BILANZ: Sie sehen wie ein fröhlicher Krisengewinnler aus. Bei den Turbulenzen in der Europäischen Währungsunion müssten Sie in Goldgräberzeiten sein.

Urs Schwarzenbach: Schön wärs. Es ist wirklich schwierig, in diesem Marktumfeld Geld zu verdienen. Aber meinen Humor habe ich mir trotzdem erhalten.

Sie sind mit Währungskrisen reich geworden, heisst es. Da sollten sich für Sie doch jetzt viele Gelegenheiten bieten.

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Nein, das ist leider nicht so. Als die Nationalbank im September 2011 verkündete, den Mindestkurs zum Euro auf 1.20 Franken festzulegen, da hat es mich kalt erwischt – mit einem Verlust von fünf Prozent auf meinen Positionen. By courtesy of Philipp – mit freundlicher Empfehlung von Philipp Hildebrand.

Den gescheiterten Nationalbankpräsidenten schätzen Sie demnach nicht so sehr?

Spass beiseite, ich hatte grosse Achtung vor seiner Arbeit. Er war international anerkannt, und ich war mit einigen meiner Bekannten nicht einverstanden, die ihn demontiert haben.

Sie meinen wohl den SVP-Strategen Christoph Blocher.

Ich kenne Christoph seit vielen Jahrzehnten. Ich schätze ihn sehr, aber in dieser Frage haben wir ganz einfach nicht die gleiche Meinung.

Seine privaten Devisengeschäfte hätte Hildebrand aber durchaus galanter organisieren können.

Ganz bestimmt, er hätte ja mich fragen können (lacht).

Das wäre wohl auch keine gute Idee gewesen. Wieso haben Sie die Intervention der Nationalbank nicht kommen sehen? Lag das nicht in der Luft?

Das war mein Bauchgefühl damals, das mich dazu verleitete, weiter Franken gegen den Euro und den Dollar zu kaufen. Erst lag der Euro beim Frankenkurs von 1.20, dann fiel er auf 1.00, und ich bekam ein Gefühl wie in der Werbung des Kleidergeschäfts Bernie’s: «Nur nichts kaufen ist billiger!» Und dann zog die Nationalbank die Handbremse.

Wie hoch war der Verlust denn in absoluten Zahlen?

So weit kommt es noch, dass ich das einem Journalisten erzähle!

Jedenfalls hat der Verlust Sie offensichtlich nicht in die immerwährende Verarmung getrieben.

Na ja, ich habe schon gebüsst dafür, und meine Autos muss ich noch nicht mit einem Leasingvertrag finanzieren. Im Handel bin ich allerdings grundsätzlich vorsichtiger geworden. Denn das Devisengeschäft hat heutzutage völlig neue Dimensionen. Als wir Ende der sechziger Jahre bei der SBG, der heutigen UBS, Devisen handelten, lagen die üblichen Einsätze zwischen drei und zehn Millionen Dollar. Heute sind die Einsätze bei den professionellen Händlern zehnmal höher. Ich investiere stets mit meinem eigenen Geld.

Bei derart volatilen Kursbewegungen lässt sich auf der anderen Seite doch schnelles Geld machen?

Ja, schon. Aber das war nie mein Arbeitsmuster, ich bin kein Daytrader. Ich bin Fundamentalist. Seit meinen Lehrjahren bei der SBG halte ich meine Positionen eher langfristig. Zum Teil sogar über Jahre hinweg.

Dann haben Sie sicher eine Vorstellung, wie lange der Euro noch hält.

Meine Antwort wird Sie vielleicht überraschen: Ich glaube an den Euro, nicht an den Dollar.

Warum das?

Ich habe den Zusammenbruch des Bretton-Woods-Währungssystems erlebt. Ich habe zahlreiche Währungskrisen gesehen. Was bleiben wird, das ist Europa. Vorausgesetzt, es schafft eine echte Vereinigung.

Lesen Sie keine Zeitungen?

Doch. Aber schauen Sie über den Tag hinaus: Europa wird das 21. Jahrhundert beherrschen.

Mit Verlaub – eine gewagte Vision.

Schauen Sie zurück! Als England im 19. Jahrhundert Weltmacht Nummer eins war, da lag das englische Pfund bei über 20 Franken. Heute hat es noch etwas über fünf Prozent vom damaligen Wert. Die USA hatten Anfang des 20. Jahrhunderts die Weltmachtposition übernommen und sich 1946 im Bretton-Woods-System auch mit der Währung als Nummer eins etabliert. Der Dollar-Franken-Kurs wurde zum Mittelkurs von 4.3750 fixiert. Wenn die USA die Vormachtstellung an China abtreten, dann wird sich diese Geschichte wiederholen. Der Dollar könnte dann 95 Prozent seines Wertes verlieren.

Da unterschätzen Sie die Wirtschaftskraft der USA, vor allem die faszinierende Regenerationsfähigkeit der Nation.

Sehen Sie sich die Zahlen nüchtern an. Das Bruttoinlandprodukt der USA beträgt 15 Billionen Dollar, das der Europäischen Union 17,5 Billionen. Die USA haben rund 12 Billionen Dollar Staatsschulden, die EU nur 9 Billionen. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben 311 Millionen Einwohner, die Europäische Union kommt auf mehr als 500 Millionen – ein riesiger Wirtschaftsraum. Europa, nicht Amerika, ist die Nummer eins der Weltwirtschaft.

Das hört sich gerade so an, als wären Sie der letzte verbleibende Europafan.

Ja, ich bin ein eingefleischter Europäer. Schauen Sie auf die historischen Prozesse! Die USA stehen heute an einem Wendepunkt wie die Briten vor 100 Jahren. Damals kontrollierte das Empire die Handelsrouten, heute beherrschen die USA Luft, See und Internet. Aber die Weltmacht wankt. Die Amerikaner schotten sich zunehmend ab. In 20 oder 30 Jahren wird der chinesische Renminbi die Reservewährung der Welt sein.

Zukunftsmusik! Im Moment erleben wir in Europa einen ganz anderen Sound.

Ein totaler Scherbenhaufen ist das, leider. Ich gebe ja zu, ich war in 40 Jahren noch nie so ratlos wie heute. Aber Europa muss und wird diese Krise überwinden. Wir brauchen die Vereinigten Staaten von Europa.

Erzählen Sie das auch unter Ihren Freunden in England?

Ja, auch wenn ich dort damit ebenso einsam bin wie in der Schweiz. In der Europafrage spinnen die Briten ein bisschen, wie die Schweizer. Wir müssen über den Tellerrand schauen. Die Vernunft muss sich durchsetzen, sonst kaufen die Chinesen nicht nur die Infrastrukturen in Griechenland auf, sondern auch in Spanien oder Irland. Wir brauchen in Europa einen neuen Marshallplan.

Klingt gut, aber wir reden doch heute über ganz andere Dimensionen. Griechenland hat an Hilfsgeldern und Notenbankkrediten gesamthaft bereits 575 Milliarden Dollar erhalten. Aus dem Marshallplan erhielt Deutschland damals zwei Prozent des BIP, verglichen mit dem griechischen BIP wären dies gerade mal fünf Milliarden Dollar. Mit anderen Worten: Allein Griechenland hat schon 115 Marshallpläne.

Ein interessanter Aspekt. Aber wir müssen in Europa lernen, in grossen historischen Zügen zu handeln. In China gelten fünf oder zehn Jahre als kurzfristig, als flüchtige Zeiteinheit.

Wie setzen Sie das für sich um?

Als ich zum Beispiel das Hotel Dolder kaufte, da dachte ich in erster Linie über eine greifbare, in langer Frist werthaltige Investition in ein gutes Stück Land nach – an einem der schönsten Flecken Erde in Europa. Etwas mit Ewigkeitsgarantie. Nicht so sehr über einen kurzfristig guten oder schlechten Jahresabschluss im Hotelgeschäft.

Dennoch: Wie informieren Sie sich, damit Sie bei Ihren Devisenspekulationen auch richtig liegen?

Informationen sind heute einfacher zugänglich. Auch über Zeitungen und digitale Medien. Ich diskutiere heute auch viel mit meinem Freundeskreis. Dazu zählen einige sehr einflussreiche Menschen, von Australien über England bis nach St. Moritz. Früher war man privilegiert informiert, wenn man auf die Research-Berichte aus der eigenen Bank oder von anderen Instituten zurückgreifen konnte. Das ist vorbei. Heute kann man von überall her unabhängige Daten erhalten.

In Ihrem Bücherschrank hier steht interessanterweise kein einziges Handbuch für den erfolgreichen Börsianer oder Trader, nichts aus der Abteilung der viel gelesenen Management-Hilfsliteratur. Dafür umso mehr Politisches und Historisches: Standardwerke über die grossen politischen Krisen und Skandale. Warum?

Das interessiert mich eben. Wichtig sind die grossen politischen Umbrüche, nicht die Moden der Manager. Aber vieles entscheide ich auch aus dem Bauch heraus.

Eine historische Frage für die Schweiz könnte sich stellen, wenn die Nationalbank sich mit der Verteidigung des Mindestkurses übernimmt. Kann sie diesen Kampf am Markt bestehen?

Das wird schwierig. Was passiert, wenn die Grenze vom Markt in Frage gestellt wird? Kauft die Nationalbank dann unlimitiert Euros? Am ersten Tag 100 Milliarden, am zweiten 200 Milliarden und am dritten schon eine halbe Billion? Was macht sie mit diesen Euros? Wenn die Notenbank die Devisen auf dem Konto liegen lässt, dann riskiert sie, dass es den Euro eines Tages nicht mehr gibt. Sie kann die Euros bei anderen Zentralbanken anlegen, zum Beispiel der EZB – auch riskant. So finanziert sie, mit anderen Worten, Europa. Konvertiert sie die Euros in US-Dollars, dann finanziert sie die USA. Diese Risiken darf sie meines Erachtens nicht auf sich laden.

Was sonst?

Sie sollte den Euro-Franken-Kurs den Marktkräften überlassen. Die wirtschaftlichen Folgen für gewisse Teile der Exportindustrie wären wahrscheinlich sehr schlimm. Aber sonst würde die Nationalbank zum Garanten der Schulden in Euros und US-Dollars. Beim Entscheid für einen freien Wechselkurs käme es anfangs – wie oft bei solchen Veränderungen – zum Überschiessen an den Märkten. Aber das geht rasch vorbei.