Die Ökonomie kennt die drei Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Boden, durch deren Kombinationen Waren und Dienstleistungen erschaffen werden. Letzterer beziehungsweise die Natur ist bislang quasi gratis zu haben. Allerdings leistet sie gemäss Schätzung der Weltbank einen Beitrag zur Weltwirtschaft von mehr als 125 Billionen Dollar pro Jahr. Während der Einsatz von Arbeit und Kapital in Rappen und Franken bemessen wird, fliessen die Kosten für den Verbrauch des Naturkapitals nicht in die Bilanzen der Unternehmen ein. Im Gegenteil: Unternehmen, die Kosten abwälzen, werden an der Börse für ihr Handeln mit steigenden Kursen und Dividenden belohnt.

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Dies dürfte sich in Zukunft ändern. Nicht nur, weil die nachfolgenden Generationen auf den Erhalt der Natur pochen, sondern auch, weil führende Wirtschaftswissenschafter das Problem erkannt und quantifiziert haben. So wie der britische Ökonom Sir Partha Dasgupta. Er hat vorgerechnet, dass sich das weltweite Sachkapital zwischen 1992 und 2014 verdoppelt und das Humankapital, also das versammelte Wissen und Können der Menschheit, um 13 Prozent zugenommen hat. Einzig das Naturkapital sank um 40 Prozent. Was dazu geführt hat, dass heute 1,6 Erden notwendig wären, um die Menschheit mit ihrem aktuellen Lebensstandard zu erhalten.

Es kommt ein Preisschild

Auch supranationale Organisationen versuchen, die Unternehmen in die Pflicht zu nehmen und künftig die Folgen ihres Wirtschaftens für die Umwelt zu quantifizieren, wie die Europäische Union mit der EU-Taxonomie. Die Vereinten Nationen haben die Regierungen ebenfalls bereits aufgefordert, das Naturkapital in die Berechnungen der Wirtschaftsleistung einfliessen zu lassen. Im Unep-Bericht zum Zustand der Welt wird gefordert, dass die Nutzung oder Zerstörung der Natur in den Kostenbilanzen erfasst werden soll.

Aufgrund des öffentlichen Drucks von vielen Seiten ist davon auszugehen, dass CO₂-Emissionen, Lärm, Gestank, Schwerlastverkehr und andere ökologische Folgen ökonomischer Wertschöpfung demnächst ein Preisschild bekommen und so den Weg in die Bilanzen der Unternehmen finden. Diejenigen, die dies frühzeitig antizipieren und versuchen, diese Kosten zu senken und so gering wie möglich zu halten, werden dann die Gewinner sein. Das macht sie schon heute für langfristig vorausschauende Investoren interessant.

Daher haben einige Finanzprodukteanbieter das Thema Naturkapital bereits auf ihren Radar genommen: «Mehr als 50 Prozent des globalen BIP hängen von der Natur ab, und mit unserer Natural-Capital-Strategie wollen wir in Firmen investieren, die Lösungen anbieten, wie die Natur durch schlankere industrielle Prozesse besser erhalten werden kann und wir ihr Potenzial und ihre Kräfte besser nutzen können», erklärt Alina Donets von Lombard Odier Investment Managers. Dort verantwortet sie den 2020 lancierten LO Natural Capital Fonds mit derzeit 940 Millionen Dollar.

Auf der Suche nach innovativen Firmen

Das Thema Naturkapital teilen die Fondsverantwortlichen in die vier Dimensionen Bio-Kreislaufwirtschaft, Ressourceneffizienz, ergebnisorientierte Wirtschaft und Abfallvermeidung auf. Aus diesen wählt das Fondsmanagement nach dem Best-Practice-Ansatz Unternehmen aus, die entlang der gesamten Produktions-, Verbrauchs- und Entsorgungskette Effizienzgewinne realisieren und Kreisläufe schliessen. Darüber hinaus suchen die Fondsmanager auch global nach innovativen Firmen, die Lösungen entwickeln, die dazu beitragen, die Natur zu erhalten und deren regenerative Kräfte zu nutzen.

Der Erhalt der Biodiversität ist ein sehr wichtiger Aspekt, wenn es um das Kaptal der Natur geht, und ist schon lange nicht mehr nur ein Thema für Naturschützer, sondern auch für Wirtschaftswissenschafterinnen, Unternehmerinnen und Investoren. Denn «der Verlust an biologischer Vielfalt bedroht die Wertschöpfung. Schätzungen zufolge verringert der Verlust der biologischen Vielfalt das globale BIP um 3 Prozent pro Jahr. Da mehr als die Hälfte des weltweiten BIP von der Natur und ihren Leistungen abhängt, müssen wir jetzt handeln», sagt Nico Frey vom Sustainable Investment Research Team der Bank J. Safra Sarasin im Interview mit «Finews». Sarasin hat sich der Initiative «Versprechen zur Finanzierung der Biodiversität» angeschlossen und sich verpflichtet, die Biodiversität in ihre ESG-Richtlinien aufzunehmen und die eigenen Auswirkungen auf die Biodiversität zu bewerten. Biodiversität habe man als «Pionier im Bereich nachhaltiger Investments» schon lange im Anlageprozess integriert, schreibt Jan Poser, Chefstratege und Leiter Nachhaltigkeit der Bank.

Auch der Vermögensverwalter Schroders hat das Thema bereits auf dem Schirm. So schreibt Andreas Markwalder, CEO, Schroder Investment Management, in der «Finanz und Wirtschaft», dass «die Biokapazität unseres Planeten zu gering ist, um die negativen Folgen der menschlichen Zivilisation auf Fauna und Flora aufzuwiegen. (…) Eine Folge dieser Neubetrachtung wird es sein, dass sich die Bewertung von vielen Unternehmen verändern wird. (…) Die Bewertungen vorbildlicher und weniger vorbildlicher Unternehmen werden künftig stark divergieren. Die Assetmanager sind als Vertreter der Kunden angehalten, entsprechende Risiken in den Portfolios zu orten, zu bewerten und zu mitigieren. Aktives Management und Stewardship werden noch wichtiger werden.» (Siehe Seite 32)

Schroders zählt wie Lombard Odier zu den Mitgliedern der Natural Capital Investment Alliance (NCIA), einer privaten Allianz, die im Januar 2021 gegründet wurde und das Ziel hat, «die Entwicklung von Naturkapital als Anlagethema zu beschleunigen, dabei die 120 Milliarden Dollar schwere Investmentbranche einzubinden und dieses private Kapital wirksam und effizient für Anlagechancen im Bereich Naturkapital einzusetzen».

Eine Allianz mit dem Prince of Wales

Die Allianz unter der Schirmherrschaft des Prinzen von Wales will Mitglieder der Finanzgemeinde gewinnen, um Skaleneffekte zu generieren und das zwischen Investoren und Vermögensverwaltern vorhandene Synergiepotenzial zu erschliessen. So sollen bis Ende 2022 mindestens 10 Milliarden Dollar entlang aller Anlageklassen für Naturkapital-Themen mobilisiert werden. Die NCIA will dabei als zentrale Anlaufstelle für globale Unternehmen und Finanzinstitute dienen, die ihre Investitionen in Naturkapital zugunsten der Wiederherstellung der Biodiversität erhöhen wollen. Derzeit hat die Allianz 15 Mitglieder, darunter auch die in der Schweiz tätigen HSBC und Fidelity.

Aber auch andere Anbieter wie die Deutsche Bank, Candriam, Bank J. Safra Sarasin und UPB haben das Thema Naturkapital oder Biodiversität bereits erfasst und lassen ihr entsprechend erarbeitetes Research in die Produkte einfliessen.

Dieser Text ist zum ersten Mal in der Handelszeitung vom 28. April 2022 erschienen