Über 50-Jährige kontrollieren den grössten Teil des privaten Vermögens der Schweiz. Ein Umstand, der gerade in der Finanzindustrie bislang wenig Beachtung gefunden hat. Das wollen Alain Beyeler, CEO der Finpact AG, und Tatiana Agnesens, Dozentin an der Hochschule Luzern, mit ihrer «Vermögensstudie 2025» ändern. Bei den Ü50 spielt jedenfalls die Finanzmusik (HZ Insurance berichtete). Das wird künftig nicht mehr auf taube Ohren stossen, wie unser vertieftes Interview mit den beiden Studienautoren zeigt.
Sie haben sich in Ihrer Vermögensstudie auf das Anlageverhalten der Generation 50+ mit einem Finanzvermögen von mindestens 250’000 Franken konzentriert. Warum ist diese Personengruppe so interessant?
Agnesens: Aus einem ganz einfachen Grund: Diese Gruppe ist volkswirtschaftlich extrem relevant, aber noch immer relativ unerforscht. Dabei ist die Generation Ü50, die über ein gewisses Vermögen verfügt, sehr interessiert an Geldanlagen. Gerade auch in Verbindung mit digitalen Anlageplattformen. Dieses Spektrum wollten wir im Rahmen der Studie im Affluent-Segment näher beleuchten und haben dabei wichtige Erkenntnisse erhalten, die gerade für Finanzdienstleister interessant sind.
Alain Beyeler ist seit 2020 CEO der Finpact AG, einem digitalen Vermögensverwalter mit Sitz in Zürich. Zuvor war er acht Jahre als Lead Fund Manager für globale marktneutrale Aktienstrategien bei GAM tätig.
Tatiana Agnesens ist Dozentin für Finanzmathematik an der Hochschule Luzern (HSLU) und Expertin zum Thema Digitales Anlegen. Sie promovierte an der Universität St. Gallen in Economics and Finance mit dem Schwerpunkt Behavioral Finance.
Wie gross ist diese Gruppe der Vermögenden über 50-jährigen in der Schweiz?
Beyeler: Es gibt wenig harte Zahlen, im Kreuzvergleich zu existierenden Statistiken dürfte die Gruppe ziemlich gross sein: Mehr als die Hälfte der Neurentner bezieht in der Schweiz grosse Teile ihrer Pensionskassengelder als Kapital. Wenn man sich die Gesamtpopulation der Neurentner anschaut - das sind etwa 100’000 jährlich -, dann verfügen also etwa 50 bis 60 Prozent über hohe Cashflows. Das halte ich für eine solide Aussage.
Welche Erkenntnisse aus der Studie sind für Sie die wesentlichsten?
Agnesens: Die erste wesentliche Erkenntnis aus der Studie ist für mich die Tatsache, dass diese Personengruppe sehr offen für das Thema Geldanlage ist und bei der Vermögensplanung investierende Geldanlagen an erster Stelle stehen. Eine andere wichtige Erkenntnis war für mich, dass die Gruppe in sich sehr heterogen ist.
Die 50 bis 59-jährigen setzen natürlich andere Prioritäten als beispielsweise die 80 bis 89-jährigen. Bei den jüngeren Befragten ist Vorsorge das grosse Thema, bei älteren Personen steht das Thema Vererben stark im Vordergrund. Diese unterschiedlichen Bedürfnisse müssten in der Finanzplanung im Sinne personalisierter Lösungen viel stärker berücksichtigt werden.
Beyeler: Besonders zwischen 50 und 65 bis 70 Jahren gibt es grosse Unterschiede. Dort sind die Hauptbedürfnisse, Geld für die Altersvorsorge anzusparen, sich auf den Ruhestand vorzubereiten und potenzielle Vorsorgelücken zu schliessen. Ab 70 sehen wir dann, dass diese Fragen eigentlich geklärt sind; dann rücken Fragen rund um die Weitergabe des Vermögens an die nächste Generation nach und nach in den Vordergrund.
Diese Heterogenität wollten wir durch die Studie objektivieren - und die Situationen aufzeigen, in der sich die Menschen im Leben befinden. Das ist aber nicht nur ans Alter gekoppelt. Die einen sind mit 50 gesundheitlich bereits geschwächt, andere sind mit 85 noch topfit. Das hat natürlich einen grossen Einfluss auf Finanzentscheidungen.
«Die Altersgruppe ist digital viel affiner, als man vermuten würde».
Tatiana Agnesens
Es heisst ja immer: «Über Geld redet man nicht». Wie war das im Rahmen Ihrer Studie?
Agnesens: Grundsätzlich stimmt es schon, dass viele lieber nicht über ihr Vermögen reden. Deshalb haben wir im Rahmen der Studie bewusst Filter gesetzt. Diejenigen, die teilgenommen haben, gaben also offen Auskunft über ihre Vermögenssituation. Das hat uns wertvolle Einblicke gegeben, was den Umgang mit Vermögen anbelangt.
Wie steht es mit der Offenheit gegenüber digitalen Anlageplattformen, diese Generation zählt ja nicht zu den «digital natives»?
Agnesens: Die Altersgruppe ist digital viel affiner, als man vermuten würde! Bei den 50 bis 59-jährigen beispielsweise sind rund 65 Prozent offen für digitale Anlageplattformen. Das verschiebt sich mit höherem Alter zwar etwas mehr in Richtung persönliche Beratung, die digitale Offenheit ist aber auch dann noch relativ hoch. In der Finanzberatung muss es also eine gesunde Mischung aus beidem geben - und das für jedes Alter.
Was charakterisiert das Anlageverhalten der Ü50?
Agnesens: Die älteren Generationen bevorzugen konventionelle Geldanlagen. Das Interesse gegenüber Künstlicher Intelligenz und Kryptowährungen ist recht überschaubar. Je grösser das Vermögen ist, desto mehr sind aktive Anlagestrategien und ein langfristiger Anlagehorizont gefragt.
Beyeler: Gerade Personen im Alter von 60 oder 65 Jahren ist klar, dass sie bei guter Gesundheit im Durchschnitt noch mindestens 20 Jahre vor sich haben. Damit realisieren sie aber auch die finanzielle Verbindlichkeit, die damit einhergeht.
Dieses Spannungsverhältnis, also Langfristigkeit auf der einen und finanzielle Verbindlichkeit auf der anderen Seite, schärft das Bewusstsein für die Notwendigkeit, für diese lange Zeitspanne entsprechende Renditen erwirtschaften zu müssen.
Warum spielen moderne Assets wie Krypto so gar keine Rolle in dieser Alterskategorie?
Beyeler: Da gibt es zwei Aspekte. Der eine ist die Sicherheitsorientierung dieser Generation. Da sind keine Abenteuer, sondern einfach eine solide Rendite gefragt. Das sehen wir auch in der Praxis. Wir haben ganz selten eine Anfrage für exotische Anlageformen. Der zweite Aspekt: Krypto ist als Anlagekategorie oft schwer verständlich.
Man kennt vielleicht das Wort Bitcoin, aber dann hat es sich auch schon. Zudem haben viele in den letzten Jahren erlebt, wie die Entwicklung bei Kryptowährungen rauf und runter geht - und lassen lieber die Finger davon.
Agnesens: Aus der Studie ist klar ersichtlich, dass Stabilität für 77 Prozent der Befragten zu den wichtigsten Aspekten der Anlage gehört. Das ist das genaue Gegenteil von Spekulation. Zudem wird das eigene Wissen rund um Krypto als sehr niedrig eingeschätzt, womit wir beim Thema Vertrauen sind. Warum soll ich in etwas investieren, das ich gar nicht kenne und verstehe?
«Viele Angebote, die ich heute bei Banken bekomme, sind nicht viel anders als noch 1995».
Warum wurde die von Ihnen untersuchte Altersgruppe, die wirtschaftlich so bedeutend ist, von der Finanzindustrie bislang eher links liegen gelassen?
Beyeler: Diese Gruppe wurde im klassischen Schweizer Banking über viele Jahre stiefmütterlich behandelt und man hat nicht wirklich den Zugang zu ihr gefunden. Die Banken wollten sie zwar als Kunden behalten, aber auch nicht wirklich fördern, weil sie als nicht besonders renditestark galten im Vergleich zum Investmentbanking oder zum Private Banking. Hinzu kommt: Vor etwa 20 Jahren war die Gruppe noch nicht so gross wie heute, sie hat erst mit den Babyboomern an Bedeutung gewonnen.
«Die Menschen sind immer besser informiert und lassen sich nicht mehr für dumm verkaufen».
Alain Beyeler
Aus meiner Sicht war die Finanzindustrie im Ganzen zu wenig innovativ. Viele Angebote, die ich heute bei Banken bekomme, sind nicht viel anders als noch 1995. Der Markt braucht also dringend eine Dynamisierung und Modernisierung. Diese Marktdynamik wird sich dank neuer Anbieter und mit Hilfe der Digitalisierung massiv beschleunigen - und das ist auch gut so. Die Menschen sind immer besser informiert und lassen sich nicht mehr für dumm verkaufen. Es kommt also viel Bewegung rein.
Agnesens: Ergänzend dazu: Ich denke, diese Gruppe wurde vor allem durch das Thema Longevity immer interessanter, über das ja viel berichtet wird. Es gibt beispielsweise zahlreiche Studien, die das gefühlte Alter und das biologische Alter betrachten. Man sieht, die Gruppe 50+ fühlt sich jung.
Sie will noch was vom Leben. Und hat deshalb das Bedürfnis, das Geld anzulegen und die Anlage vielleicht an einen Finanzdienstleister zu delegieren, damit sie das Leben geniessen kann. Das Interesse an geeigneten Lösungen ist also absolut da, das hat die Studie deutlich gezeigt.
Die Finpact Vermögensstudie 2025 stützt sich auf eine Online‑Erhebung, die vom 1. bis 8. April 2025 im YouGov‑Panel durchgeführt wurde. Ziel war es, das sogenannte Affluent‑Segment in der Deutschschweiz – Personen mit einem Finanzvermögen von mindestens 250 000 Franken – systematisch zu analysieren. Insgesamt nahmen 504 Personen teil. Alle Fragebögen wurden nach Abschluss einer Plausibilität‑ und Konsistenzprüfung in die Auswertung einbezogen. Finanzvermögen wurde im Fragebogen als Summe aus Bankguthaben, Wertpapier‑ und Vorsorgeportfolios definiert. Nicht berücksichtigt wurden Immobilien.