Herr Amrein, die Prämien-Szenarien für den Herbst sind düster – neben der Inflation dürften auch die Kosten für die Krankenkasse das Portemonnaie von Herrn und Frau Schweizer massiv belasten. Was ist zu tun, damit der Trend zu immer höheren Prämien gestoppt werden kann?

Leider wird politisch vorwiegend über die Finanzierungsseite und weniger über die Kostenseite debattiert. Die Prämien sind das Spiegelbild der Kosten und somit müsste an der Kostenschraube gedreht werden. Politisch scheint es jedoch einfacher, an den Finanzierungsströmen, wie zum Beispiel der Erhöhung der Prämienverbilligungsgelder, zu schrauben, als konkrete Kostensparmassnahmen anzugehen. Grund dafür ist, dass solchen Massnahmen viele Player wie Bund, Kantone, Leistungserbringer und Pharma mit deren Partikularinteressen gegenüberstehen. 

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Der Geschäftsführer einer ihrer Mitbewerber hat mir kürzlich gesagt, das Gesundheitswesen rase auf eine Wand zu. Teilen Sie diese Aussage?

Ja, früher oder später dürfte es einen «Chlapf» geben – vielleicht ja bereits diesen Herbst. Sofern jedoch die stark steigenden Kosten der Jahre 2021 und 2022 nicht in den Prämien 2023 abgebildet werden, könnte es noch etwas länger dauern. 

Weshalb?

Die Gesetzgebung sieht vor, dass die Prämien knapp kalkuliert werden dürfen. Das heisst, dass auch Prämieneingaben möglich sind, welche die erwarteten Kosten nicht vollumfänglich decken, indem zum Beispiel erwartete Kapitalanlageerträge prognostiziert werden. Dadurch wird die Kostenwahrheit unterwandert und in den Folgejahren muss dieser falsche Anreiz kompensiert werden. 

In den vergangenen Jahren wurde als selbstverständlich erachtet, dass die Kapitalanlagen immer einen zusätzlichen Gewinn liefern und somit die Solvenzquote erhöhen. Nicht zuletzt deshalb wird politisch gefordert, dass Reserven, welche über einer Solvenzquote von 150 Prozent liegen, abgebaut werden müssen respektive die erwarteten Kapitalanlageerträge in die knappe Prämienkalkulation eingerechnet werden dürfen. Wenn sich nun Verluste auf Kapitalanlagen sowie knapp kalkulierte Prämien kumulieren, kann das vermeintliche Polster in einer Solvenzquote von 150 Prozent sehr schnell aufgebraucht sein.

Dennoch scheint sich nichts zu bewegen. Alle Akteure schieben die heisse Kartoffel hin und her. Was könnten die Krankenversicherer konkret tun, damit sich etwas ändert?

Als Krankenversicherer sind wir primär der Überbringer der schlechten Botschaft, da wir die steigenden Kosten über unbeliebte Prämienerhöhungen kommunizieren müssen. Als Atupri tragen wir aktiv zur Kosteneinsparung bei, zum Beispiel mittels Kontrolle der Leistungsbelege. Damit sparen wir pro Jahr rund 60 Millionen Franken ein. Für weitere Massnahmen sind uns mehrheitlich die Hände gebunden, da für den Bereich der obligatorischen Grundversicherung ein Leistungskatalog besteht, nach welchem die Krankenversicherer abzurechnen und zu bezahlen haben. 

Wie könnte die Kostensteigerung verlangsamt oder gestoppt werden?

Erstens sollte die integrierte Versorgung gestärkt werden. Der Patient hat eine Anlaufstelle, die entscheidet, ob weitere Leistungserbringer kontaktiert werden müssen. Dazu alternative Grundversicherungsmodelle, die eine digitale Anlaufstelle via Medgate zur Verfügung stellen. Dadurch erhoffen wir uns einerseits eine Begleitung des Versicherten, anderseits entsprechende Kosteneinsparungen. 

Zweitens könnten durch die Einführung des elektronischen Patientendossiers unnötige Mehrfachbehandlungen vermieden werden, indem der Patient den Leistungserbringern den Zugriff auf das persönliche Dossier ermöglicht. Drittens müsste das veraltete Tarmed-Arzttarifsystem abgelöst werden und viertens sollten sich die Kantone an den ambulanten Kosten beteiligen. Dies brächte für sie den Anreiz, die ambulanten Behandlungen zulasten von teureren Spitalbehandlungen zu fördern.

Zurück zum Leistungskatalog – wäre es nicht die Aufgabe der neuen Qualitätskommission, diesen anzupassen?

Ich finde das einen guten Ansatz. Dieses Gremium ist aus unterschiedlichen Vertreterinnen und Vertretern im Gesundheitswesen zusammengesetzt. Es kann erfolgreich sein, wenn eine einheitliche Stossrichtung verfolgt wird, welche es ermöglicht, dass unser Gesundheitswesen zukunftsfähig bleibt. Hierzu wird es auch Einschnitte brauchen, welche in Richtung von substanziellen Kosteneinsparungen zielen. Deshalb sollte dieses Gremium zwingend mit den notwendigen Kompetenzen ausgestattet werden. 

Aktuell müssen Sie die Prämien für das kommende Jahr berechnen und beim Bund eingeben. Welche Herausforderungen hat ein Finanzchef bei einem Krankenversicherer während des restlichen Jahres?

Als CFO bei einem Krankenversicherer liegen die Herausforderung weniger im Einhalten von internationalen Standards für die Rechnungslegung als vielmehr im Datenmanagement. Es wird immer wichtiger, Trends frühzeitig zu erkennen und die Wirkungen auf das Geschäft einzuschätzen. Damit meine ich vor allem die Digitalisierung und deren Auswirkung auf die personellen und finanziellen Ressourcen. Das frühzeitige Erkennen ist auch elementar, weil wir die Kosten für diese Entwicklungen nicht zeitnah über die Preise weitergeben können. Wir müssen jeweils bis Ende Juli die Prämien für das kommende Jahr eingeben und dabei abschätzen, welche Faktoren für eineinhalb Jahre, also bis zur Anwendung der neuen Prämien, berücksichtigt werden müssen. 

Apropos Datenmanagement – sind Ökosysteme ein Thema für Atupri?

Wenn Sie unter Ökosystem die digitale Kundenreise zum Thema Gesundheit verstehen, bin ich einverstanden. Es stellt sich dabei die Frage, welche Rolle wir als digital affiner Gesundheitsversicherer in diesem Ökosystem besetzen wollen und können. Dies ist Bestandteil unserer strategischen Grundsatzdiskussion. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, was wir selbst und was wir in Partnerschaften umsetzen können.

Alle Akteure sprechen davon, Ökosysteme und Partnerschaften zu gestalten, der Schweizer Markt ist allerdings ziemlich begrenzt. Wird es mittelfristig nur noch ein grosses Ökosystem oder eine grosse Plattform geben? Oder anders gefragt: Führt der Plattformgedanke zu einer weiteren Konsolidierung des Marktes?

Persönlich bin ich der Meinung, dass die Konsolidierung am Markt weitergehen wird. Nicht zuletzt wegen der steigenden regulatorischen Anforderungen wie Datenschutz und -sicherheit sowie der Investitionen in die Digitalisierung inklusive der Cyberrisiko-Themen. Dies heisst aber nicht, dass es für mittelgrosse Player wie Atupri keine Daseinsberechtigung mehr gibt. Der Vorteil einer Gesundheitsversicherung dieser Grösse ist die Agilität und die schlanke Organisation. Dies gilt es in die Zukunft zu transformieren.