Zwei Uhrenmarken sind in den letzten Jahren – neben Rolex natürlich – stark gewachsen: Richard Mille und Audemars Piguet. Richard Mille mauserte sich vom 180-Millionen-Franken-Winzling im Jahr 2017 zu einem der wenigen Milliardenunternehmen der Uhrenindustrie. 2021 lag der Umsatz bei 1,13 Milliarden Franken.

Audemars Piguet wiederum legte von 2017 bis 2021 von bereits stolzen 930 Millionen Franken auf knapp 1,6 Milliarden Franken zu. Damit ist AP an Patek Philippe vorbeigezogen und hat selbst Longines hinter sich gelassen (siehe Grafik unten). Branchenkenner sind überzeugt, dass AP im laufenden Jahr die fast schon magische Marke von 2 Milliarden Franken Umsatz knacken wird – nur drei Schweizer Uhrenbrands liegen darüber: Rolex, Cartier und Omega.

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Auf dem Höhepunkt in die Krise

Der Erfolg von Audemars Piguet ist einem Golfprofi zuzuschreiben: François-Henry Bennahmias. Er ist der Rockstar unter den Chefs der Uhrenbranche. Ein Quereinsteiger. Ein Querkopf. Als er sich vor zig Jahren eingestehen musste, dass er als Golfer niemals die Nummer eins der Welt werden würde, heuerte er als Verkäufer bei Armani an, wechselte später zu Gianfranco Ferré. 1994 dann stieg er bei AP ein, als Verkaufsleiter für den französischen Markt. Obwohl er, wie er gegenüber der «Bilanz» sagte, «rein gar nichts über Uhren» wusste. Später leitete er den US-Markt. Und 2012 wurde ihm der Chefposten angeboten.

Es war ein mutiger Entscheid, ein richtiger Entscheid, ein wichtiger Entscheid. Bald aber geht Bennahmias. Ende 2023 findet mit seinem Abgang eine Ära ihr Ende.

François-Henry Bennahmias, Chef von Audemars Piguet, geht Ende 2023.

François-Henry Bennahmias: Der Rockstar unter den Chefs der Uhrenbrache verlässt Audemars Piguet per Ende 2023.

Quelle: ZVG

Und vielleicht ziehen dann gar dunkle Wolken über Le Brassus, diesem Nest im Vallée de Joux, diesem Mekka der Haute Horlogerie, auf. Kann es sein, dass AP nach Jahren des Erfolgs in eine Krise gerät? Durchaus.

Der ikonische Status der Royal Oak, der wichtigsten Uhr von Audemars Piguet, eine loyale Community von Markenfans und eine einzigartige Vertriebsstrategie sprechen zwar für Kontinuität. Aber: Bald bekommt AP einen neuen Präsidenten, der allerdings intern wie extern nicht unumstritten ist. Und vor allem sind die Namen, die bisher als mögliche Nachfolger von Bennahmias herumgereicht werden, nicht überzeugend.

Louis Ferla will den Job: Aber wäre der distinguierte Pariser der Richtige?

Zunächst ist da Louis Ferla, aktuell Chef von Vacheron Constantin, einer Marke aus dem Richemont-Konzern. «Ferla will diesen Job, ganz klar», wird ein langjähriger Brancheninsider vom in der Regel gut informierten Online-Portal «Miss Tweed» zitiert.

Klar ist: Ferla hat in den letzten Jahren bei Vacheron Constantin einen guten Job gemacht, die Marke in China etabliert und ausgebaut, Umsatz gebolzt, die Begehrlichkeit der Marke – auch auf dem Secondhandmarkt – ausgebaut. Klar ist auch: Ferla ist ein Mann mit ausgebautem Ego und hat genug von den doch recht engen Verhältnissen in den Corporate-Strukturen von Richemont.

Die grosse Frage aber ist: Wäre der distinguierte Pariser die richtige Person, um eine Marke mit Street Credibility und Pop-Status in die Zukunft zu führen? Passen Anzug, Krawatte und Einstecktücher zu AP? Wäre seine Ernennung so mutig wie die Marke selbst, so mutig wie damals der Entscheid für den Rebellen Bennahmias? Da sind, rücksichtsvoll formuliert, erhebliche Zweifel angebracht.

Louis Ferla, Chef von Vacheron Constantin, will AP-Chef werden.

Louis Ferla, Chef von Vacheron Constantin: Er will den Top-Job bei Audemars Piguet.

Quelle: ZVG

Das Problem der Konkurrenzklauseln: Eile ist geboten

Ohnehin müsste eine Entscheidung für Ferla bereits in den nächsten Wochen fallen. Er hat offenbar eine einjährige Konkurrenzklausel in seinem Richemont-Vertrag. Sollte er also 2024 anfangen, müsste er spätestens Ende Jahr seine Kündigung einreichen. Ähnliches allerdings dürfte für alle Kandidatinnen und Kandidaten gelten, die aktuell in der Luxusindustrie arbeiten.

Zudem ist Ferla ein Mann. Und kolportiert wird, dass der langjährigen Präsidentin und wichtigen AP-Aktionärin Jasmine Audemars viel daran gelegen sei, dass die Person, die Bennahmias ersetzt, eine Frau ist. Zudem soll Audemars immer klargemacht haben, dass die Neue nicht unbedingt aus der Branche kommen müsse.

Bogliolo statt Audemars: Zeitenwende im Verwaltungsrat

Mitte November allerdings gibt die Urenkelin des Firmengründers ihren Rücktritt. An ihrer Stelle wird AP dann von Tiffany- und Diesel-Veteran Alessandro Bogliolo präsidiert, der in New York lebt.

Bogliolo ist der Grund, warum bei den Nachfolgespekulationen um Bennahmias neben Ferla auch immer wieder der Name von Guido Terreni fällt. Terreni ist derzeit Chef von Parmigiani Fleurier, einer sehr kleinen, aber sehr feinen Marke im Besitz der Sandoz-Stiftung. Sie dürfte, wie aus verlässlichen Quellen verlautet, nach Jahren der roten Zahlen dieses Jahr erstmals den Breakeven schaffen. Und das wiederum dürfte viel mit den modernisierten Modellen zusammenhängen, welche Terreni lanciert hat: Luxusvarianten von Sportuhren mit integriertem Band, nach denen der Markt förmlich hungert.

Guido Terreni, Chef von Parmigiani Fleurier, gilt als Kandidat für den Chefposten bei AP.

Guido Terreni. Der Chef von Parmigiani Fleurier gilt als Kandidat für den Chefposten bei AP.

Quelle: ZVG

Setzt Bogliolo erneut auf Terreni?

Terrenis Vorteil: Er und Bogliolo sind Freunde, kennen sich seit Jahren. Sie hatten bei Bulgari zusammengearbeitet, bevor LVMH den Juwelier 2011 übernahm. Als Bogliolo Geschäftsführer von Bulgari war, übertrug er Terreni die Leitung der Uhrenabteilung. Terrenis Nachteil: Nicht alle in der Uhrenindustrie glauben, dass der Feingeist über die nötigen Führungsqualitäten verfügt, einen Milliardentanker wie AP zu führen.

Das könnte für Terreni vor allem deshalb zum Nachteil werden, weil gemäss «Miss Tweed» Cornelia Tänzler Peverelli, Partnerin und Geschäftsführerin der Personalberatungsfirma Russell Reynolds in der Schweiz, von AP mit der Regelung von Bennahmias’ Nachfolge beauftragt wurde. Tänzler ist mit Philippe Peverelli verheiratet, der früher Chef der Rolex-Schwester Tudor war und jetzt eine der industriellen Einheiten des Uhrenriesen leitet. Peverelli könnte durchaus die Zweifel daran schüren, ob KMU-Manager Terreni Konzernqualitäten hat.

Marcel Speiser Handelszeitung
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