Herr Mengiardi, wo steht Esurance heute?
Wir haben uns von einem E-Broker zu einer konfigurierbaren Vertriebsplattform entwickelt. Heute befähigen wir Versicherungen und Broker mit einem hybriden Vertriebsansatz. Das alte Modell, den digitalen Versicherungsmanager, betreiben wir zwar noch, bewerben es jedoch nicht mehr. 

Wie kann man sich das konkret vorstellen?
Konkret unterstützen wir den Versicherungsvertrieb auf unterschiedliche Weise. Es gibt Endkunden, die alles selber machen können und möchten. Diesen stellen wir die entsprechenden Tools zur Verfügung. Die Mehrheit der Kunden möchte aber nicht die ganze Wegstrecke digital zurücklegen. Für diese haben wir ein hybrides Modell entwickelt, bei dem sie auch Zugriff auf die klassische Versicherungsberatung haben. Das Spezielle daran; die Applikation bzw. die Journey ist dieselbe. Wir befähigen damit die Vertriebspartner und stellen diesen auch Support auf dem ersten und dem zweiten Level zur Verfügung. 

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Andri Mengiardi (40) ist seit 2016 CEO beim Insurtech Esurance. Die Firma beschäftigt 35 Personen und arbeitet bei einem geschätzten Umsatz von 5 Millionen Franken bereits profitabel. 
Zuvor war Mengiardi zehn Jahre in führenden Positionen im E-Commerce (ricardo.ch und Tamedia) sowie zehn Jahre in der Assekuranz bei der Axa Winterthur und Sanitas tätig. Mengiardi hat einen Abschluss als Executive Master of Business Administration der Hochschule für Wirtschaft Zürich und der Universität von Virginia. 

Einer Ihrer grossen Kooperationspartner kommt aus der Gastronomie. 
Für Gastrosuisse haben wir eine Vertriebsplattform gebaut, bei der Gastronomie- und Hotellerie-Betriebe alle relevanten KMU-Versicherungen aus einer Hand beziehen können. Die Ausgleichs- und Pensionskasse GastroSocial, Swica und Baloise sind die Produktpartner. Swica macht den Vertrieb. Innerhalb von drei Jahren haben wir damit einen Marktanteil von 20 Prozent in dieser Branche erreicht, darauf sind wir stolz. Das Potenzial liegt bei rund 20’000 KMU. Das bisherige Wachstum geht praktisch linear weiter, wir haben die Corona-Krise kaum gespürt. 

«Im Grunde genommen kämpfen alle um den Share of Wallet, also um einen grösseren Anteil eines an und für sich nur schwach wachsenden Marktes.»

Diese Branche hat einige Besonderheiten, die alles kompliziert machen. 
Bei vielen ganz kleinen Firmen – nicht nur in der Gastronomie – ist die Beratungsintensität gross, teilweise grösser als bei KMU mit zehn Mitarbeitenden und mehr. Für viele Broker sind diese nicht wirklich interessant, weil die Kosten einer Beratung nicht auf die Entschädigung der verkauften Produkte umgelegt werden können und die Kleinstfirmen nur selten bereit sind, Honorare zu bezahlen. Und Agenten haben nicht immer alle relevanten Produkte oder zu wenig Know-how, um eine Beratung aus «einer Hand» anzubieten. Hier kommt die Digitalisierung ins Spiel.

Können Sie das konkretisieren?
Im Grunde genommen kämpfen alle um den Share of Wallet, also um einen grösseren Anteil eines an und für sich nur schwach wachsenden Marktes. Der Markt der kleinen Unternehmen ist für uns als Ausgangspunkt ein sehr attraktiver Business Case. Denn wenn man alle Daten zur ersten Säule hat und die Handhabung standardisiert hat, kann man die zweite Säule dazunehmen und auch hier vieles standardisieren. Dann erkennt man auch die Lücken bei Themen wie Krankheit, Unfall, Vorsorge usw. Und die Abgrenzung zwischen Business und Privat ist beim Zielsegment der Kleinstunternehmen oft sehr klein. Auf das kann man – hinsichtlich Share of Wallet – bauen.

Gibt es weitere Branchen, die Sie bearbeiten?
Eine weitere ist die ICT-Branche, hier arbeiten wir mit dem Verband SwissICT und den Versicherungen Allianz, Chubb und Swica zusammen.

Die Besitzverhältnisse haben sich in den vergangenen Jahren ja ebenfalls geändert. Wie sehen die gegenwärtig aus?
An Esurance sind Swica, die Gründer und Assepro beteiligt. 

Erleichtert Swica Geschäfte bei und mit der Kasse selber?
Nein, wir müssen bei neuen Projekten genauso pitchen wie andere Anbieter. Zum Beispiel haben wir auf Basis unserer Plattformtechnologie eine Whitelabel-Lösung für Swica auf den Markt gebracht. Da mussten wir uns gegen die ganz grossen IT-Dienstleister durchsetzen. Den Pitch haben wir nicht gewonnen, weil Swica bei uns investiert ist, sondern weil wir mit unserem Plattform-Ansatz eine skalierbare SaaS-Lösung mit einem schnellen time to market anbieten konnten. Faktisch konnte Swica innerhalb von einem halben Jahr eine ziemlich komplexe Idee vom «Papier-Status» zu einer digitalen End-to-End-Plattform mit vier Business Lines online stellen. 

Das Personenversicherungsgeschäft ist ja nur der Ausgangspunkt für weitere kommerzielle Potenziale. 
Genau, denn aus den Angaben, die hierfür einfliessen, also den Daten zur ersten und zur zweiten Säule, lässt sich auch der Bedarf für eine ganzheitliche Vorsorge, also inklusive dritter Säulen, berechnen und handhaben. Hierfür sind wir in Gesprächen mit Spezialisten im Bereich der digitalen 3a-Säule. 

«Kundinnen und Kunden möchten eine Lösung für ihre Risiko- und Vorsorge-Themen und nicht Policen für BVG- oder 3a-Produkte.»

An solchen gesamtheitlichen Lösungen arbeiten auch andere Anbieter. Wer wird hier verlieren?
In diesem Bereich gibt es eigentlich nur Gewinner. Zuerst sind die Versicherten zu nennen, sie bekommen transparentere, integrierte und flexiblere Lösungen mit weniger versteckten Kosten. Wir ermöglichen Effizienzgewinne im hybriden Vertrieb und schaffen so Mehrwert für alle Beteiligten. Man darf nicht vergessen: Das Thema Versicherungen und Vorsorge ist nicht nur rational und deswegen wird die persönliche Beratung immer eine zentrale Rolle spielen.

Die Digitalisierung sollte ja auch rationale Entscheidungen fördern. 
Kundinnen und Kunden möchten eine Lösung für ihre Risiko- und Vorsorge-Themen und nicht Policen für BVG- oder 3a-Produkte, denn oft wissen die Endkunden ja gar nicht, was das Problem ist. Dort setzen wir an.

Dann müssen Sie die Kundinnen und Kunden am richtigen Punkt «abfangen».
Genau, wir nennen das den Zugang zu den «Micro-Momenten». Das sind die wichtigen Momente, bei denen Menschen Entscheidungen treffen. Hier sind eigentlich nicht die Versicherungen mit ihren Vertriebspartnern vorne, sondern zum Beispiel KMU-Software-Anbieter. Nicht zufällig sind hier Gespanne von Versicherern und KMU-Software-Herstellern aufgekommen. Hier zeichnen sich drei grössere Kombinationen ab um die Unternehmen Bexio, Klara und Abacus. Bei der Nutzung dieser Software können kontextuell Handlungsbedarf und mögliche Handlungsoptionen aufgezeigt werden. Hierzu gehören mögliche Beratungen, der Kauf von Vorsorge- und Versicherungsleistungen sowie allgemeine Mutationen. 

«Wir glauben an die Zukunft des hybriden Versicherungsvertriebs.»

Dann sind die traditionellen Vertriebsnetze draussen. 
Nein, im Gegenteil: Firmen, die zum Beispiel mit der Business-Software von Klara arbeiten, werden in Zukunft über unseren Ansatz ihre bisherigen Beraterinnen bzw. Berater in der Applikation hinterlegen können. Der Endkunde wählt den Kanal und wir befähigen eine hybride Journey zwischen Klara und den Versicherern, welche eine Wechselwirkung zwischen einer rein digitalen und persönlichen Beratung zulässt. Ob der Berater, ein Agent, ein Broker oder ein Treuhänder ist, das soll der Kunde entscheiden, denn Vertrauen kann man nicht erzwingen. 
 
Und was erwarten Sie für die kommenden drei bis fünf Jahre?
Die guten Vertriebsorganisationen werden befähigt sein, ihren Kundinnen und Kunden die relevanten Informationen für Versicherungslösungen kontextuell noch besser zu vermitteln. Wir glauben an die Zukunft des hybriden Versicherungsvertriebs – und wir befähigen den Vertrieb, in einer solchen Umgebung erfolgreich arbeiten zu können.