Zerstörte Häuser, überflutete Landschaften: Erst allmählich wird das Ausmass der Schäden sichtbar, die «Harvey» angerichtet hat. Der Hurrikan war am 25. August auf die osttexanische Küste getroffen und hatte weite Teile des US-Bundesstaats unter Wasser gesetzt. Mittlerweile weichen die Fluten. Sie hinterlassen nach Angaben der texanischen Behörden für öffentliche Sicherheit mindestens 200'000 beschädigte und 13'000 komplett zerstörte Häuser. Greg Abbott, Gouverneur von Texas, schätzte die Kosten für den Wiederaufbau am vergangenen Sonntag auf bis zu 180 Milliarden US-Dollar.

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Während die Aufräumarbeiten gerade begannen, trifft schon der nächste Wirbelsturm auf die USA: Wirbelsturm «Irma» verwüstete die Karibikinsel Barbuda. Momentan steuert er auf den US-Bundesstaat Florida zu. Dort laufen bereits Evakuierungen, unter anderem im beliebten Stadtteil Miami Beach. Welchen Weg «Irma» sich bahnen und welche Schäden der Wirbelsturm dabei hinterlassen wird, ist noch unklar. Fest steht aber: Die Folgen der Wirbelstürme werden die USA noch lange beschäftigen – und auch die US-Wirtschaft beeinträchtigen.

Wirbelsturm als Konjunkturbremse

Nach einem schwachen Jahresbeginn brummte der Konjunkturmotor in den USA zuletzt wieder, das Bruttoinlandprodukt (BIP) stieg im zweiten Quartal 2017 um drei Prozent, so stark wie seit mehr als zwei Jahren nicht. Analysten hatten mit einem Anstieg von nur 2,6 Prozent gerechnet. Vor allem die Kauflaune der US-Konsumenten hatte das BIP nach oben getrieben.

«Harvey» und «Irma» dürften den Lauf in den kommenden Monaten bremsen. Das Wirtschaftswachstum wird zwischen dem dritten und dem vierten Quartal um etwa ein Viertel Prozent kleiner ausfallen, erwartet Seth Carpenter, Analyst der UBS. Die Investmentbank Citi geht für diesen Zeitraum ebenfalls von Wachstumseinbussen um 0,2 bis 0,3 Prozent aus. «Harvey» dürfte vor allem die Energie- und die Chemiebranche hart treffen.

Produktionsunterbrüche in Texas

Mit einer jährlichen Wirtschaftsleistung von 1,6 Billionen US-Dollar macht der Bundestaat Texas rund neun Prozent des Gesamt-BIP der Vereinigten Staaten aus. In Texas sind viele erdölverarbeitende Konzerne beheimatet, Houston gilt als Energiehauptstadt der USA. Dort stehen die meisten Raffinerien. Konzerne wie Exxon und Shell hatten die Benzinproduktion vorsichtshalber gestoppt, bevor «Harvey» die Küste traf. Die Benzinpreise im Land sind daraufhin gestiegen. Die US-Investmentbank Goldman Sachs rechnet allein durch die Verluste im Energiesektor mit Einbrüchen der gesamten Wirtschaftsleistung der USA.

Auch in anderen Firmen ist derzeit kein Betrieb möglich. So hat zum Beispiel der deutsche Spezialchemiekonzern Evonik zwei Standorte in Texas wegen des Unwetters geschlossen. BASF verfügt in Texas über sechs Standorte mit insgesamt rund 3000 Mitarbeitern hat die Produktion an kleineren Standorten gedrosselt. Mit Huntsman ist auch der Fusionspartner des Schweizer Chemiekonzerns Clariant von «Harvey» betroffen: Das Unternehmen hat seinen Hauptsitz in Texas geschlossen und sechs Produktionsstätten heruntergefahren.

Auch Schweizer Firma betroffen

Der Wirbelsturm trifft auch 600 Mitarbeiter des Schweizer Technologiekonzerns ABB: Der Konzern betreibt in der Krisenregion ein Demo- und Trainingscenter sowie einen Vertriebsstandort. Beide Standorte sind zurzeit geschlossen. Kurzfristig dürfte «Harvey» 30'000 Beschäftigte in Texas arbeitslos machen, sagt UBS-Analyst Carpenter. In etwa zwei Monaten dürfte sich die Zahl dann aber wieder normalisieren. Die Ökonomen der Berenberg Bank verweisen darauf, dass die Erstanträge auf Arbeitslosigkeit wegen «Irma» noch «für einige Zeit» hoch bleiben werden.

Auch die Schifffahrt muss voraussichtlich Einbussen hinnehmen: Als «Harvey» herannahte, stellten die Häfen in Corpus Cristi und Galveston ihren Betrieb ein, im Hafen von Houston kam der Frachtverkehr zum Erliegen. Die Frachtgebühren zwischen dem Golf von Mexiko und der US-Ostküste stiegen prompt. Fluggesellschaften leiden ebenfalls unter den Stürmen, weil wegen des Wetters tausende Flüge gestrichen wurden. Dazu kommen Schäden an Infrastruktur und Gebäuden. Allein Windschäden könnten Forderungen an Versicherungen in Höhe von bis zu 6 Milliarden US-Dollar nach sich ziehen, geht aus Rechnungen des Risikobewertungsunternehmens Risk Management Solutions hervor. Nur wenige Immobilienbesitzer haben ihre Häuser gegen Überschwemmungen versichert und fürchten um ihre Existenz.

Wiederaufbau birgt Chancen

Bis das ganze finanzielle Ausmass der Wirbelstürme feststeht, wird es Beobachtern zufolge noch Monate dauern. Kurzfristig dürfte die US-Wirtschaft ins Stocken kommen. Anleger können indes gelassen bleiben: Denn wenn der Wiederaufbau der zerstörten Gebiete in Gang kommt, dürfte das der US-Wirtschaft wieder Schub geben.

Auch die zuletzt gefallenen Aktienkurse von Rückversicherern und Fluggesellschaften könnten dann wieder steigen. Energieunternehmen müssen Investoren Marktbeobachtern zufolge ebenfalls nicht meiden: Bei Royal Dutch Shell etwa sind die Angestellten schon wieder auf die Ölbohrplattform Perdido im Golf von Mexiko an ihre Arbeitsplätze zurückgekehrt. Kurzfristig dürften die Auswirkungen von «Harvey» und «Irma» immens sein – langfristig wird wieder Normalität einkehren.