Vor Kurzem sagte mir ein einflussreicher Investor: «In Europe, we build for the long game – and right now, that’s our superpower.» Noch vor wenigen Jahren hätte das nach Selbstberuhigung geklungen. Heute wirkt es wie eine realistische und nüchterne Beobachtung. Denn während sich die amerikanische Venture-Capital-Szene im Spannungsfeld von politischem Umbruch, makroökonomischem Gegenwind und strategischer Positionierung neu sortieren muss, gewinnt Europa fast unbemerkt an Stabilität und Attraktivität – und kein Land verkörpert diesen Wandel derzeit so sehr wie die Schweiz.
Die USA, lange das Epizentrum globaler Tech-Innovation, wirken im Frühjahr 2025 wie aus dem Takt geraten. Trumps «Liberation Day» – die Einführung von Zöllen – brachte neben der politischen Polarisierung auch juristische Unklarheit und wirtschaftliche Unsicherheit. Kurzum: Ausgerechnet der langjährige Stabilitätsanker wird zur Quelle von Volatilität – und öffnet damit die Tür für Alternativen. John Thornhill, einflussreicher Kolumnist der «Financial Times», schreibt dazu, dass Tech in den USA derzeit unter politischem Zynismus leide. Diese Verschiebung ist eine Einladung. Europa – und hier insbesondere die Schweiz – bietet derzeit ein attraktives Gegengewicht: politisch stabil, technologisch versatil und kulturell unternehmerisch gereift.
Die europäische Chance kommt jetzt
Es wirkt paradox: Während Trump protektionistische Massnahmen plant – etwa neue Strafzölle auf europäische Halbleiter – und China seine Kapitalmärkte abschottet, findet Europa zu neuer Selbstdefinition. PitchBook schreibt, 2025 sei das Jahr der Spezialisierung. Industrial AI, Quantum und B2B-Software wachsen – nicht in der Breite, aber in der Tiefe. Gerade Quantentechnologie gilt als europäische Hoffnung – mit einem der führenden Zentren in der Schweiz. Oder wie es Steffen Wagner, Gründer und CEO von Verve Ventures, formuliert: «Auch wenn die Börsen täglich schwanken – Europas Gründer bauen im Stillen an Lösungen für Energie, Gesundheit und Technologie, die über Jahrzehnte relevant sein werden.»
Max Meister ist General Partner von Koyo Capital mit Sitz in Baar, ZG.
Während in den USA das Schlagwort «AI first» mittlerweile zur Standardfloskel jedes Pitches gehört, setzen viele europäische Start-ups leise, aber effizient auf die Integration von künstlicher Intelligenz – oft ohne sich als reine KI-Unternehmen zu labeln. Das Resultat ist eine neue Generation von Gründungen, die schneller wächst, schlanker aufgestellt ist und mit deutlich weniger Kapital profitabel wirtschaftet. Laut der aktuellen «Sifted 100»-Liste sind allein im Vereinigten Königreich bereits 25 der wachstumsstärksten Start-ups profitabel – doppelt so viele wie noch im Vorjahr. Statt also dem Vorbild Silicon Valley blind zu folgen, nutzen viele europäische Gründer die strukturellen Eigenheiten ihrer Märkte – kleinere Budgets, fragmentierte Regulierungen, bedachte Investoren – als Katalysator für effizientere Geschäftsmodelle. Europas Tech-Szene wird so nicht nur widerstandsfähiger, sondern auch eigenständiger.
Laut dem «PitchBook European Venture Report Q1 2025» zeigt sich ein differenziertes Bild: Der Gesamtwert der Deals stieg gegenüber dem Vorquartal um 4,9 Prozent auf knapp 17 Milliarden Euro, während die Zahl der Transaktionen leicht auf 2433 sank. Das signalisiert: weniger Breite, aber mehr Tiefe. Besonders auffällig ist die Zunahme von Growth-Runden in spezialisierten Sektoren. 27,5 Prozent der Gesamtvolumen flossen in Start-ups aus dem Bereich KI – mit Fokus auf Industrieanwendungen, medizinischer Bildgebung und datenbasierten Geschäftsprozessen. Im Gegensatz zum Vorjahr, als viele Downrounds stattfanden, blieb das Bewertungsniveau im ersten Quartal 2025 überraschend stabil – ein Zeichen für Selektivität und Vertrauen. Besonders erwähnenswert: Schweizer Firmen verzeichneten überproportional viele Series-A-Runden mit Beteiligung internationaler Investoren. So haben zum Beispiel Novo Nordisk in Windward, Ego Death Capital in Relai und DN Capital in Unique investiert. Die Medianbewertung bei Schweizer Deeptech-Start-ups lag laut PitchBook sogar über dem westeuropäischen Schnitt.
Der Moment der Wahrheit für die Schweiz
Dass sich die Schweiz in dieser Landschaft zunehmend als Impulsgeber im internationalen Kontext etabliert, ist kein Zufall. Die Kombination aus forschungsnaher Exzellenz, politischer Neutralität und pragmatischer Regulierung schafft ein Umfeld, in dem internationale Talente gerne gründen – und Kapitalgeber bereit sind, Geduld zu haben. Immer mehr Gründer sehen in Zürich den besseren Ort für technologische Kompetenz mit globaler Anschlussfähigkeit. Vielleicht ist der Moment der Wahrheit für die Schweiz tatsächlich gekommen. Mit Zürich als Ausgangspunkt.
In der Schweiz verbindet sich technologischer Tiefgang mit kapitaldisziplinierter Frühphasenfinanzierung. Die zunehmend professionalisierte hiesige Venture-Capital-Szene setzt auf enge Gründerbeziehungen und eine langfristige Entwicklung. Dabei wächst auch das internationale Interesse: Mehrere angelsächsische Investoren haben in den letzten zwölf Monaten erste Engagements in Schweizer Strukturen angekündigt – teils über Feeder Funds, teils über direkte Co-Investments.
Die ETH Zürich und die EPFL in Lausanne bilden dabei das Rückgrat einer Gründerszene, die sich zunehmend von den Universitäten emanzipiert. Start-ups wie DeepJudge, Anybotics, Planted oder Sevensense zeigen, dass Deeptech aus der Schweiz heraus nicht nur technisch, sondern auch kommerziell skalierbar ist. Die Schweiz als Treiber der Innovation – und das mit wachsender globaler Aufmerksamkeit.
Neue Kapitalquellen sind zwingend notwendig
Die Zeiten, als amerikanische Growth-Investoren Europas ambitionierteste Start-ups mit Kapital übergossen, scheinen vorbei zu sein. Wie das «Handelsblatt» berichtet, fallen US-Investoren zunehmend als Investoren von Zukunftsinnovationen aus – mit spürbaren Folgen für europäische Tech-Gründer.
Der Anteil von US-Investoren am in Deutschland im ersten Quartal 2025 investierten Risikokapital sank laut einer Erhebung der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) auf nur noch 13 Prozent. «Es gibt insbesondere in der Growth-Phase noch immer einen deutlich grösseren Bedarf an Kapital, als vorhanden ist», führt Jörg Goschin von der KfW aus. Gerade in kapitalintensiven Feldern wie KI, Biotech oder Cleantech macht sich diese Zurückhaltung schmerzhaft bemerkbar. In der Vergangenheit kamen bis zu 50 Prozent des Kapitals in europäischen Late-Stage-Runden aus den USA. Heute sind es deutlich weniger. Diese Entwicklung bedroht nicht nur das Wachstum einzelner Start-ups, sondern auch die technologische Souveränität Europas insgesamt.
Es reicht nicht mehr, auf ausländisches Kapital zu hoffen. Wenn Europa eigene Tech-Champions aufbauen will, muss es auch bereit sein, selbst in deren Zukunft zu investieren. Die geopolitischen Verschiebungen haben uns einen Weckruf geliefert – was wir daraus machen, liegt in unserer Hand.
Umso dringlicher ist die Frage: Wer springt ein, wenn internationale Investoren wegbleiben? Die Antwort liegt – zumindest teilweise – im Binnenmarkt. Wir müssen in Europa eigene Kapitalquellen mobilisieren. Gemeint sind vor allem institutionelle Investoren, die bislang kaum im Venture-Bereich aktiv sind. Wie ich in meiner letzten Kolumne geschrieben habe, braucht die Schweiz dringend neue Kapitalquellen, um ihre Position als Innovationsstandort zu festigen und auszubauen.
Gerade in einem Land, das für seine Innovationskraft bekannt ist, wäre es sinnvoll, einen Teil des institutionellen Kapitals in zukunftsträchtige Unternehmen zu lenken. Andernfalls droht die Gefahr, dass vielversprechende Start-ups ins Ausland abwandern und die Schweiz langfristig an Wettbewerbsfähigkeit verliert.
Gerade weil der Standort Schweiz in den letzten Jahren an technologischer Tiefe und internationaler Strahlkraft gewonnen hat, wirkt das Fehlen von Kapital umso paradoxer. Die Talente sind da, die Infrastruktur ebenfalls – und doch droht der Aufschwung zu verpuffen, wenn die Anschlussfinanzierung nicht mithält. Die gestiegene Attraktivität schafft Erwartungen, die jetzt mit heimischen Ressourcen unterfüttert werden müssen. Denn wer global mitspielen will, darf sich nicht dauerhaft auf ausländisches Kapital verlassen – noch umso weniger in Zeiten geopolitischer Unsicherheit.
Es ist daher an der Zeit, die bestehenden Barrieren zu überdenken und gezielt Anreize zu schaffen, um Pensionskassen für Investitionen in den VC-Bereich zu gewinnen. Nur so kann die Schweiz sicherstellen, dass sie nicht nur Ideen hervorbringt, sondern auch deren erfolgreiche Umsetzung im eigenen Land unterstützt. Investor Steffen Wagner sagt dazu: «Wir pflanzen heute die Eichen, auf denen Europas Wirtschaft morgen stehen wird.»