Warum zur Hölle sollten Sie ein Buch lesen, das von einem bekennenden Linken, politisch glücklosen, von Berlin bis Brüssel verhassten griechischen Ex-Finanzminister verfasst wurde, und das obendrein schon über drei Jahre alt ist?

Ganz einfach: Weil Sie vermutlich viel über Yanis Varoufakis gehört und gelesen haben – ausser, dass er vor seinem Abstecher in die Politik eine interessante wirtschaftshistorische Analyse geschrieben hat: «Der Globale Minotaurus».

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Vom grossen Plan zur grossen Unbekannten

Varoufakis hangelt sich in diesem Buch entlang der grossen Krisen des 20. Jahrhunderts: 1929, 1973, 2008. Er begreift diese Daten als Zäsuren, die sowohl das Ende einer alten Ordnung, wie auch den Beginn einer neuen Ordnung markieren. Zwei dieser Ordnungen, die jeweils rund dreissig Jahre lang Bestand hatten, widmet sich der Autor ausführlich: dem «Grossen Plan» und dem «Globalen Minotaurus».

Der Grosse Plan ist die Phase nach dem zweiten Weltkrieg, in denen die USA als «wohlwollender Hegemon» in der Welt agierten. Kern jener Epoche ist das Bestreben nach wirtschaftlichem Wiederaufbau. Freiheit und Kapitalismus sollten verteidigt werden – indem den Kriegsverlierern Japan und Deutschland umfangreiche Wirtschaftshilfen zugeführt wurden. So etablierte sich ein Gleichgewicht, das bis in die Siebzigerjahre anhielt: Die USA erwirtschaften aussenwirtschaftliche Überschüsse, die Gewinne postwendend wieder in den Defizitländern investiert wurden.

Der Globale Minotaurus ist die Epoche, die von den siebziger Jahren bis zur Finanzkrise reicht. In dieser Zeit kehrt sich das Verhältnis um: Aus Amerika wird ein Defizitland, das seinen Konsum über Kapitalimporte der einstigen Protégés finanziert. Es ist die Phase, in der sich Wall Street zum Monster entwickelt, das mit Finanzinnovationen immer wieder neue Wege findet, Gelder aus aller Welt aufzusaugen und dieses in Investments umzuleiten. Investments, die zunehmend riskanter werden, weil damit auch die ausgezehrte US-Unterschicht über Wasser gehalten wird.

Geschichte in Epochen

Der Buchtitel zum «Globalen Minotaurus» ist einer Sage aus dem antiken Griechenland entlehnt, die von einem Untier handelt: dem Minotaurus von Kreta, einem in einen Labyrinth gehaltenen Stier, dem jedes Jahr sieben Knaben und sieben Jungfrauen geopfert werden. Die Schreckgestalt symbolisiert die Herrschaft der Kreter, die zu jener Zeit regelmässigen Tribut von ihren Provinzen verlangten.

Varoufakis nutzt die Metapher zur Beschreibung des prekären Gleichgewichts, das die Weltwirtschaft bis zur Finanzkrise kennzeichnete. Sein Buch ist eine ebenso griffige wie auch süffige Analyse dieser Ära mitsamt ihrer Vorgeschichte. Wer dem Autor die gelegentliche Bankerschelte und den nicht allzu rigorosen Umgang mit historischen Quellen verzeihen kann, wird den Text aus dem Jahr 2012 auch heute noch bereichernd finden.