Herr Chaar, viele Experten glauben, dass 2023 schwieriger wird als 2022. Wie ist Ihre Prognose?

2022 haben wir mit Teuerungsexplosion, Energiekrise und Chinas Covid-Problemen drei grosse Schocks gesehen. Wir bewegen uns bei allen dreien in eine positive Richtung. Schritt für Schritt kehren wir zur Normalität zurück. Aber es ist ein langer Weg, vergleichbar mit einem Marathon.

Was ist normal?

Inflationsraten von zwei, drei Prozent, keine Energieunabhängigkeit, aber Energiesicherheit und ein wieder geöffnetes China. Also insgesamt die Welt, wie sie vor Covid war, nur mit etwas höheren Teuerungsraten.

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Einige Ökonomen befürchten, dass Inflationsraten von fünf oder sechs Prozent normal werden.

Zu denen zähle ich nicht. In den USA und Europa dürften wir uns bei zwei bis drei Prozent einpendeln. Auch die Frühindikatoren deuten auf diese Niveaus.

Also können sich die Notenbanken entspannen?

2022 war das Jahr der Zinserhöhung. 2023 ist das Jahr, in dem die Zinsen ihren Höhepunkt erreichen. In den USA und Europa werden wir im März die letzten Zinserhöhungen sehen. In der Eurozone läge der Leitzins dann bei drei, in den USA bei fünf Prozent. Der entscheidende Punkt ist aber, dass die Notenbanken die Zinsen dann auf dem hohen Niveau belassen. Den Märkten ist das so noch nicht bewusst.

Woran glauben die Märkte?

Dass die Zinsen bereits im Juni wieder gesenkt werden. Aber im März noch zu erhöhen und im Juni bereits wieder zu senken, macht keinen Sinn. Der Markt preist zu rasche Zinssenkungen ein.

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Wann sinken die Zinsen?

Zinssenkungen werden das Thema von 2024 sein. Denn die Notenbanken werden nicht unendlich auf die Bremse steigen. An einem Punkt wird sich der heiss gelaufene Motor abkühlen, und sie können wieder etwas Gas geben.

Fürchten Sie keine zweite Inflationswelle, wie sie in den 70er Jahren aufkam?

Derzeit sehe ich keine Gefahr. Damals boomte die Konjunktur, und es gab einen Kreditboom. Den sehe ich aktuell nicht. Die Kreditgeber sind vorsichtiger. Hier wirken die Erfahrungen aus der Finanzkrise noch nach. Aber wir behalten die Kreditmärkte genau im Auge.

Wie stellt sich ein Investor derzeit am besten auf?

In einem Umfeld, in dem die Geldpolitik restriktiver wird, läuft alles schlecht – wird sie gelockert, alles gut. Halten die Zentralbanken den Druck einfach aufrecht, entwickeln sich Aktien durchschnittlich gut, jedoch mit recht hohen Schwankungen. Wir raten zu Qualitäts- und Value-Aktien, sind in Small Caps neutral positioniert und in Schwellenländern, einschliesslich China, übergewichtet.

Erich Gerbl
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