Die Krawatten hängen locker um den Hals, deftige Sprüche fallen, und vor allem: Es wird mit deutlichem Risiko investiert. So sieht das landläufige Bild eines Handelsraums aus, der von Männern besetzt ist. Rauschende Büroparties, Designeranzüge und scheinbar unerschütterliches Selbstvertrauen: Vor das innere Auge rücken Bilder des Filmklassikers «Wall Street» (1987), wo Michael Douglas als Gordon Gekko fragwürdige Deals tätigt. Oder die seit 2016 laufende US-Serie «Billions» um den fiktiven und unzimperlichen New Yorker Hedgefondsmanager Bobby Axelrod.

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In einem Handelsraum, in dem auch Frauen arbeiten, würde vorsichtiger angelegt. Diversifikation statt Derivate, Festverzinsliche statt Zertifikate, stabile Renditeaussichten statt Risiko: Auch das ist gewissermassen ein Klischee. Ob Frauen umsichtiger anlegen, ist Gegenstand zahlreicher Studien. Der Tenor dabei ist, dass Frauen Risiken beim Anlegen mehr scheuen als Männer.

Angst als Motto

Verglichen mit den durch Gordon Gekko symbolisierten Zeiten vor 35 Jahren sind heute mehr Frauen an den Finanzmärkten engagiert – in der professionellen Vermögenverwaltung genauso wie als Privatanlegerinnen. Und doch scheinen sich die Zeiten – oberflächlich betrachtet –wenig verändert zu haben, was Anlagestile betrifft. Betrachtet man allein das Börsengeschehen seit Anfang 2021, ist Risiko Trumpf. Wenn man die grossen Aktienthemen des Jahres anschaut, ergibt sich schnell ein Eindruck: Es wird gezockt, was das Zeug hält, und mit der Befürchtung, etwas zu verpassen, lässt sich gar in Form eines börsengehandelten Fonds investieren: «Fear of Missing Out» ist ein Anlagemotto.

Die (wohl hauptsächlich männlichen) Investmentbanker der Credit Suisse wiederum haben mit dem Archegos-Debakel erneut gezeigt, dass man mit der Finanzierung von gewagten Hebel-Deals sinnlos Milliarden verpulvern kann. Unter anderem musste Risikochefin Lara Warner ihren Posten deswegen abgeben. Ist der «moderierende» Einfluss von Frauen auf das Anlageverhalten also immer noch mehr eine Frage aus der Welt breit angelegter Studien als der Realität?

Caroline Hilb, Leiterin Anlagestrategie bei der St. Galler Kantonalbank, relativiert die Studien etwas: Frauen seien bei Anlagefragen oft zurückhaltender, weil viele die Geldentscheidungen immer noch den Männern überliessen. Frauen, die sich aber stärker mit Anlagethemen befassten, würden dagegen ebenfalls höhere Risiken eingehen und auch Entscheidungen treffen: «Wenn sie sich bei den Themen sicher fühlen, verhalten sich Frauen ziemlich gleich wie Männer», sagt Hilb

Robinhood als Männergang

Wenn Frauen am Markt auffallen, dann tun auch dies primär die risikofreudigeren Investorinnen. Eine der aktuellen Börsenikonen der Welt, Cathie Wood, preist mit ihren Ark-Fonds eine massiv überbewertete Aktie als ihr wichtigstes Investment an, nämlich Tesla. Für die Aktie des Elektroautoherstellers setzt ihre Anlagegesellschaft sehr hohe und möglicherweise unrealistische Kursziele. Ihre Fonds setzen auf relativ risikoreiche Wachstumstitel, die Anlegererwartungen erst noch erfüllen müssen.

Und Woods Rolle bestimmt die Stimmung einer ganzen Generation. Die zockerfreudige Wallstreetbet-Community oder «Reddit Army», die Aktien wie GameStop in die Höhe getrieben hat, sieht in Wood die «Jeanne d’Arc der Retail-Anleger».

Allerdings: Auch wenn «Wallstreetbets» und das Traden auf sehr günstigen Plattformen ein sehr zeitgemässes Phänomen sind, und auch wenn sich dort meist sehr junge Trader versammeln: Die Szene widerspiegelt nicht gerade die Bemühungen um eine ausbalanciertere Vertretung von Männern und Frauen in der Finanzwelt. Die Foren, in denen Aktien wie GameStop diskutiert werden und wo zum gemeinsamen Kampf gegen Hedgefonds angerufen wird, sind von Männern dominiert.

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Auch bei den sehr volatilen Kryptowährungen ist die Lage nicht viel anders. Im vergangenen Februar veröffentlichte die Handelsplattform eToro Zahlen, wonach Frauen nur einen Anteil von 15 Prozent beim Bitcoin-Trading ausmachten.

Die Kommunikationswissenschaftlerin Adrienne Massanari attestiert dem Stil der Unterhaltung im Forum Reddit, das auch von vielen Tradern genutzt wird, gar eine frauenfeindliche Tendenz. Massanari bezeichnet auch den GameStop-Hype als grundlegend «kerl-gesteuert». Einen Short Squeeze auszulösen und damit einen Hedgefonds in Bedrängnis zu bringen, wie bei GameStop passiert, hat schliesslich etwas von typisch männlichem Kräftemessen. Also ist man auch hier gar nicht so weit weg von der Welt von Gordon Gekko in «Wall Street».

Nuancen auf lange Sicht 

In der Finanzwelt geht es allerdings nicht allein um die Themen, welche die Schlagzeilen dominieren. Zwischen GameStop, ultragehypten ETF und riskanten Hedgefonds auf der einen Seite und einer langfristigen Vermögensplanung auf der anderen Seite gibt es einen riesigen Unterschied. Und dort herrschen durchaus andere Verhältnisse.

Wie man immer wieder hört, sind beispielsweise Frauen in Stiftungsräten von Pensionskassen umsichtiger. Frauen lassen sich, wenn es um die Verantwortung um grosse Anlageentscheide geht, genauer über Strategien, Risiken und Auswirkungen informieren als Männer. Anders als das risikofreudige Investmentbanking zeigt der ganze Bereich ESG eine ausbalanciertere Vertretung der Geschlechter. Gemeint sind die auf Umwelt- und Sozialstandards sowie gute Unternehmensführung ausgerichtete Anlagen. Und diese sind von Natur aus nicht aufs Zocken, sondern längerfristige Anlageperspektiven ausgerichtet - wenn dieses Thema seriös angewandt wird. 

Während in der gesamten Fondsindustrie immer noch wenige Frauen Fondsmanagerinnen sind, ist das Bild bei ESG-Portfolios anders. Obwohl Daten noch nicht gross erhoben sind, deuten die vielen publizierten Beförderungen von Frauen an die Spitze von ESG-Fonds auf einen Trend hin.

Die klassischen Investmentbanker-Typen sind bei ESG etwas ins Hintertreffen geraten: «Wenn die grundlegende Frage lautet: 'War der Bereich für ehrgeizige Männer historisch gesehen weniger interessant?' Dann lautet die Antwort: 'Wahrscheinlich ja.'», sagte Jane Ambachtsheer, globale Leiterin für Nachhaltigkeit bei BNP Paribas Asset Management, zum Börsenportal Citywire. Und dabei sind Frauen auf dem Weg, eine wichtige Bastion der Anlagewelt zu erobern: Einer Studie des Beratungsunternehmens PWC zufolge könnten EGS-Fonds in vier Jahren die Hälfte aller in Europa investierten Vermögen ausmachen. 

Fiebrige Aktienhypes wird es weiterhin geben, und diese werden von risikofreudigen Männern genauso angefacht wie von Frauen, die bei Geldfragen mit der grossen Kelle anrühren. Doch auch wenn ein GameStop-Hype oder ein verdreifachtes Kursziel für Tesla alle in den Bann zieht, im Hintergrund verändern sich die Dinge schnell. In der grossen weiteren Investmentwelt wird sorgfältig und langfristig angelegt. In diesem Bereich macht sich der Einfluss von Frauen durchaus bemerkbar.

Dieser Beitrag erschien erstmals auf «Cash.ch» unter dem Titel: «Würden mehr Frauen in der Finanzbranche gefährliche Aktien-Hypes verhindern?»