In diesen Tagen erhalten Anleger reihenweise schlechte News von den Banken: Die Barriere ihres Zertifikats sei durchbrochen worden, sie müssten deshalb damit rechnen, die schlechteste Aktie des betreffenden Produkts ausgeliefert zu erhalten. Die Informationen sind teilweise sehr dürftig. Bei der Credit Suisse fehlen etwa die Angaben darüber, um welches Produkt es sich überhaupt handelt, welcher Betrag investiert wurde oder wie viele Aktien ins Depot gebucht werden. Da nun die weitaus meisten der Renditeoptimierungsprodukte ihre Barrieren unterschritten haben, wäre der Schluss verfehlt, dieser Zweig der Finanzbranche habe generell besonders unter der Börsenkorrektur gelitten. Diese Vermutung ist einer von weiteren sechs Mythen, die Teil 2 des BILANZ-Artikels über strukturierte Produkte klärt.

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1. Strukturierte Produkte leiden besonders unter einer Baisse

Nicht alle strukturierten Produkte haben gleichermassen unter der Börsenbaisse gelitten. Die Verluste beschränken sich auf bestimmte Kategorien und Märk-te. Eine Untersuchung der Ratingagentur Scope in Deutschland hat sogar gezeigt, dass die Performance von Zertifikaten auf den deutschen Leitindex DAX besser war als beim Index selbst. So verlor der DAX von Ende Dezember bis Ende Januar 15,5 Prozent. Mit dem richtigen Zertifikat konnte hingegen eine positive Rendite von 27 Prozent erreicht werden (siehe «Zertifikate schlagen Index» als PDF).

In der Schweiz fehlt eine solche Analyse. Ein Musterportfolio von Derivative Partners zeigt aber, dass seit Mai, als der Einbruch an der Schweizer Börse begann, mit der richtigen Auswahl von strukturierten Produkten ein Verlust vermieden werden konnte. Die Entwicklung des Depots kann fortlaufend unter www.payoff.ch verfolgt werden. Derzeit sind folgende Produkte im Depot enthalten:

UBS: SMIC-Tracker und Perles Plus auf den SMI
Goldman Sachs: Highscore-Zertifikat auf den SMI, Bonuszertifikat auf den SMI
ABN: DAXplus Minimum Variance Switzerland (TRI), Mini-Futures auf USD/CHF
BKB: SLI Swiss Leader TR
BCV: Momentum Mixte Actions & Forex
VT: Mini-Futures auf den SMI.

Fazit: Trifft nicht zu

2. Strukturierte Produkte sind für die Vorsorge ungeeignet

Nach der Pioniertat der St.  Galler Kan-tonalbank haben mit Credit Suisse sowie Zürcher und Basler Kantonalbank drei weitere Institute strukturierte Produkte aufgelegt, die von der Steuerverwaltung als privilegierte Vorsorge der Säule 3a anerkannt werden. Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) als oberste Aufsichtsbehörde der beruflichen Vorsorge will nun eine Verordnung erlassen, die den Einsatz von strukturierten Produkten regelt.

Alle vier bisher aufgelegten Produkte sind an den Schweizer Blue-Chip-Index SMI gekoppelt. Die Laufzeit beträgt gemäss bisheriger Auflage des BSV fünf Jahre. Die Mindestrendite beträgt 1,5 beziehungsweise 1,6 Prozent bei den Baslern, was unter den aktuellen Zinssätzen für 3a-Konten liegt. Dafür sind die Anleger an der Performance des SMI beteiligt – allerdings nicht vollständig. Bei der ZKB hätte nach Berechnungen des Magazins «Payoff» zwischen 2002 und 2007 eine Rendite von 28 Prozent resultiert, während der SMI um 89 Prozent gestiegen ist. Beim Produkt der Credit Suisse muss der SMI am Ende der Laufzeit mindestens 18,75 Prozent höher liegen als zu Beginn, damit die Rendite die garantierte Mindestverzinsung übertrifft.

Fazit: Trifft nicht zu

3. Bei strukturierten Produkten ist das Emittentenrisiko zu beachten

Im Gegensatz zu Anlagefonds sind strukturierte Produkte kein Sondervermögen, das im Konkursfall der Bank an den Anleger ausgeliefert wird. Vielmehr muss das Guthaben als Forderung geltend gemacht werden und gehört zur Konkursmasse, falls die Bank, die das Produkt emittiert hat, Pleite geht. Auf dieses Risiko wird zwar immer wieder hingewiesen, doch wirklich ernst genommen wird es kaum. Schliesslich ist die Wahrscheinlichkeit eines Konkurses bei den beaufsichtigten Schweizer Banken trotz den Folgen der Finanzkrise gering. Die am härtesten getroffenen Finanzinstitute, UBS und CS, geniessen faktisch eine Staatsgarantie.

Was Anleger aber oft nicht beachten, ist der Umstand, dass strukturierte Produkte in der Regel nicht von der Bank selbst ausgegeben werden, sondern über eine Tochterfirma in einer exotischen Destination. Natürlich garantiert das Mutterhaus für diese Tochter. Doch wie weit die Garantie geht und wie oder wo sie von den betroffenen Anlegern im schlimmsten Fall eingefordert werden müsste, ist nicht klar. Denn ausführliche Emissionsprospekte, in denen solche Details geklärt würden, fehlen für strukturierte Produkte in der Schweiz. Eine der wenigen Regelungen im Gesetz über kollektive Anlagen billigt diesem Segment nämlich zu, bloss einen vereinfachten Prospekt in Form eines Term Sheet zu publizieren.

Doch für die institutionellen Anleger war dieses Emittentenrisiko bisher Grund genug, strukturierte Produkte zu meiden. Erst mit der neuen, von der Bank Vontobel geschaffenen Anlageklasse der ETSF wird dieses Risiko entschärft. ETSF sind börsenkotierte Fonds, die in strukturierte Produkte investieren und ähnlich wie Aktien gehandelt werden.

Nicht nur die Bonität des Emittenten stellt ein Risiko dar – auch die Basiswerte können von einem Konkurs oder einem Ausfall betroffen sein. Was dann geschieht, erleben die Anleger derzeit bei der SEB Bank in Deutschland. 2006 gab die Bank Zertifikate aus, mit denen Anleger an der Strategie des illustren Hedge-Fund-Managers Florian Homm partizipieren konnten. Im vergangenen September kam es zum Eklat: Homm tauchte unter, die Bank kündigte die Zertifikate. Da kein Marktwert berechnet werden konnte, wie die Bank erklärte, warten die Anleger seither auf die Rückzahlung. Wie hoch die Erlöse noch sein werden und welche Verluste sich daraus ergeben, erfahren sie frühestens im November.

Fazit: Trifft zu

4. Strukturierte Produkte sind marktneutral

Börsenhändler bei den Banken, welche die Renditeoptimierungsprodukte mit Barriere betreuen, müssen laufend die Aktienpositionen überwachen. Je näher an die Barriere heran ein Aktienkurs rutscht und je kürzer die Laufzeit des Produkts noch ist, desto mehr Aktien muss der Händler bereitstellen, um die Titel den Anlegern allenfalls ausliefern zu können. Der Kurseinbruch einer Aktie hat also zur Folge, dass die Händler dieser strukturierten Produkte mit dem Kauf der betreffenden Aktien beginnen. Es liegt somit auf der Hand, dass diese Käufe eine Gegenreaktion zur Folge haben und den Kurs stützen.
Der Effekt zeigte sich besonders deutlich bei der Privatbank EFG. Ihr neu aufgebautes Team hat nicht weniger als sechs Produkte aufgelegt, bei denen Aktien der eigenen EFG International als Basiswert dienen. Eine Stichprobe bei der Schweizer Börse Scoach zeigt, dass im Falle von andern führenden Emittenten jeweils ein, vielleicht zwei Produkte die eigene Aktie als Basiswert führen. Als EFG kürzlich wegen der Subprime-Krise in die Schlagzeilen geriet, brach der Aktienkurs zunächst massiv ein, obwohl die Bank keinen direkten Schaden erlitten hatte. Noch am selben Tag setzte eine Gegenbewegung ein, und der Kurs schloss nur wenig unter dem Vortageswert. «Die Volumen unserer Käufe waren aber zu gering, um einen derart prägnanten Effekt zu haben», betont Jan Schoch von der EFG.

Absicherungen von strukturierten Produkten können auch für Fondsanleger folgenreich sein. Statt die Aktien zu kaufen, kann sie ein Händler beim Fonds der eigenen Bank gegen eine Gebühr ausleihen. Fällt nun ein Aktienkurs unter die Barriere, kauft der Händler dem Fonds die Titel ab, um sie den betroffenen Anlegern des strukturierten Produkts auszuliefern. Im Fonds wird die Position um die entsprechende Anzahl Aktien verringert. Der Fondsanleger wird davon nicht viel mitbekommen, sieht er doch die Aktienpositionen des Fonds nur zur Mitte und zum Ende des Jahres. Und die Auswirkungen spürt er allenfalls anhand der miesen Performance.

Gemäss einer Studie der Beratungsfirma Spitalfields Advisors sind solche Belehnungen in der Schweiz zwar noch nicht weit verbreitet. Im vergangenen Jahr haben aber Nebenwerte, die in strukturierten Produkten oft als Basiswerte eingesetzt werden, auffällig hohe Belehnungsquoten aufgewiesen, so zum Beispiel Micronas, Nobel Biocare, Kudelski oder Von Roll.

Fazit: Trifft nicht zu

5. Bei strukturierten Produkten wissen die Anleger, in welche
Basiswerte sie investieren

Bei der Übernahme des Rückversicherers Converium durch die französische Scor konnten Aktionäre, die damit nicht einverstanden waren, ihre Aktien über die Börse verkaufen. Bei strukturierten Produkten hingegen wurde der Basiswert Converium umgetauscht in Scor-Aktien. Mit dem Kurseinbruch von Scor erhielten die Anleger der Produkte, welche die Lieferung des Basiswerts vorsehen, plötzlich Aktien eines andern Unternehmens, noch dazu aus einem andern Wirtschaftsraum mit anderer Währung.

Wird ein Unternehmen aufgespalten, wird der Anteil Aktien des neuen Unternehmens entsprechend in die strukturierten Produkte einbezogen. Laut Derivatespezialist Heinz Kubli müssen die Anleger damit rechnen, dass ihnen unter Umständen Aktien des alten und des neuen Unternehmens ausgeliefert werden. Dadurch können auch steuerliche Probleme auftreten, wie nun bei der Aufspaltung des Tabakkonzerns Altria. Um nicht plötzlich Einkommenssteuern bezahlen zu müssen, sollten Anleger diese Produkte deshalb vor der Aufspaltung verkaufen. Die vorzeitige Veräusserung des Produkts kann aber höhere Verluste zur Folge haben als ein direkter Verkauf der Aktie, weil beim Produkt der Markt weniger liquid ist.

Von der Kapitalerhöhung der UBS waren Anleger von strukturierten Produkten durch die Verwässerung genauso betroffen wie die Aktionäre der Grossbank. Die andern Aktien in den Renditeoptimierungsprodukten mit mehreren Basiswerten boten keinen Schutz vor dem damit verbundenen Kurszerfall. Reihenweise wurden Barrieren unterschritten, was die Auslieferung der UBS-Aktien zur Folge hatte. Bei andern Veränderungen des Grundkapitals hingegen wie beispielsweise dem Rückkauf von Aktien über die Ausgabe von Put-Optionen werden die Bedingungen in den strukturierten Produkten jeweils angepasst.

Fazit: Trifft nicht zu

6. Strukturierte Produkte sind schwer in die Anlagestrategie einzubinden

In der Tat ist dies eine der Hauptschwierigkeiten im Zusammenhang mit strukturierten Produkten und eines der Hauptargumente von institutionellen Anlegern, solche Produkte zu meiden. Es ist nicht klar, welcher Anlageklasse solche Positionen in der Asset Allocation zuzuordnen sind. So ist ein Kapitalschutzprodukt auf den SMI beim Verfallstermin einer Obligation ähnlich. Während der Laufzeit folgt das Produkt aber der Entwicklung des Aktienmarktes und bringt beim vorzeitigen Verkauf unter Umständen entsprechende Verluste oder Gewinne ein, ist also wie eine Aktienposition zu betrachten. Das ist noch einleuchtend.

Schon schwieriger zu beurteilen ist das Produkt mit Barriere auf vier Aktienindizes, wie es die Credit Suisse ausstehend hat. Einer der Indizes ist der SMI, ausgegeben wurde das Produkt in Euros, und es liegt in den Depots von Schweizer CS-Kunden, deren Referenzwährung der Franken ist. So ist unklar, ob die Position nun den Obligationen oder den Aktien und da den ausländischen oder den inländischen Aktienpositionen zuzurechnen ist.

Fazit: Trifft zu