Der digitale Flash war heftig. Auf einen Schlag sah Vincent Dubi die Online-Zukunft in gelebter Gegenwart vor sich. Der Blitz der Erkenntnis traf den Romand auf einer Dienstreise in Fernost: «In Schanghai«, sagt Dubi, «erkannte ich: Die Chinesen sind uns online zehn Jahre voraus.«

Dubi, Marketingdirektor von Genève Tourisme, übertreibt nicht. Die Chinesen sind eine Online-Macht. Ohne alten Ballast gelang ihnen der Sprung in die Neuzeit. Was dem welschen Marketing-Profi besonders imponiert, ist die Art, wie chinesische Konsumenten die App We-Chat als Fernsteuerung ihres Lebens benutzen. Mit diesem Tool, erzählt Dubi, «surfen sie, chatten sie, bezahlen ihre Taxi- und ihre Handyrechnung und recherchieren Reiseziele«. Eine Killer-Applikation, die den chinesischen Alltag regiert.

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Mit der Suchmaschine Baidu, dem Instant-Messaging-Dienst Qq, dem Marktplatz Taobao und dem Mikroblogging-Tool Weibo stellen die Chinesen 4 der 15 meistbenutzten Websites der Welt.

Den Gast von morgen anbinden

Was sich in Online-China tut, kann einem Touristiker wie Dubi nicht egal sein. Auch wenn das Gästeaufkommen aus dem Reich der Mitte aufgrund von Terrorängsten zurzeit stockt, gilt China als stärkster Zukunftsmarkt des Schweizer Tourismus. Und er wird attraktiver: Heute noch reisen die meisten chinesischen Gäste per geführte Busreise durch die Schweiz. Als Gruppengäste sind sie für Hoteliers schwach attraktiv, weil sie zu tiefen Massentarifen gebucht sind. Diejenigen Chinesen aber, die als Individualgäste ein zweites und drittes Mal in die Schweiz kommen werden, dürften sich eine teurere Herberge leisten. Sie werden ihre Destinationen höchstwahrscheinlich online recherchieren und buchen wollen. Darauf müssen sich Schweizer Touristiker einstellen.

Wie also steht es um die Online-Fitness der helvetischen Champions League von Ascona bis Zermatt? Meng-Chih Vogt, die sich bei der Zürcher Firma Webrepublic dezidiert um chinesische Märkte kümmert und als erste Mitarbeiterin einer Schweizer Digital-Agentur die offizielle Zertifizierung von Baidu erhalten hat, unterzog die Corona der Schweizer Top-Orte für die «Handelszeitung« einem Online-Vitalitäts-Check.

Online-Präsenz schwach durchdacht

Ihr Fazit ist durchzogen: Ja, die Alpenländer sind aus den Startlöchern gekommen. Aber nicht überzeugend: «Die Schweizer Destinationen sind präsent auf den relevanten chinesischen Plattformen, die Mandarin-Übersetzungen sind korrekt und verständlich«, attestiert die China-Spezialistin. «Meist aber ist die Präsenz nicht durchdacht, man bleibt an der Oberfläche und scheint das chinesische Online-Verhalten noch nicht im Detail verstanden zu haben.« Bildlich gesprochen: «Schweizer Destinationen zeigen sich im chinesischen Cyberspace wie Museen. Sie müssten sich aber, um bei den Chinesen Erfolg zu haben, als interaktive Themenparks zeigen.« Mit der gegenwärtigen Online-Selbstdarstellung bauen die Schweizer wohl Image-Werte auf, sie können daraus aber (noch) keinen monetären Nutzen ziehen: «Schweizer Destinationen stellen quasi einen Prospekt online. Sie informieren gut, vergessen aber meist den nächsten, wichtigen Schritt: Potenzielle chinesische Kunden erwarten zum Beispiel, dass sie Produkte und Services auf WeChat buchen und bezahlen können. Diese Möglichkeit fanden wir bei keiner Destination.«

WeChat-basiertes Marketing, sagt Meng-Chih Vogt, sei «das A und O in China«. Dazu gehört, dass chinesische Konsumenten gerne spontan über Tools wie WeChat einen Online-Schwatz mit einer Luxusmarke oder einer Tourismus-Destination starten - in Mandarin. Kaum ist die Meldung abgesetzt, erwarten weltgewandte Chinesen eine Antwort. In der Regel melden sich kundige Firmen wie etwa die Schweizer Uhrenmarke Piaget zunächst mit einer automatischen Bestätigung, um ein paar Minuten später individuell auf die Frage einzugehen.

Renminbi statt Franken anzeigen

Diesbezüglich seien die Schweizer Touristiker noch so wenig fit wie in preislichen Belangen, sagt Meng-Chih Vogt: «Oft werden Preisangaben in Franken gemacht. Damit können Chinesen wenig anfangen.« Preise sollten auf der eigenen Plattform mit einem Währungsrechner gekoppelt «oder am besten gleich in der chinesischen Währung Renminbi angezeigt sein«. Nächstes Malheur: Zahlungsmöglichkeiten fehlten fast durchgehend bei Schweizer Destinationen. Dabei, so die Webrepublic-Beraterin, sei klar: «Wer eine Zahlungsmöglichkeit über Union-Pay, Alipay oder Tencent WeChat Pay einführt, hat den direkten Draht in die chinesische Brieftasche.«

In dieser Disziplin und auch bei der Suchmaschinenoptimierung für Baidu stünden die allermeisten Schweizer Destinationen «noch ganz am Anfang«. Von 24 Punkten (siehe Tabelle), welche die Expertin maximal pro Destination zu vergeben hatte, sicherte sich Spitzenreiter Genf gerade mal neun. Dort habe man das WeChat-Wesen am ehesten verstanden. Wohl auch, weil es ein Positionierungs-Must ist: «Chinesische Reisegruppen gehen an Genf vorbei. Wir peilen deshalb Individualreisende an, die ihre Trips selber buchen«, sagt Vincent Dubi. Und weiter: «Für diese Zielgruppe hat eine Web-Präsenz auf allen relevanten Kanälen oberste Priorität.« Man beschäftige seit 6 Jahren eine Spezialistin für den chinesischen Markt und arbeite zusätzlich mit einer Agentur in Schanghai zusammen: «Wir müssen 24-Stunden-Präsenz bieten.»

Spitzenreiter Genf will besser werden

Auf den Plätzen zwei und drei folgen St. Moritz («Site lädt sehr schnell, gute Präsenz in den sozialen Medien«) sowie Luzern («Gute Präsenz in den sozialen Medien, schnelle Antwort im Live-Chat«).

Wie bedenklich ist es, dass Schweizer Destinationen den Zukunftsmarkt mit stumpfen Online-Waffen attackieren wollen? Simon Bosshart, Direktor Asien/ Pazifik bei Schweiz Tourismus, bestätigt den Shift Richtung Internet, sieht aber noch keinen Notstand. «Der chinesische Reisemarkt verändert sich zurzeit von einer Offline- in eine Online-Welt. Derzeit buchen noch rund 70 Prozent aller Chinesen ihre Schweiz-Reise bei klassischen Reiseveranstaltern, aber Web-Buchungen werden wichtiger.« Momentan gehe es für Schweizer Destinationen vorrangig darum, ihr Image aufzubauen. «Die Online-Buchbarkeit wird in einem nächsten Schritt zum Thema.«

So sieht man es auch in Genf. Nächstes grosses Vorhaben seien die Buchbarkeit per WeChat und die Suchmaschinenoptimierung auf Baidu, erklärt Vincent Dubi. Zuvor gebe es aber noch eine andere Aufgabe: «Bevor man sich beliebt macht, müssen eben auch die Inhalte stimmen auf den Web-Plattformen.«

 

Andreas Güntert
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