Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sind die Energiemärkte im Ausnahmezustand: Gas- und Strompreise im Grosshandel haben sich vervielfacht. So wurden im August an der Strombörse in Leipzig kurzfristige Termingeschäfte zwischenzeitlich zum 20-Fachen des langjährigen Durchschnittspreises gehandelt.

Preise für Erdgas haben im August ebenfalls Höchststände erreicht. Die Spitze der Preisentwicklung wurde zwar jüngst gebrochen, da die europäischen Gaslager mittlerweile gut gefüllt sind. Von einer Entspannung kann jedoch keinesfalls die Rede sein.

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Der Bundesrat ergreift Notmassnahmen für Stromkonzerne und ruft zum Energiesparen auf. Andere Länder versuchen, mit neuen Abkommen die weltweit zweitgrössten Gasreserven im Iran zu erschliessen.

Stromrechnungen steigen – auch in der Schweiz

Weil in der Schweiz der Strom weitgehend unabhängig von Gas und anderen fossilen Brennstoffen produziert wird, ist das Land der Preisexplosion etwas weniger stark ausgesetzt. Gleichzeitig ist es ungewiss, ob im Winter – wie üblich – zusätzlicher Strom zugekauft werden kann: In Frankreich sind zahlreiche Kernkraftwerke wegen Schäden und tiefer Flusspegelstände ausser Betrieb, Deutschland dürfte Gasexporte erschweren.

Über den Autor

Thomas Rühl ist Chief Investment Officer und Leiter des Research-Teams der Schwyzer Kantonalbank (SZKB). Er startete seine Karriere 2005 bei der Credit Suisse als Ökonom. Von 2010 bis 2016 war er Leiter Regional Research. Von 2017 bis 2019 war er Leiter Business Consulting für die BAK Economics AG in Zürich. Von 2019 bis August 2022 war er Leiter Research bei der Schweizerischen Bankiervereinigung.

Schweizer Haushalte sorgen sich um die Stromversorgung im bevorstehenden Winter und die zusätzlichen Kosten. Die Strompreis-Regulierung schützt Endverbraucher zwar vor den extremen Exzessen an den Grosshandelsmärkten, dennoch fallen die Rechnungen im Schweizer Durchschnitt 27 Prozent höher aus. 

Keine rechtzeitige Alternative

Strom und Gas sind der Ausgangspunkt vieler Wertschöpfungsketten. Anlegerinnen und Anleger sollten dies in ihren Anlageentscheiden berücksichtigen. Beispielsweise sind Hersteller von Keramikprodukten und die Chemieindustrie stark von Gas abhängig; Metallproduzenten dagegen erheblich von Strom.

Ohne eine Entspannung der Energiepreise führt ein mögliches Klumpenrisiko im Portfolio eventuell zu einer Unterrendite. Die meisten Lösungen kommen zu spät für den nächsten Winter, und überhaupt hat Europa für die Zukunft wenig Alternativen zu erneuerbaren Energien: Kernkraft ist nur bedingt mehrheitsfähig; der politische und logistische Zugang zu iranischem Gas höchst unsicher; Braunkohle höchst klimaschädlich.

Private Initiativen und ein Subventions-Eldorado für Solar-, Wind- und Wasserkraft zeichnen sich ab. Auch aus Anlegersicht werden die entsprechenden Technologien an Attraktivität gewinnen. Aber im Moment gilt: Vorsorgen, Vorbereiten, Brennstofflager füllen und auf einen warmen Winter oder eine Friedenslösung hoffen.