Herr Lustig, die Börsen preisen eine schnelle Erholung der Wirtschaft ein, die noch alles andere als sicher ist. Geht die Erholung zu weit?
Der Markt dürfte zu optimistisch sein. Ich glaube nicht, dass man eine Wirtschaft wie einen PC einfach ab- und wieder anschalten kann.

Also rechnen Sie mit einer Korrektur?
Wir werden starke Schwankungen sehen, mit guten und schlechten Tagen. Ich erwarte aber keinen Crash. Die Tiefstände liegen hinter uns.

Wie soll sich ein Anleger in so einem Umfeld verhalten?
Es macht Sinn, die Korrekturen an den Börsen zu nutzen und sich bei jedem Rückschlag Aktien ins Depot zu legen. Etwa jedes Mal so 1 bis 2 Prozent des Depots. Sie werden dann zu Durchschnittspreisen kaufen, anstatt auf einen einzigen Kurs zu setzen.

Die Ergebnisse für das Lockdown-Quartal stehen an. Wird das die Börsenkurse bremsen?
Gewinnprognosen gab es ja keine. Aber die Ergebnisse werden sicher schlecht. Zum Teil ist das schon in den Kursen enthalten. Aber wenn miese Zahlen auf dem Tisch liegen, ist das ernüchternd. Das würde die Stimmung an den Märkten sicher belasten.

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Yoram Lustig: Head of Multi-Asset Solutions EMEA bei T. Rowe Price.

Yoram Lustig ist Head of Multi-Asset Solutions EMEA bei T. Rowe Price.

Quelle: PD

Die Stimmung scheint der wesentliche Treiber der Börsen zu sein.
Kurzfristig bestimmt sie das Geschehen. Sagt Fed-Chef Powell, der Wirtschaft gehe es besser als erwartet, ist selbst das in einem risikoaversen Umfeld eine schlechte Nachricht. Aber die Stimmung ist nur für kurzfristige Spekulationen relevant. Investoren sollten zwölf Monate in die Zukunft blicken, sich auf die Fundamentaldaten fokussieren und können so die ganzen Hintergrundgeräusche ignorieren.

Was anhand der vielen Unsicherheiten nicht leicht ist.
Neben der Pandemie gibt es noch die US-Wahlen, den Kampf zwischen den USA und China um den Rang der dominanten Weltmacht und das Risiko einer zweiten Welle. Deshalb sind wir für Aktien auch neutral. Wegen der Unsicherheiten ist es nicht die Zeit, mutig zu sein.

Die Zombiebörse

Gesteuert von den Notenbanken, haben sich die Börsen von der düsteren Realität abgekoppelt. Ein riskantes Experiment. Mehr dazu lesen Sie hier.

Was ist mit dem Anlagenotstand als Kaufargument?
Mit Cash und Bonds ist nichts zu verdienen. Investoren müssen wieder Aktien oder High Yield Bonds kaufen, um eine Rendite zu generieren. Bei High Yield Bonds gibt es sehr attraktive Möglichkeiten. Das Segment profitiert durch die Käufe der Notenbanken. Diese Interventionen können Anleger für sich nutzen.

Bleiben die Notenbanken und Staaten mit ihrem Stimulus auf dem Gaspedal?
Ihnen bleibt gar nichts anderes übrig. Bremsen sie sich ein, gibt es wieder Panik an den Finanzmärkten. Es stellt sich nur die Frage, wie sie je wieder zur Normalität zurückfinden wollen.

Erich Gerbl
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