Hohe Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGVs). Steuererhöhungen. Regionale Konflikte. Ein starker (oder schwacher) Franken. Was haben sie gemeinsam? Nach gängiger Meinung sind sie alle schlecht für Aktien. Die meisten Anleger stellen dies nicht infrage. Das ist ein Fehler. Dinge, die «jeder weiss», sind sehr oft nachweislich falsch. Dies zu erkennen, schafft Vorteile. Das ist nicht schwer. Verlassen Sie sich nie darauf, dass die allgemeine Marktmeinung über Gut und Schlecht korrekt ist. Sehen Sie sie als Theorie, die es wie ein Wissenschaftler zu überprüfen gilt. Hier ist Ihr «Labor», um das zu tun.
Kaum etwas, das wir sehen, ist wirklich beispiellos. Die Geschichte ermöglicht es Ihnen also, die grundlegendsten Behauptungen anhand von Daten zu überprüfen. Viele halten einer Überprüfung nicht stand.
Nehmen wir die weltweit bekannte Binsenweisheit, dass niedrige Bewertungen einen Anstieg billiger Aktien bedeuten, während hohe Bewertungen einen Rückgang ankündigen. Dies kann in unserem Geschichtslabor widerlegt werden. Seit 2000 liegt das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV, Kurs geteilt durch Gewinn des Vorjahres) von Schweizer Aktien bei 20,2. Bis Mai 2024 lag das monatliche KGV in 119 Fällen über diesem Wert. In den folgenden 12 Monaten stieg der MSCI Switzerland 83 Mal und fiel 36 Mal – eine Gewinnquote von 69,7 Prozent. Nach 175 Monaten mit unterdurchschnittlichen KGVs stiegen die Aktien um 65,7 Prozent – weniger häufig! Das Gegenteil von gängiger Meinung. Und kaum anders, was zeigt, dass es keinen Vorteil bringt, sich auf Bewertungen zu fixieren.
Der Gastautor
Ken Fisher ist Gründer und Executive Chairman von Fisher Investments, einer Vermögensverwaltungsfirma mit Niederlassungen weltweit, die über 332 Milliarden Dollar verwaltet. Fisher zählt zu den einflussreichsten (und auch reichsten) Investmentmanagern der USA.
Die Vergangenheit zeigt, viele gängige Annahmen sind falsch. Steuererhöhungen? Nicht zuverlässig, wiederholt schlecht für die Weltwirtschaft, die USA oder andere wichtige Märkte. So aktuell in Grossbritannien, wo die Aktien trotz Erhöhung der Lohnsteuer im April gut zulegten. Dasselbe bei hohen Haushaltsdefiziten. Regionale Konflikte. Währungsschwankungen nach oben oder unten.
Viele fürchten, ein starker Franken könnte negative Auswirkungen auf die Schweizer Exporte und Aktien haben. Wie sich jedoch zeigt, haben Schweizer Aktien damit keine Probleme. Der nominale Wechselkursindex des Schweizer Frankens der SNB wird seit Dezember 1973 geführt. Seitdem hat der Franken gegenüber einem Währungskorb in 34 Jahren an Wert gewonnen. Aktien sind 22 Mal gestiegen und 12 Mal gefallen – eine Positivquote von 65 Prozent. Das ist etwas niedriger als bei einer Abwertung des Frankens, aber sicherlich nicht negativ.
Wenn Währungsschwankungen Aktien bestimmen, sollten die Schweizer und die Eurozonen-Märkte oft auseinandergehen – es ist ihr grösster Handelspartner. Die Korrelation zwischen Schweizer und Euro-Aktien liegt aber bei 0,82. Da 1,00 identisch und -1,00 das bare Gegenteil ist, erscheint die Vorstellung, Währungsbewegungen würden die Renditen bestimmen, lächerlich.
Nein, die Geschichte wiederholt sich nicht perfekt. Aber beim Investieren geht es nie um Gewissheit, sondern um Wahrscheinlichkeiten. Und die Geschichte bildet dafür den Rahmen. Wenn jemand sagt, Faktor X sei schlecht für Aktien, aber X in 70 Prozent der Fälle guten Renditen vorausging, weiss man, dass X mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht schlecht ist. Ignorieren sollte man es nicht, aber man kann analysieren, was in den 30 Prozent der Fälle, in denen X schlecht war, noch passiert ist. Vielleicht stellt sich heraus, es war Zufall. War auch Faktor Z dabei? Dann sehen Sie nach, ob er regelmässig geschadet hat. Wenn dies stimmt und wirtschaftlich Sinn ergibt, haben Sie einen seltenen Wissensvorsprung. Ein weiterer wichtiger Vorteil, um besser als andere zu sein.
Selbst wenn Sie nur beweisen, dass die gängigen Behauptungen nicht wahr sind, sind Sie schon weit voraus. Die Märkte preisen weithin bekannte Informationen, einschliesslich populärer Überzeugungen und Mythen, im Voraus ein. Wenn Sie investieren können, im Wissen, dass gängige Weisheiten falsch sind, gibt es zahlreiche Möglichkeiten, von positiven Überraschungen bei Aktien zu profitieren.