Die Wall Street ist besorgt. Der Grund: die Spekulationsblase rund um künstliche Intelligenz. Sie ist das grösste Extremrisiko an den Finanzmärkten – gefährlicher als die Inflation, Donald Trumps Strafzölle oder sogar potenzielle Kriege. Zu diesem Schluss kamen die wichtigsten Hedgefonds-Manager dieser Welt in einer Mitte Oktober publizierten Umfrage der Bank of America. Die Urangst vor dem Börsencrash ist nicht neu – doch so laut wie jetzt war sie schon lange nicht mehr.

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Selbst Grössen wie Jeff Bezos sprechen mittlerweile von einer Blase. Der Amazon-Gründer gibt zu bedenken, dass Investoren aktuell nicht mehr zwischen guten und schlechten Ideen unterscheiden können. Alarmistische Äusserungen sind mittlerweile fast an der Tagesordnung, so wie jene des britischen Analysten Julien Garran. Er spricht von der «grössten und gefährlichsten Blase aller Zeiten». Das Ausmass der Fehlinvestitionen – so rechnet er vor – sei 17-mal grösser als beim Platzen der Dotcom-Blase in den 90er-Jahren und viermal grösser als jene 2008 auf dem US-Immobilienmarkt.

Auch in der Schweiz werden die Sorgen nicht mehr negiert. «Ja, gemessen an den Bewertungen befinden wir uns in einer KI-Blase», sagt Matthias Geissbühler, Anlagechef bei Raiffeisen Schweiz, zur Handelszeitung. «Die Bewertungen der gehypten Unternehmen liegen teils über jenen, die wir auf dem Höhepunkt der Dotcom-Blase gesehen haben.»

Platzt die KI-Blase bald?

Besonders eindrücklich ist das Beispiel von Nvidia, dem aktuell wertvollsten Unternehmen der Welt. Der US-Chiphersteller bringt derzeit eine Marktkapitalisierung von über 4,4 Billionen Dollar auf die Waage – so viel wie alle börsenkotierten Schweizer Firmen und der gesamte französische Leitindex CAC40 zusammen.

Börse

«Viel Fantasie in den Kursen der KI-Unternehmen eingepreist»: Raiffeisen-Anlagechef Matthias Geissbühler.

Quelle: PD (Pressedienst)

Geissbühler mahnt deshalb zur Vorsicht: «Das zeigt, dass derzeit viel Fantasie in den Kursen der KI-Unternehmen eingepreist ist. Zudem bleibt fraglich, wie sich die enormen Investitionen in die KI-Infrastruktur in naher Zeit in Profite ummünzen lassen können.» Die entscheidende Frage sei nun, in welchem Stadium sich die Blase befinde – am Anfang, in der Mitte oder bereits am Ende.

Auswirkungen auf Schweizer Vorsorgegelder

Doch nicht nur die Frage, wann die KI-Blase platzt, steht im Zentrum – sondern auch, wie stark die Auswirkungen wären. Eine Korrektur von 10 bis 20 Prozent gehört zum Zyklus dazu und bezeichnen viele Experten als «gesund». Alles, was darüber hinausgeht, könnte jedoch spürbare Folgen haben. Womöglich auch für grosse Teile der Schweizer Bevölkerung – denn ein Teil unserer Vorsorgegelder ist über Pensionskassen und 3a-Fonds ebenfalls an den US-Börsen investiert.

Geissbühler beruhigt hier jedoch: «Da die Vorsorgegelder sehr breit diversifiziert sind, wäre eine grössere Korrektur grundsätzlich verkraftbar. Viele Schweizer Anleger haben zudem einen sogenannten Home Bias – sie gewichten Schweizer Aktien deutlich höher als US-Titel.» Bei den Pensionskassen mache die Gesamtaktienquote im Schnitt rund 30 Prozent aus, erklärt er. «Davon wird in der Regel weniger als die Hälfte in US-Aktien investiert. Entsprechend liegt die US-Aktienquote tendenziell bei 10 bis maximal 15 Prozent einer Pensionskasse. Ähnliches gilt für 3a-Fonds.»

«Der Puffer ist gut gefüllt»

Weil Verwerfungen an der Wall Street aber auch auf den Schweizer Markt ausstrahlen, dürften die Portfolios der Pensionskassen bei einem grösseren Crash deutlich ins Minus abrutschen. Ein Negativszenario, das Geissbühler aber noch keine schlaflosen Nächte bereitet. Denn: «Die Pensionskassen sind genügend gut abgesichert, um auch grössere Börsenkorrekturen abzufedern.» Sie verfügten über «vielfältige Ausgleichsmassnahmen und Vorkehrungen, die bei Marktturbulenzen greifen».

Dazu gehören gemäss dem Raiffeisen-Anlagechef eine breite Diversifikation über verschiedene Anlageklassen, Schwankungsreserven als Puffer und Deckungsgrade von derzeit durchschnittlich rund 118 Prozent. «Der Puffer ist also gut gefüllt. Erst wenn der Deckungsgrad unter 100 Prozent fällt, würden Sanierungsmassnahmen greifen. Entsprechend sehen wir derzeit keinen Grund zur Panik.»

Schweizer haben andere Kultur als Amerikaner

Abgesehen von den Vorsorgegeldern würde ein Börsencrash auch Schweizer Anlegerinnen und Anleger treffen, die einen Teil ihres Ersparten an der Börse angelegt haben. Fatale Folgen sieht Geissbühler hier nicht, weil die Schweiz – im Gegensatz zu den USA – keine ausgeprägte Aktienkultur habe. «Während die Amerikanerinnen und Amerikaner stark in Aktien investiert sind, ist der Aktienanteil im privaten Vermögen in der Schweiz verhältnismässig tief», gibt er zu bedenken.

Auch beim Blick in die Vergangenheit zieht Geissbühler einen Vergleich: «Am deutlichsten sind die Parallelen zur Dotcom-Blase», erklärt er. «Damals wurden die Titel der Internet-Fantasie getrieben, diesmal ist es die KI. Beide Male standen damit technologische Innovationen und Trends im Fokus.» Als die Blase platzte, verlor der US-Technologieindex Nasdaq 100 innerhalb von zwei Jahren rund 70 Prozent seines Werts – obwohl sich das Internet am Ende weltweit durchgesetzt hat.

Und genau darin liegt die Ironie. Selbst wenn die KI-Wette im Grundsatz aufgeht und künstliche Intelligenz langfristig unser Leben verändern wird, kurzfristig kann der Markt trotzdem überhitzen. Die Urangst vor dem Crash mag alt sein – sie bleibt ein treuer Begleiter der Finanzmärkte.