieren könnten, mit der er den Angestellten ihre Schichtpläne mitteilen und Urlaubsanträge etc. erfassen könne.

scandit

Scandit

 

Sitz: Zürich

Produkt: Software zur Text- und Datenerkennung

Gründungsjahr: 2009

Gründer: Christian Floerkemeier, Christof Roduner, Samuel Müller (v.l.)

Mitarbeiter: ca. 550

Umsatz: ca. 100 Mio. CHF

Letzte Finanzierung: 150 Mio. USD (Februar 2022)

Gesamtfinanzierung: knapp 300 Mio. USD

Bewertung: >1 Mrd. USD

Quelle: KI-Visualisierung: Sy Goldstein / AI Artists für BILANZ. Diese Illustration wurde vom KI-Modell Midjourney generiert und von einem Menschen überprüft und finalisiert.

Sie taten es. «Was wir aus der Dating-App gelernt haben: Die Benutzeroberfläche muss so einfach sein wie bei Facebook oder WhatsApp, nicht so kompliziert wie bei SAP», sagt Grossmann. Dieser spektakuläre Pivot machte sich bezahlt, schnell wurde die App auf andere Branchen ausgeweitet. Covid brachte den Durchbruch: Die Unternehmen konnten ihre Angestellten plötzlich nicht mehr erreichen, weil diese daheimblieben. «Da haben viele Chefs gesagt: Statt auf dem Balkon zu klatschen, muss ich in die Mitarbeiter investieren», so Grossmann. Heute steuern die über 200 Mitarbeiter von Beekeeper auf 50  Millionen Franken Umsatz zu.

Auch Oviva profitierte von der Pandemie. Die Firma aus Altendorf SZ hat eine App zur Therapie von Fettleibigkeit und Diabetes entwickelt und vernetzt Patienten virtuell mit Ernährungsberatern. «Corona hat die Digitalisierung in der Medizin beschleunigt, jeder Arzt und Patient hat gemerkt: Es geht doch, die Tools sind gar nicht so schlecht», erinnert sich Co-Gründer und CEO Kai Eberhardt: «Auch wenn vieles wie etwa Videosprechstunden inzwischen weitgehend wieder verschwunden ist.» Entscheidend für den Erfolg von Oviva war aber etwas anderes: Die Fähigkeiten im dreiköpfigen Gründerteam komplementieren sich, medizinisch, technisch, kommerziell. Vor allem aber ging die Firma sehr rasch den internationalen Markt an.

«Die Schweiz ist zu klein für schnelles Wachstum und damit für hohe Bewertungen», sagt Eberhardt – eine Erkenntnis, die für alle Scale-ups gilt. Aber mit steigender Anzahl Märkte steigt auch die Komplexität: regulatorisch, juristisch, kulturell, bei physischen Produkten auch logistisch. Heute bedient Oviva 300 000 Patienten weltweit, ist mit total 115 Millionen Dollar durchfinanziert bis zur Gewinnschwelle. «In zwei Jahren wollen wir parat sein für einen Börsengang», so Eberhardt.

 

Wie Zähneputzen

Die meisten Start-ups kommen nie so weit. «Die Hauptgefahr am Anfang ist, dass das Team auseinanderfällt», sagt Elias Kleinmann, Co-Gründer der Drohnenfirma Wingtra: «Schliesslich arbeitet man 13 Stunden pro Tag miteinander.» Er war vorbereitet: Mit einem seiner Co-Gründer, Max Boosfeld, hatte er zuvor jahrelang in einer WG gewohnt. Gemeinsam initiierten und betrieben sie die «Kleine Freiheit», ein Studenten-Café in einem Schiffscontainer unterhalb der ETH. «Da haben wir gemerkt, dass wir sehr gerne Projekte zusammen machen», so Kleinmann.

Nach einem komplexen Drohnenprojekt an der ETH gründeten sie 2016 mit zwei Kommilitonen Wingtra und entwickelten eine Drohne, die dank Rotoren senkrecht starten und landen kann wie ein Helikopter und dank Tragflächen so weit fliegen wie ein Propellerflugzeug. Sie ist, obwohl technisch einfach, 10- bis 15-mal effizienter als eine Standarddrohne. Hauptsächlich wird sie für Vermessungs- und Inspektionsaufgaben eingesetzt, etwa auf grossen Baustellen, Flugplätzen oder Agrarflächen. «Wir haben uns die Gründerzeit nicht schöngemalt», erinnert sich Kleinmann: «Wir wussten, das wird crazy. Aber das ist das, was wir wollten.»

beekeeper

Beekeeper

 

Sitz: Zürich

Produkt: Workforce-Management-Software

Gründungsjahr: 2012

Gründer: Daniel Sztutwojner, Andreas Slotosch, Cristian Grossmann, Flavio Pfaffhauser (v.l.)

Mitarbeiter: >220

Umsatz: knapp 50 Mio. CHF

Letzte Finanzierung: 50 Mio. USD (November 2022)

Gesamtfinanzierung: >100 Mio. USD

Bewertung: ca. 250 Mio. USD

Quelle: KI-Visualisierungen: Sy Goldstein / AI Artists für BILANZ. Diese Illustrationen wurden vom KI-Modell Midjourney generiert und von einem Menschen überprüft und finalisiert.

Und die Gründer investieren viel in den Zusammenhalt ihrer Mannschaft. Co-Founder Basil Weibel besuchte einen Lehrgang an der Stanford University, Thema: Wie funktionieren erfolgreiche Teams? «Darauf wird im Silicon Valley viel mehr wert gelegt als hier», so Kleinmann. Seither definiert man bei Wingtra Prinzipien, nach welchen Standards gearbeitet werden soll, man führt strukturierte Feedback-Runden durch etc. «Das ist wie Zähneputzen: Machst du es nicht, merkst du anfangs nichts», so Kleinmann: «Aber nach drei, vier Jahren sind deine Zähne kaputt, und dann ist es sehr schwierig, das zu korrigieren.» Heute zählt Wingtra 200 Mitarbeiter. Die meisten rekrutiert man an der ETH und der EPFL, denn fast nur dort gibt es die nötigen Spezialisten.

 

Mangel an Fachkräften

Generell ist das Anheuern von Fachkräften hierzulande ein Problem. Bis vor etwa einem Jahr herrschte gewaltiger Mangel, die Kandidaten konnten die Bedingungen diktieren. Seit den Entlassungswellen bei Google, Meta und Co. auch in der Schweiz hat sich die Situation leicht entspannt, bleibt insgesamt aber schwierig. Viele Scale-ups verlagern daher Arbeiten wie das Programmieren an ihre Niederlassungen im Ausland. Yokoy hat noch eine andere Lösung gefunden. Die Firma, erst 2019 gegründet, residiert in den ehemaligen Büros von Scandit im Zürcher Westen – die Welt ist klein, die Schweizer Start-up-Welt erst recht. Um qualifizierte Mitarbeiter für sich zu gewinnen, bietet sie jedem der inzwischen 280 Angestellten Eigenkapital. «Das funktioniert gut, die Leute fühlen sich als Teil der Firma», sagt CEO und Co-Gründer Philippe Sahli: «Man kann auch mit wenig Equity viel erreichen.»

Yokoy entwickelte zunächst Software für das Spesenmanagement. Entscheidend in der jungen Firmengeschichte sei gewesen, erinnert sich Sahli, die ersten zehn Kunden zusammenzubekommen: «Mit zehn Kunden ist man eine Firma, vorher ist man eine Idee.» Erst dann erhalte man genug Feedback, um das Produkt systematisch zu verbessern, und könne auch in den Ausbau der Belegschaft investieren: «Dann gibt es mehr als nur die Gründer.» Und das Timing sei für Yokoy entscheidend gewesen: «Hätten wir uns wie die Konkurrenz auf KMU-Kunden fokussiert, wären wir drei oder vier Jahre zu spät gewesen.

Bei Grossfirmen waren wir die ersten Herausforderer von SAP.» Um weiter vorne zu bleiben, traf Yokoy vor einem Jahr die strategische Entscheidung, auch Rechnungs- und Kreditkartenmanagement anzubieten. Heute verarbeitet die Firma die kompletten Ausgaben für mehr als 500 Unternehmen in 68 Ländern (unter anderem auch Sahlis ehemaligen Arbeitgeber Beekeeper) und ist laut der renommierten Tech-Plattform Sifted der «Financial Times» das am zweitschnellsten wachsende Start-up Europas.

sonarsource

SonarSource

 

Sitz: Vernier GE

Produkt: Open-Source-Software für kontinuierliche Codequalität und -sicherheit

Gründungsjahr: 2008

Gründer: Olivier Gaudin, Freddy Mallet (ausgeschieden), Simon Brandhof (ausgeschieden)

Mitarbeiter: ca. 500

Umsatz: ca. 200 Mio. CHF

Letzte Finanzierung: 412 Mio. USD (April 2022)

Gesamtfinanzierung: 457 Mio. USD

Bewertung: 4,7 Mrd. USD

Quelle: KI-Visualisierungen: Sy Goldstein / AI Artists für BILANZ. Diese Illustrationen wurden vom KI-Modell Midjourney generiert und von einem Menschen überprüft und finalisiert.

Je steiler aber der Wachstumspfad, desto höher der Bedarf an Geldmitteln. Bootstrapping, die Finanzierung aus den eigenen Gewinnen, gilt als Königsweg. SonarSource hat diesen Weg beschritten. Die Firma mit Sitz in Vernier GE stellt Software her, die Programmierern hilft, sauberen, sicheren und nachvollziehbaren Code zu entwickeln. «Der typische Programmierer macht das nicht, weil er sagt: Kein Mensch wird meinen Code anschauen. Und dann kommt er sechs Monate später selber nicht mehr draus», beschreibt es SonarSource-Gründer und Co-CEO Olivier Gaudin: «Aber den Code nicht zu pflegen, ist, wie das Auto nicht zu pflegen: Eines Tages zahlt man den Preis dafür.»

Im Jahr nach der Gründung 2008 verzeichnete SonarSource einen Verlust von 4000 Franken, seither ist die Firma profitabel – «sehr, sehr profitabel», wie Gaudin präzisiert. Kein Wunder, denn sieben Millionen Programmierer in über 500 000 Organisationen von Microsoft über Siemens bis zum FBI nutzen ihre Tools. Die Firma wächst mit über 50 Prozent pro Jahr, eine Milliarde Umsatz ist das Ziel. Den Weg dorthin könnte sie auch in Zukunft locker selbst finanzieren. Sie tut es nicht. «Beim Bootstrapping fehlt es häufig an Disziplin», sagt Gaudin: Man lebe in einer Komfortzone, werde nur intern gechallenged, sei nicht zu Monatsberichten gezwungen, vergleiche sich nicht mit anderen Firmen.

So nahm SonarSource vor 22 Monaten die stolze Summe von 412 Millionen Dollar auf. Der Firmenwert wurde dabei auf 4,7 Milliarden Dollar taxiert. SonarSource, die bisher weitgehend unter dem Sonar der Öffentlichkeit tauchte, ist damit die wertvollste Jungfirma des Landes. Gaudins Rat: sich von den 1000 Dingen, die ein Start-up tun kann, auf die zwei oder drei lebenswichtigen konzentrieren. «Und die richtige Balance halten zwischen dem, was die Investoren sagen, und dem, was man selber für richtig hält.»

 

Wille fehlt

Hauptgeldgeber bei SonarSource waren die US-Gesellschaften Advent International, General Catalyst und Permira. Schweizer VCs spielten keine nennenswerte Rolle mehr – wie auch bei den anderen Scale-ups. Geld für die Seed-Runde gibt es hierzulande zuhauf, auch bei der Series A sind meist Schweizer Investoren aktiv. Doch ab der Series B, wenn die Tickets 20 bis 30 Millionen übersteigen, springen zunehmend ausländische Geldgeber ein. Dabei gäbe es in der reichen Schweiz eigentlich genug Kapital. Allein es fehlt der Wille, es in risikobehaftete Jungfirmen anzulegen.

Das erlebte auch Scandit. Die 2009 gegründete Firma ist ebenfalls ein Unicorn, macht mit ihren 550 Mitarbeitern rund 100 Millionen Umsatz. Über 2000 Kunden benutzen ihre Technologieplattform zum Scannen von Texten, QR- und Barcodes, in der Schweiz etwa Coop, Migros, SBB oder Twint, weltweit Firmen wie FedEx, Decathlon, Sanofi oder SAS. «Die Mobile App Economy hat einen Gold Rush ausgelöst, alle wollen graben», sagt Co-Gründer und CEO Samuel Müller: «Wir verkaufen die Schaufeln.» Und zwar sehr systematisch.

Denn die Basistechnologie von Scandit ist mächtig, entsprechend gross ist der Markt. Müller und seine beiden Co-Gründer Christof Roduner und Christian Floerkemeier von der ETH haben sich eine Schnitte dieses Marktes nach der anderen vorgenommen: «Die unglaubliche Fülle von Anwendungsfällen, die unsere Produkte unterstützen können, war wahrscheinlich das Überraschendste auf unserer Reise.»

Scandit schaffte es als erstes Schweizer Start-up, die absolute Topliga der internationalen Investoren für sich zu gewinnen: Die Seed-Runde 2014 wurde noch angeführt vom Schweizer VC Ariel Lüdi. In der Series A drei Jahre später war Skype-Gründer Niklas Zennström mit seiner Risikokapitalgesellschaft Atomico der grösste Investor. In der Series B übernahm dann Google Ventures die Hauptrolle, in der Series C die Silicon-Valley-Legende Kleiner Perkins.

Bei der letzten Finanzierungsrunde vor zwei Jahren kam das meiste Geld von der Beteiligungsgesellschaft Warburg Pincus, die in der Schweiz bereits 2017 mit der Beteiligung an Avaloq Furore machte. «Diese Investoren schliessen gewisse Erfahrungslücken bei Business Development, Corporate Leadership, Scaling oder dem Umgang mit dem Kapitalmarkt. Denn im deutschsprachigen Raum gibt es gar nicht so viele Leute, die das alles schon durchlaufen haben», sagt Müller.

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Oviva

 

Sitz: Altendorf SZ

Produkt: App-basierte Therapien gegen Fettleibigkeit und Diabetes

Gründungsjahr: 2014

Gründer: Kai Eberhardt, Manuel Baumann (v.l.), Mark Jenkins (ausgeschieden)

Mitarbeiter: ca. 700

Umsatz: ca. 160 Mio. CHF (geschätzt)

Letzte Finanzierung: 80 Mio. USD (September 2021)

Gesamtfinanzierung: 115 Mio. USD

Bewertung: ca. 350 Mio. USD

Quelle: Foto: zVg; KI-Visualisierung: Sy Goldstein / AI Artists für BILANZ. Diese Illustration wurde vom KI-Modell Midjourney generiert und von einem Menschen überprüft und finalisiert.

Doch nicht immer geht das gut. Das hat Beekeeper erleben müssen, der Untermieter von Scandit im Zürcher Westen. 2018 hatte die Firma nur noch Cash für drei Wochen auf der Bank, aber bereits ein Term Sheet mit einem US-Investor unterschrieben, der weitere zehn Millionen Dollar in die Firma stecken wollte. Als dessen Vertreter nach Zürich zur Due Diligence kamen, zeigte sich: Es war ein kulturelles No-Go. «Sie brüllten unsere Mitarbeiter an, schickten sie aus den Meetingräumen, benutzten das F-Wort häufiger als jedes andere», erinnert man sich bei Beekeeper: «Wir dachten, wir sind im falschen Film.» Am Schluss entschieden sich die Gründer, den Deal nicht durchzuziehen.

Um das Überleben der Firma sicherzustellen, bis ein neuer Investor gefunden werden konnte, mussten sie noch einmal eigenes Geld in die Firma stecken. «Unser Fehler war, die Investoren vorher nicht besser persönlich kennenzulernen und zu prüfen, ob wir auch von den Werten her zusammenpassen», sagt Grossmann. «Man entscheidet sich eigentlich nicht für einen Fund, man entscheidet sich für eine Person, die später bei dir im Board sitzt und mit der du intensiv zusammenarbeitest», hat auch Philippe Sahli von Yokoy festgestellt: «Am Schluss ist es egal, bei welchem Fund die Person angestellt ist.»

Häufig verlangen amerikanische Investoren von den Schweizer Start-ups, sich als US-Firma zu inkorporieren. Beekeeper ist so ein Fall. Weil sie gar nicht in ausländische Firmen investieren dürfen, da sie nicht für jedes Land eigene Anwälte beschäftigen wollen oder eine spätere Übernahme oder einen Börsengang erleichtern wollen. Die Folge: Auch Mitarbeiter für Business Development, Marketing oder Sales siedeln über den grossen Teich um. «Entwicklung und Engineering bleiben aber meist vor Ort, weil europäische Start-ups sehr produktorientiert sind», hat Fries beobachtet.

Logitech ist ein gutes Beispiel: R&D ist beim Hersteller für Computerzubehör in der Schweiz konzentriert, die Kommerzialisierung in den USA. Klar ist aber: Mit jedem Mitarbeiter, der das Land verlässt, wandern auch Lohn und Steuereinnahmen ab. Und mit jeder Aktie, die ausländische Investoren zeichnen, verliert die Schweizer Volkswirtschaft auch einen Teil der Gewinnausschüttung. Das schmälert den Wohlstand hierzulande.

 

Attraktives Arbeitsrecht

Dabei ist die Schweiz ja eigentlich gut positioniert. Das – anders als etwa in Frankreich – liberale Arbeits- bzw. Kündigungsrecht ist für Gründer und Investoren attraktiv. Die starken Hochschulen bringen immer wieder vielversprechende Technologie auf den Markt, dank ETH, EPFL und den Niederlassungen der US-Tech-Giganten finden sich viele Talente hier, sie gelten als unternehmerisch und anpassungsfähig. So gibt es noch zahlreiche andere Scale-ups, die für Furore sorgen: Climeworks etwa, die für ihre Carbon-Capture-Technologie mit 600 Millionen Franken die grösste Schweizer Finanzierungsrunde aller Zeiten einfahren konnte. Oder das verschwiegene Unicorn Proton, 2014 von Wissenschaftlern am CERN ins Leben gerufen, deren E-Mail-Verschlüsselungssoftware weltweit 100 Millionen Anwender nutzen. Anybotics, die mit ihren Inspektionsrobotern durchstartet – «ein absoluter Superstar in der Schweizer Start-up-Szene, eine der wenigen Firmen, die global einen Unterschied machen werden», so Start-up-Investor Daniel Gutenberg.

Die Zürcher Auterion, deren Betriebssystem für Drohnen inzwischen weltweiter Standard ist und sogar vom Pentagon eingesetzt wird. Oder Distalmotion in Epalinges VD, die für ihre Chirurgieroboter gerade 150 Millionen eingesammelt hat. Die allermeisten sind profitabel – oder könnten es jederzeit werden, verzichten aber noch darauf zugunsten weiterer Investitionen. Sei es in neue geografische Märkte, sei es in neue Produkte, sei es in neue Technologien: Das Thema KI lässt heute kein Tech-Start-up unberührt. Und bei vielen ist ein Börsengang eine Option am Horizont.

Und doch ist es noch ein langer Weg, bis die Schweiz in der Champions League mitspielen kann. «Es braucht eine andere Risikokultur, es braucht zehnmal mehr Geld und doppelt so viel kluge Köpfe», nennt es Kleinmann von Wingtra.

Damit es noch viel mehr glücksbringende Adressen wie die Hardturmstrasse 181 gibt.