BILANZ: Erstmals seit rund zehn Jahren musste der Bund für 2014 wieder ein Defizit ausweisen. Frau Bundesrätin, sind die fetten Jahre jetzt definitiv vorbei?
Eveline Widmer-Schlumpf*: Wir müssen uns an eine Normalisierung gewöhnen. Man sollte die Lage nicht dramatisieren, im Vergleich mit dem Ausland stehen wir noch immer sehr gut da. Aber ja, wir werden uns auf einem tieferen Niveau stabilisieren.

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Aber wieso haben Sie nicht früher bemerkt, dass die Steuereinnahmen derart viel tiefer ausfallen?
Die Gewinnsteuer ist während rund 20 Jahren bis 2008 doppelt so stark gewachsen wie das Bruttoinlandprodukt. Viele Unternehmen haben sich in dieser Zeit in der Schweiz niedergelassen. Aber auch die hiesige Wirtschaft ist in diesen Jahren stark gewachsen – insbesondere der Finanzplatz bis zur Krise 2008. Das war matchentscheidend. Das ist jetzt vorbei. Und wir haben nun unser Prognosemodell für künftige Steuereinnahmen angepasst und eine erste Analyse gemacht. Leider aber ist die Datenbasis wirklich schlecht.

Was sind denn jetzt gemäss Ihrer ersten Analyse die Gründe für die tieferen Einnahmen bei der Bundessteuer?
Bei der Gewinnsteuer erkennen wir drei Elemente: die Frankenstärke, die abnehmende Zahl an Unternehmen, die sich hierzulande neu niedergelassen haben, und die Verlustverrechnung. Das heisst: Die Unternehmen können während sieben Jahren die Verluste mit zukünftigen Gewinnen verrechnen. Das haben sie stärker getan, als wir angenommen hatten.

Auch die Einnahmen aus der Einkommenssteuer der natürlichen Personen sind tiefer ausgefallen als erwartet.
Nebst der Teuerung, die wir in der Finanzplanung zu hoch angesetzt haben, liegt wohl der Hauptgrund darin, dass die Einkommen der sehr gut situierten Personen weniger stark gestiegen sind als in den Jahren zuvor.

Die Saläre der Topverdiener steigen also weniger als früher?
Es gab wohl weniger Boni. Diesen Schluss jedenfalls lassen Auswertungen einiger Kantone zu. Zudem drückt noch ein weiteres Phänomen auf die Einkommenssteuer: Wir stellen fest, dass Firmeninhaber sich statt Lohn häufiger oder mehr Dividenden auszahlen, die ja nur zum Teil besteuert werden.

Die Dividendenteilbesteuerung geht auf die Unternehmenssteuerreform II Ihres Vorgängers Merz zurück. War diese ein Fehler?
Wir gehen davon aus, dass die Unternehmenssteuerreform II sowie die Entlastungen zugunsten der Familie, zum Beispiel mit dem Abzug für die Fremdbetreuung der Kinder, zu höheren Mindereinnahmen geführt haben, als wir berechnet hatten.

Um wie viel?
Das können wir noch nicht sagen. Einige Kantone sind sehr nah bei den Prognosen, andere haben sich verschätzt. Sie müssen zum Teil bei einzelnen Elementen der Reformen erheblich höhere Einbussen hinnehmen als angenommen.

Jetzt heisst es also sparen?
Ja. Wir müssen die Finanzplanung korrigieren, das heisst das Ausgabenwachstum eindämmen. Im Februar haben wir eine erste Anpassung um 1,3 Milliarden Franken vorgenommen. Für die Jahre ab 2017 wird eine zweite Anpassung nötig.

Im Sommer wollen Sie die Botschaft für die Unternehmenssteuerreform III vorlegen, mit der die Steuersonderregimes unter anderem für Holdings abgeschafft werden sollen. Das kostet den Bund 1,1 Milliarden Franken. Liegt das überhaupt drin?
Wir sind zuversichtlich, diese Kosten, die ab 2019 anfallen dürften, über das ordentliche Budget begleichen zu können.

Die Linke droht bereits mit dem Referendum. Wie wollen Sie der Bevölkerung dann diese technische Reform erklären?
Es geht um viele Arbeitsplätze. Viele Unternehmungen, die heute von den Sondersteuerregimes profitieren, könnten fortziehen. Wir brauchen Steuerregelungen, die international akzeptiert sind, sonst können sich die Unternehmungen nicht auf unsere Gesetze verlassen. Ohne Steuerreform werden die Verluste grösser sein. Die Vorlagen werden aber tatsächlich immer komplexer. Die Steuerbefreiung von Kinderzulagen kann man mit Beispielen illustrieren und damit noch relativ leicht erklären. Aber es wird schwierig werden, die Komplexität einer Unternehmenssteuerreform III aufzuzeigen.

Auch Sie sind demnach gezwungen zuzuspitzen. Mit «Lizenzboxen nach Nexus-Approach», «Step-up» und allenfalls einer «Tonnage Tax» ist die Reform jedenfalls nicht zu verkaufen.
Ja, das ist sicher nichts für den Stammtisch im Wirtshaus. Die einzelnen Bestandteile sind kaum vermittelbar. Das Abschaffen der Sonderregimes leuchtet aber ein. Nicht nur weil das Ausland Druck macht, sondern auch weil die inländische Ungleich behandlung nicht erklärbar ist. Wieso sollen Erträge, die im Ausland erwirtschaftet werden, tiefer besteuert werden als solche, die im Inland gemacht werden? Die Reform als Ganzes ist sehr logisch aufgebaut. Und auch die in der Vernehmlassung zur Diskussion gestellte Kapitalgewinnsteuer wäre in diesem System kein Fremdkörper gewesen.

Neue Steuern sind aber selten populär.
Aber es wäre keine neue Steuer gewesen. Sie ist eine Einkommenssteuer. Heute machen wir für die privaten Kapitalgewinne eine Ausnahme. Diese Ausnahme würde abgeschafft.

Glauben Sie, dass das Wahljahr Ihre Reform gefährdet?
Wahljahr oder nicht Wahljahr – das darf keine Rolle spielen. Wir brauchen jetzt dringend Sicherheit. Die Unternehmen müssen wissen, wie es weitergeht. Wir haben schliesslich heute schon so viel Unsicherheit – wegen der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative oder wegen des starken Frankens.

* Ende 2007 wählte das Parlament Eveline Widmer- Schlumpf (59), Bündner Finanzdirektorin und Tochter von Alt-Bundesrat Leon Schlumpf, anstelle ihres Parteikollegen Christoph Blocher in den Bundesrat. Das führte zum Bruch mit der SVP und zur Gründung der BDP. Erst übernahm die Juristin das Justiz- und Polizei-, 2010 das Finanzdepartement. Die BDP-Bundesrätin ist verheiratet, lebt in Felsberg GR, hat drei Kinder und seit dem 10. April ein drittes Enkelkind.

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