Der neue Krankenkassenverband Prio.Swiss unterstützt, ebenso wie der Bundesrat, den Vorschlag einer höheren Franchise bei der obligatorischen Krankenversicherung.

Neben mehr Eigenverantwortung durch die Versicherten ermögliche dies «beträchtliche Einsparungen zugunsten der Prämienzahlerinnen und Prämienzahler», hält Pro.Swiss in einer Medienmitteilung fest. Ein Mittel, um die Eigenverantwortung zu fördern, seien die Franchisen. Die Mindestfranchise von dreihundert Franken sei seit über zwanzig Jahren nicht mehr angepasst worden.

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HZ Insurance hat eine Gesundheitsökonomin und einen Gesundheitsökonomen gefragt, ob höhere Mindestfranchisen wirklich das bringen, was sich der Branchenverband und grosse Versicherer davon erwarten.

Teilen Sie die Ansicht, dass eine Erhöhung der Mindestfranchise nottut?

Willy Oggier: Ob eine Erhöhung der Mindestfranchise nottut oder nicht, ist in erster Linie ein normativer Entscheid. Es geht nämlich um die Fragestellung, ob mehr durch Kranke bzw. Gesunde bezahlt werden soll. Als Experte hat man daher vorsichtig damit umzugehen. Als Staatsbürger habe ich dagegen sehr wohl die Meinung, dass eine vernünftige Anpassung vertreten werden kann.

Katharina Blankart: Eine Anpassung der Mindestfranchise ist sinnvoll, um weiterhin das Ziel zu verfolgen, dass Versicherte für einen Teil ihrer Gesundheitskosten selbst Verantwortung tragen. Dies reduziert das moralische Risiko übermässiger Leistungsinanspruchnahme. Das Einkommen ist seit Einführung gewachsen, jedoch ist eine ganzheitliche Betrachtung der Ausgaben einschliesslich der Prämienentwicklung notwendig.

Glauben Sie, dass die Kosten im Gesundheitswesen ohne Eingriff bei den Franchisen noch massiver steigen als ohne eine Anpassung?

Willy Oggier: Zu unterscheiden gilt es zwischen Kosten- und Umverteilungseffekten. Die Verteilungseffekte dürften klar sein: Mindestens im Jahr der Franchisenerhöhung dürften die durch Prämien- und/oder Steuerzahlungen zu leistenden Gesundheitskosten anteilmässig geringer ausfallen. Bezüglich der Kostendämpfungseffekte sind die Ergebnisse in der internationalen Literatur sehr unterschiedlich. Die angeführte Helsana-Studie erscheint mir dagegen kein Argument, denn wer die Studie liest, findet auf Seite 10 den Hinweis, dass in den nachfolgenden Analysen ausschliesslich Daten von erwachsenen Helsana-Versicherten bis 64 Jahre in einem Haushalt mit positivem Haushaltseinkommen einbezogen wurden. Grosse Ausgaben, gerade auch für chronische Krankheiten, fallen aber oft im Alter an.

Katharina Blankart: Fraglich ist, welche Leistungen durch die Franchisenerhöhung wegfallen. Menschen mit Mindestfranchise sind häufig chronisch krank und können nicht einfach Arztbesuche auslassen. Die Helsana-Studie betrachtet Versicherte, die freiwillig eine 500-Franken-Franchise wählten. Die Forschung zeigt, dass die 500er-Franchise für die Mehrheit keine optimale Wahl war bezüglich ihrer Gesundheitskosten und nur rein überflüssige Leistungen weggelassen werden.

Fehlen bisher wirklich Anreize zur Kostensenkung, denn immerhin gibt es ja heute schon unterschiedlich wählbare Höhen bei der Franchise?

Willy Oggier: Die heutigen Anreize bei den Franchisen sind eher auf Optimierungen der Prämien ausgerichtet. Wenn überhaupt, dann müssten sich Versicherte bei der Wahl höherer Franchisen über mehrere Jahre binden müssen.

Katharina Blankart: Ja, es gibt verschiedene Franchisen, was jährlich komplexe Abwägungen erfordert. Studien zeigen, dass für die meisten nur die 300er oder 2500er-Franchise optimal ist. Ein Experiment belegt, dass Versicherte durchschnittlich 200 Franken sparen könnten, wenn die Franchisenwahl transparenter wäre. Dies erfordert weder eine Erhöhung der Mindestfranchise noch weitere Kostendämpfungsmassnahmen.

Wo sehen Sie als Fachperson für Gesundheitskosten einen effektiveren Ansatz, um die Kostenexplosion etwas zu dämpfen?

Willy Oggier: Das Parlament und der Schweizer Souverän haben zwei wichtige Weichenstellungen realisiert: die morbiditätsorientierte Anpassung des Risikoausgleichs unter den Krankenversicherern und die einheitliche Finanzierung ambulant – stationär. Was jetzt noch fehlt, ist die Einführung der Vertragsfreiheit. Immerhin hat der Nationalrat einer entsprechenden Prüfung dieses Anliegens nach rund zwanzig Jahren zugestimmt.

Katharina Blankart: Effektive Ansätze sind die Korrektur von Fehlanreizen durch gemischte Vergütungsmodelle mit Grundpauschalen statt reiner Mengenorientierung. Der Leistungskatalog sollte strikt evidenzbasiert und regelmässig überprüft werden. Ganzheitliche Versorgungskonzepte für chronisch Kranke mit interprofessionellen Teams würden unnötige Behandlungen reduzieren und die Versorgungsqualität verbessern. Die Digitalisierung kann dabei einen wichtigen Beitrag leisten.

Die befragten Gesundheitsökonomen

Willy Oggier ist Gesundheitsökonom und betreibt ein Unternehmen, welches gesundheitsökonomische Beratungen anbietet. 

Katharina Blankart ist Professorin der Berner Fachhochschule Gesundheit (BFH) und seit Januar 2024 am Institut für Gesundsheitsökonomie und Gesundheitspolitik tätig. (ajm)

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