Zinsstrukturkurven zeigen Zinssätze für Staatsanleihen von drei Monaten bis zehn Jahren, von links nach rechts. Wenn Langfristzinsen über den Kurzfristzinsen liegen, steigt die Kurve nach rechts – «steil» und klassisch bullisch. Wenn Kurzfristzinsen höher sind, wird sie «invers» und deutet meist – aber nicht immer – eine Rezession an. Warum? Wie ein Instrument gibt sie Hinweise auf die Kreditvergabe der Banken.
Das Kerngeschäft der Banken besteht darin, kurzfristige Einlagen zur Finanzierung langfristiger Kredite zu verwenden – und so die Gewinnspanne einzustreichen. Steile Kurven bedeuten niedrigere Kosten, höhere Erträge und hohe Gewinne. Daher vergeben Banken eifrig Kredite und kurbeln so das Wirtschaftswachstum an. Inverse Kurven schmälern die Rentabilität, bremsen Kredite und das BIP. Jahrzehntelang war das ein zuverlässiger Indikator – jeder verfolgte ihn, besonders in den USA.
So wie man davon ausgeht, dass das Armaturenbrett eines Autos die Realität widerspiegelt, beobachteten die meisten Anleger die Kurve, schauten aber nicht unter die Motorhaube und ignorierten deren eigentliche Funktion. Dieses Prinzip funktionierte, aber irgendwann eben nicht mehr.
Mitte 2022, nach dem Einbruch der weltweiten Aktienkurse, wurde die Kurve invers. Fast alle rechneten mit einer Rezession und einem Bärenmarkt. Doch das BIP wuchs. Rückgänge wie in der Schweiz im zweiten Quartal 2023 waren nur temporär. Aktienkurse stiegen. Bald ignorierten die meisten die Kurve einfach, wie ein kaputtes Schrottauto, ein Relikt der Vergangenheit.
Der Gastautor
Ken Fisher ist Gründer und Executive Chairman von Fisher Investments, einer Vermögensverwaltungsfirma mit Niederlassungen weltweit, die über 295 Milliarden Dollar verwaltet. Fisher zählt zu den einflussreichsten (und auch reichsten) Investmentmanagern der USA.
Nur wenige bemerken jetzt, dass sie still wieder an Stärke gewinnt – die Stille verleiht ihr Kraft. Aber warum die Wende?
Unter der Motorhaube dieses Autos hatten Banken riesige Bestände an Einlagen mit einer jährlichen Verzinsung von weniger als 1 Prozent aufgebaut, die durch das Horten von Bargeld aus der Covid-Ära und die anhaltende Angst angekurbelt wurden. Dadurch blieb die Kreditvergabe von 2022 bis 2024 profitabel, selbst als die SNB, die Fed und andere die Zinsen anhoben.
Bei einem Spitzenzinssatz von 1,75 Prozent der SNB, 5,5 Prozent der Fed und 4 Prozent der EZB ging die Kreditvergabe weiter, und die Volkswirtschaften wuchsen bescheiden. Die Aktienkurse stiegen schockiert.
Jetzt drehen sich Zinsstrukturkurven unbemerkt ins Positive, was die Kosten der Banken im Verhältnis zu ihren Erträgen weiter erhöht. Dies ist auf die Senkung der kurzfristigen Zinssätze durch die Zentralbanken und den Anstieg langfristiger Zinssätze zurückzuführen (was von den meisten gefürchtet wird, was ebenfalls bullish ist).
Da Geld fast ungehindert über Grenzen hinweg fliesst, führe ich seit längerem eine BIP-gewichtete globale Zinsstrukturkurve. In zwölf Monaten hat sich die Differenz zwischen zehnjährigen und dreimonatigen globalen Renditen von –0,85 auf 0,37 Prozentpunkte ins Positive gedreht – eine ruhige Verschiebung um 1,2 Prozentpunkte, die die Kreditvergabe ankurbelt.
Das schliesst eine Rezession oder einen Bärenmarkt nicht aus, ist aber positiv zu sehen.
Und es erklärt auch jüngste Gewinner und Verlierer. Die Kurve stieg hauptsächlich ausserhalb der USA. In Grossbritannien stieg sie von –1,03 auf positive 0,38 Prozentpunkte, eine grössere Veränderung von 1,4 Prozentpunkten. In Kontinentaleuropa war die Veränderung noch grösser: von –0,76 auf 1,02 Prozentpunkte, also fast 1,8 Prozentpunkte!
Dort, wo sich die Werte verbesserten, schnitten die meisten Aktien besser ab. Der MSCI Europe befindet sich jetzt in der Nähe seines Allzeithochs. Der SPI liegt ähnlich nahe. Amerika bleibt leicht invertiert und hinkt hinterher.
Steilere Kurven treiben die Kurse von Value-Aktien (die in Europa dominieren) im Vergleich zu Growth-Aktien (die in Amerika dominieren) nach oben. Europäische Banken sind 2025 unauffällig führend, weit vor den grossen US-Tech-Unternehmen. Warum? Die Verschiebung steigert die Rentabilität der Banken! Gut für die hohe Gewichtung der Banken im SPI. Erwägen Sie europäische Value-orientierte Industrie- und zyklische Konsumgüter. Beide führen die Weltaktien an. Mehr Kredite bedeuten mehr Kapital für Wachstum und höhere Erträge.
Dies allein bestimmt zwar nicht die Marktrichtung, aber es gibt ihr einen Schub. Die Unauffälligkeit bedeutet, dass sie noch nicht vollständig eingepreist ist, was ihre grosse bullische Kraft verlängert.