Die Schlagzeilen rund um Kryptowährungen waren in den vergangenen Tagen dominiert von sinkenden Kursen und Vertrauensverlusten. Per Mitte Mai erreichte der Kurs von Bitcoin ein Jahrestief von unter 26’000 USD, der Aktienkurs der Kryptobörse Coinbase sank auf ein Rekordtief von 11 Milliarden USD (nachdem die Firma im April 2021 zu einer Bewertung von 86 Milliarden USD an die Börse gegangen war).

Zusätzlich wurde bekannt, dass zum Beispiel 182 Millionen USD vom Protokoll Beanstalk innerhalb von 20 Sekunden ohne ein gehacktes Passwort gestohlen wurden. Vom «Play-to-Earn» Spiel Axie Infinity wurden gerade erst 625 Millionen USD gestohlen. 

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Am härtesten getroffen wurden jedoch Stablecoins, allen voran TerraUSD. Dieser sollte eigentlich per Definition ein USD pro Terra wert sein, der Kurs fiel jedoch Mitte Mai innerhalb von 72 Stunden auf 0.00001 USD pro TerraUSD. Was war passiert?

Stablecoins gegen Kursschwankungen

Der Wert von Kryptowährungen fluktuiert stark. Kursschwankungen von 10 Prozent und mehr an einem Tag sind nicht selten. Dementsprechend ungeeignet sind sie zum Beispiel für Anwendungsfälle, die einen stabilen Wert brauchen, wie etwa grenzüberschreitende Zahlungen. Zum Beispiel sind Lohnzahlungen in Bitcoin nur dann sinnvoll, wenn die Betroffenen entweder einen sehr hohen Risikoappetit haben oder es sich leisten können, dass sich der Kontostand innerhalb von wenigen Tagen halbieren kann. Wenn nicht, braucht es stabilere Kryptowährungen wie sogenannte Stablecoins.

Pascal Unger ist Managing Partner bei der Venture-Capital-Gesellschaft Darling Ventures in San Francisco.

Die Idee hinter Stablecoins ist, dass sie «preis-stabile» Digitale Assets sind, die gebunden sind an den Wert von Realwährungen (genannt fiat). Meist ist eine Einheit des Stablecoins gleich viel Wert wie ein USD oder eine andere Realwährung. Theoretisch haben Stablecoins die Vorteile einer digitalen Währung (inklusive der sofortigen globalen Zahlungen mit minimalen Transaktionskosten), ohne den Nachteil der starken Kursschwankungen. Unterschieden wird dabei zwischen vier Arten von Stablecoins, basierend auf der zugrunde liegenden Sicherheit. 

Die am weitesten verbreiteten Fiat-basierte Stablecoins sind 1:1 mit Realwährung abgesichert – zumeist bei einer Bank. Das bedeutet, die Sicherheit ist «Off Chain». Somit können zum Beispiel mit zehn Millionen USD auf einer Bank zehn Millionen Stablecoins mit einem Wert von je einem USD herausgegeben werden. «Crypto-Backed» Stablecoins haben andere Kryptowährungen als Sicherheit. «Commodity-Backed Stablecoins» sind mit physischen Gegenständen wie Gold, Immobilien oder Öl hinterlegt.

Da Kryptowährungen und physische Gegenstände Kursschwankungen unterliegen, muss man für solche Stablecoins Sicherheiten von über 100 Prozent hinterlegen. Vor allem bei «Crypto-Backed» Stablecoins ist es nicht selten, dass man 200 Prozent des Stablecoin Betrags als Sicherheit hinterlegen muss, um gegen einen Preiszerfall von bis auf 50 Prozent abgesichert zu sein. Eine Unterdeckung eines Stablecoins kann zu einem Zerfall der Währung führen, da für die Letzten, die Ihre Assets verkaufen, nichts mehr übrigbleibt – so wie bei einem Bankensturm.

Am kompliziertesten sind sogenannte «Algorithmic» Stablecoins. Diese haben keine Sicherheit hinterlegt. Stattdessen basieren sie auf Algorithmen, die das Angebot an Tokens managen. Den bekannten «Algorithmic» Stablecoin TerraUSD kann man mit dem Terra Luna Token kaufen (beide gehören zum Terra Netzwerk). Wenn der Preis von TerraUSD unter einen USD fällt, können Leute mit Luna TerraUSD zu einem Preis von unter einem USD kaufen, womit die Nachfrage nach TerraUSD steigt und das Angebot an Luna sinkt, bis TerraUSD wieder auf einen USD steigt. Dieser Mechanismus funktioniert jedoch nur so lange, wie die Käufer an den Wert von Luna und TerraUSD Glauben (da ja keine andere Sicherheit hinterlegt ist). Wenn der Glaube an den Wert der beiden Kryptowährungen zerfällt und gleichzeitig mehr Luna und TerraUSD verkauft als gekauft werden, dann bricht dieses System zusammen. 

Stablecoins sind nicht mehr stabil

Und genau dies ist Mitte Mai passiert. Luna war lange eine der Top 10 Kryptowährungen mit einem Marktwert von 40 Milliarden USD, in TerraUSD waren fast 19 Milliarden USD gebunden. Anfangs April war der Wert von einem Luna 120 USD und der TerraUSD war (wie er sein sollte) immer ungefähr bei einem Wert von einem USD. 

In der Woche vom 9. Mai begannen der Wert von TerraUSD und Luna jedoch plötzlich stark zu sinken (über den genauen Grund dahinter wird immer noch spekuliert, es ist jedoch klar, dass jemand viel Geld damit verdient hat). Dabei fiel ein TerraUSD zunächst auf 60 Cent - viel tiefer, als er jemals fallen sollte. Dies führte zu Panik und zu einem Vertrauensverlust bei Luna und TerraUSD und löste einen Bankensturm auf beide Krypto-Währungen aus. Womit am 11. Mai der Kurs von TerraUSD schon auf 20 Cent gefallen war. Am 13. Mai war der TerraUSD dann bei 0.00001 USD. Es ist schwer zu glauben, dass dieser Schaden wieder repariert werden kann.

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Gleichzeitig wurden rund 60 Milliarden USD an Wert vernichtet, und es gingen Spekulationen rund um andere Stablecoins los. Der «Fiat-Backed» Stablecoin Tether geriet ebenfalls fast zeitgleich unter massiven Druck, als der Kurs auf 95 Cents sank, weil Tether mit einem Wert von drei Milliarden USD verkauft wurden. Dies, nachdem mit der Bekanntgabe eines Gerichtsurteils klar wurde, dass Tether nicht nur USD als Sicherheit verwendete, sondern auch viele andere Assets wie Aktien und kurzfristige, nicht abgesicherte Verbindlichkeiten. Aufgrund der aktuellen Marktsituation und dem Zerfall der Aktienpreise führte dies zu Panik rund um eine Unterdeckung von Tether – einer Währung mit rund 80 Milliarden an Marktwert. Anders als Terra konnte sich Tether jedoch (vorerst) wieder stabilisieren bei einem Wert von einem USD.

Nichtsdestotrotz ging in den letzten Tagen nicht nur viel Vertrauen in Stablecoins als stabile Kryptowährungen, sondern auch in Kryptowährungen generell verloren. Allein zwischen dem 9. und 12. Mai wurden 400 Milliarden USD an Wert in den Krypto-Märkten vernichtet.


Ist Krypto inzwischen «too big to fail»?

Hätte man vor zwei Wochen Nicht-Krypto Enthusiasten gefragt, wie deren Leben beeinflusst würden, wenn die Preise einiger JPEG Affen und algorithmischer Stablecoins abstürzen, hätten wohl die meisten damit geantwortet, dass sie nicht im Entferntesten betroffen sind. Wohl auch wegen der Ansicht, dass der Rest des Finanzsystems nicht abhängig sei von Krypto-Preisen. 

Die letzten zwei Wochen haben jedoch gezeigt, dass dies nicht mehr vollständig zutrifft. Nicht nur Individuen und gewisse professionelle Investoren sind (teilweise basierend auf dem Wertzuwachs in den letzten Jahren) immer exponierter gegenüber Krypto-. Auch immer mehr börsenkotierte Unternehmen haben mit Krypto zu tun, sei es direkt (z.B. Coinbase, Square oder PayPal) oder indirekt (z.B. der Chip-Hersteller NVIDIA, dessen Prozessoren für Crypto Mining verwendet werden). Und dementsprechend sind auch alle Fonds und Portfolios betroffen, die direkt oder indirekt mit Krypto zu tun haben.

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Hinzu kommt, dass die Summen, die in die Krypto Märkte investiert sind – über zwei Billionen zu Höchstzeiten – inzwischen gross genug sind, um bei einem Wertzerfall eine Auswirkung auf die Stimmung am restlichen Finanzmarkt zu haben. Das heisst, Panik bei Besitzern von sogenannten «Meme-Stocks» (Aktien, die vor allem in sozialen Medien Aufmerksamkeit bekommen und deren Kurs auch deshalb ansteigt, wie zum Beispiel Gamestop) und Kryptowährungen führt dazu, dass diese oftmals auch Aktien, Anleihen, etc. verkaufen, um an Bargeld zu gelangen. Damit lösen sie Unruhe an den konventionellen Märkten aus.

Ob diese Auswirkungen schon gross genug sind, um Krypto inzwischen als systemrelevant zu sehen, ist (insbesondere ausserhalb der USA) zwar noch zu bezweifeln. Wir bewegen uns jedoch je länger je mehr in eine Richtung, in der dies der Fall sein wird. Was bedeutet, dass die Geschehnisse auf den Krypto-Märkten nicht nur für Krypto -Investoren relevant sind, sondern auch für alle anderen Investoren, Regulatoren, die Zentralbanken usw. Krypto «Too Big to Fail»?. Wenn wir nicht heute schon an diesem Punkt sind, dann werden wir wohl bald soweit sein.