Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) misst, standardisiert, publiziert und empfiehlt wirtschaftspolitische Massnahmen. Sie ist der Wachhund der freien Marktwirtschaft – auch in der Schweiz.

Das letzte Zeugnis zur Eidgenossenschaft erschien im Dezember: der Economic Survey of Switzerland, Ausgabe 2015. Die OECD geht darin auf die mangelnde Dynamik ein. Die Diagnose: Während in der Schweiz die Produktivität stagniert, steigen die Löhne munter weiter. Untermauert wird die These mit einem Chart, der hier anhand von OECD-Daten rekonstruiert und auf Deutsch abgebildet ist.

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Die Botschaft der Pariser Ökonomen: Gebt acht, liebe Schweizer, dass eure Unternehmen mit den hohen Lohnkosten nicht ins Abseits laufen. Sie wurde von Zeitungen wie der NZZ prompt aufgegriffen. «Wenn die Löhne zu stark steigen», lautete dort die Überschrift am kommenden Tag. Einige Wochen später doppelte das Blatt anlässlich eines Lohnausblicks fürs Jahr 2016 nach:

Hohe Löhne sind auch volkswirtschaftlich eine gute Sache, wenn die Löhne der Produktivität entsprechen. Glaubt man aber den OECD-Daten, wonach das reale Lohnniveau seit 2008 in der Schweiz massiv stärker gewachsen ist als die Arbeitsproduktivität, muss das beunruhigen.

Grund zur Beunruhigung? Tatsächlich suggeriert der OECD-Chart, dass die Löhne in der Schweiz seit 2008 um 20 Prozent gestiegen seien, während die Arbeitsproduktivität im selben Zeitraum bloss um 3 Prozent zunahm – was in etwa der Entwicklung entsprechen würde, wie sie Griechenland in den ersten Jahren der Währungsunion durchmachte. Mit den bekannten Folgen.

Der Teufel steckt im Detail

Doch der Teufel steckt im Detail. Genauer gesagt: bei der Deflationierung der Zeitreihen, also der Umwandlung von nominalen in reale Grössen (je höher die Teuerung, desto grösser der Korrekturbedarf: das gilt sowohl bei den Löhnen, als auch bei den Produktivitätswerten, die beide in Franken pro Stunde gemessen werden).

Genaues Hinschauen (und Nachfragen bei der OECD) offenbart, dass die beiden Zeitreihen in der obigen Grafik nicht mit demselben Preisindex deflationiert wurden. Bei den Löhnen hat die OECD den so genannten Produzentenpreisindex verwendet, bei der Produktivität kam der BIP-Deflator zur Anwendung. Hier eine Grafik, welche die Unterschiede zwischen beiden Preisindizes illustriert.

Der BIP-Deflator (ein anhand des BIP berechnetes Mass, das die Änderungen aller Preise in der gesamten Volkswirtschaft berücksichtigt) verlief gleichauf mit dem Konsumentenpreisindex (ein Mass für die Teuerung der Konsumentenpreise anhand eines Warenkorbs, das in den Medien häufig genannt wird). Beide Indizes zeigen für die Zeit zwischen 2008 und 2015 im Wesentlichen eine Nullteuerung an.

Anders der Produzentenpreisindex (ein Mass für die Teuerung von Produzentenpreisen anhand eines Warenkorbs von Industriefirmen): Dieser Index fiel zwischen 2008 und 2015 um über 10 Prozent. Grund dafür ist der starke Franken, der viel direkter auf die Einkaufspreise von Unternehmen als auf die Konsumentenpreise durchschlägt.

Moderater Lohnanstieg

Sinkt ein Preisindex, so wächst die Masszahl, die man damit abgleichen will. Genau dieser Effekt spielt bei der Lohnkurve der OECD: Weil sie die Löhne mit dem fallenden Produzentenpreisindex abgeglichen hat, erscheint deren Entwicklung stark überhöht – gerade im Vergleich zur Produktivität, die mit dem flachen BIP-Deflator abgeglichen wurde.

Wie sich die beiden Kurven wirklich zueinander verhalten, zeigt die folgende Grafik der nominalen Lohn- und Produktivitätsdaten. Hier wurden sämtliche Deflationierungen herausgerechnet, es erscheinen bloss die Jahr für Jahr festgestellten Nominalbeträge.

Der Unterschied ist vor allem bei den Löhnen frappant. Das vormalige Wachstum von 20 Prozent schrumpft nunmehr auf 7 Prozent zusammen – das entspricht 1 Prozent pro Jahr. Beim Produktivitätswachstum ergeben sich gut 2 Prozent oder rund 0,3 Prozent pro Jahr.

Die Grundaussage der OECD wird mit dieser Rückrechnung zwar nicht entkräftet: die Lohnkosten sind zwischen 2008 und 2015 tatsächlich stärker gestiegen als nötig. Doch die Grössenordnungen sind deutlich weniger dramatisch – von einem Lohnexzess kann keine Rede sein. Ferner zeigt die Aufschlüsselung, dass auch Arbeitgeber in den letzten Jahren profitiert haben. Ihre Einkaufskosten sind zuletzt deutlich stärker gefallen als jene der Konsumenten.