Auch in der Schweiz sind Unternehmen durchwegs abgesichert gegen Betriebsunterbrechung, Naturgefahren, Haftpflichtschäden, Cybervorfälle, Wasserschäden, Feuer und dergleichen Unbill mehr. Doch was ist bei einer Pandemie? Nun, in der aktuellen Corona-Pandemie ist der Staat helfend mit vielen Milliarden Franken eingesprungen, um Firmen vor drohendem Ruin zu retten, was in der Summe zu massiven volkswirtschaftlichen Schäden hätte führen können. Doch wie sieht es beim nächsten Ausbruch aus? Oder bei einem starken Erdbeben? Oder bei einem weltweiten Ausfall der Kommunikations- und der Finanzsysteme?

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«Bis anhin konnte die Versicherungsindustrie Risiken wie Überschwemmungen, Dürren und Stürme meistens genügend versichern. Sollten solche Risiken aber immer häufiger, ausgeprägter und korrelierter werden und das Schadenausmass entsprechend zunehmen, könnte dies zu einer Situation führen, in der Firmen nicht mehr im genügenden Ausmass Deckung einkaufen können», befürchtet Jörg Bertogg, Head of Commercial Insurance und Mitglied der Geschäftsleitung von Zurich Schweiz.

Doch bei Grossrisiken vor allem mit geringer Eintretenswahrscheinlichkeit dürfte das Interesse an individuellem Versicherungsschutz klein bleiben. Denn mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit wären Versicherungsgesellschaften inklusive Rückversicherer mit der Deckung sowieso überfordert und der Staat respektive die Staatengemeinschaft müsste einspringen.

Grundlagen für Ereignisvorbereitung

Schwierig ist für Industrien wie auch die Bevölkerung die Einschätzung, mit welchen starken Gefährdungen denn grundsätzlich zu rechnen ist. Ein guter Indikator ist die nationale Risikoanalyse «Katastrophen und Notlagen Schweiz» (KNS), mit der das Bundesamt für Bevölkerungsschutz Babs Grundlagen für die vorsorgliche Planung und Ereignisvorbereitung auf allen staatlichen Ebenen schafft. Teil der KNS-Risikoanalyse ist der Gefährdungskatalog. Dieser umfasst rund 100 Gefährdungen und Ereignisse, die grundsätzlich in der Schweiz stattfinden können. Die möglichen Schadenereignisse werden in der nationalen Risikoanalyse eingeteilt in die Bereiche Natur, Technik und Gesellschaft.

Die zehn grössten Risiken für die Schweiz sind gemäss Babs: Strommangellage, Grippe-Pandemie, Ausfall Mobilfunk, Hitzewelle, Erdbeben, Stromausfall, Sturm, Ausfall Rechenzentrum, Andrang Schutzsuchender sowie Trockenheit. Allgemein hätten Frequenz- wie auch Grossschäden in den letzten Jahren zugenommen, so die Erfahrung von Christoph Müller, CEO Allianz Risk Transfer AG (ART AG) und Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) Switzerland. Die sei ein globaler Trend, der auch die Schweiz betreffe. «Insbesondere sehen wir eine höhere Konzentration von Vermögenswerten und die Liste der Auslöser für Unterbrechungen von Unternehmen und Lieferketten wird immer länger, von Bränden und Naturkatastrophen über Wetterereignisse bis hin zum Cyberspace.»

Zudem gebe es eine Reihe von aufkommenden Risiken, welche die Unternehmen beachten sollten. So stehen Unternehmen auf der ganzen Welt hinsichtlich ihrer ESG-Performance zunehmend unter öffentlicher Beobachtung. Müller: «Soziale Gerechtigkeitsproteste, aktivistische Investorenkampagnen oder Geldwäschevorwürfe haben alle das Potenzial, Rechtsstreitigkeiten auszulösen, ebenso wie einzelne Katastrophenereignisse wie ein Flugzeugabsturz oder Waldbrände.»

Unterschätzte Inflation

«Die Covid-19-Pandemie und die Lieferschwierigkeiten bei vielen Rohstoffen und Produkten haben dazu geführt, dass die Bedeutung und die möglichen Auswirkungen von bislang ungreifbaren Risiken auch in der breiten Masse spürbar geworden sind», ergänzt Jörg Bertogg von Zurich Schweiz. «Meiner Meinung nach unterschätzten einige Akteure aber nach wie vor die potenziell desaströsen Auswirkungen des negativen Klimawandels, wenn die Menschheit diesen nicht mit effektiven Massnahmen aufhält. Ein ungebremster Klimawandel führt zu einer Kettenreaktion an relatierten Risiken, deren Frequenz und Schweregrad zuzunehmen drohen. Dazu gehören Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Dürre, Stürme und ein Verlust der Biodiversität.»

Dieser Meinung ist auch Moreno Bühler, Country Manager a. i. und Head of Distribution Schweiz bei der Axa XL Insurance. Bühler sieht eine weitere Gefahr, die bisher weitestgehend ignoriert worden ist: die Inflation. «Viele Länder und Industrien haben eine zu starke Abhängigkeit von der laschen Geldpolitik entwickelt. Es wird eine Herausforderung sein, diese Abhängigkeit ohne grössere Disruption wieder zu entkoppeln.»

«Weder Regierungen noch die Versicherungswirtschaft können grosse Risiken allein bewältigen.»
Moreno Bühler, Axa XL Insurance

Gemeinsame Lösungen

Sind solche Risiken, die erst auf dem Radar von Fachleuten sind, eher durch die Versicherungswirtschaft oder vielmehr durch den Staat abzusichern? Zunehmende Risiken aufgrund des Klimawandels sind ein «offensichtliches Beispiel, dass es nur gemeinsam nachhaltige Lösungen geben wird», ist Bühler überzeugt. «Wo ein Risikoausgleich über private Institutionen nicht oder nicht ausreichend etabliert werden kann, wird auch der Staat einen Beitrag leisten müssen.» Abgesehen von den finanziellen Kosten können aber auch Versäumnisse im Bereich der Cybersicherheit tiefgreifende gesellschaftliche Auswirkungen haben. Angriffe können zu Störungen führen, die das Misstrauen der Bevölkerung wecken und Ängste verstärken, sobald kritische Infrastrukturen betroffen sind. Ausfälle von Stromversorgungen, Rechenzentren oder Mobilfunknetzen seien hier als Beispiele erwähnt.

«Weder die Regierungen noch die Versicherungswirtschaft können solche grossen und komplexen Risiken allein bewältigen. Es gibt keine andere Möglichkeit, als an einem Strang zu ziehen und Hand in Hand mit den Regierungen zu arbeiten», so Bühler. Beispiel Pandemieversicherung: Die Allianz etwa plädiert für eine schweizweite Lösung, die auf der Zusammenarbeit von Versicherungswirtschaft und Staat fusst. «Unsere Empfehlung wäre es, in Zusammenarbeit mit der lokalen Versicherungswirtschaft und der Regierung eine spezielle Pandemiedeckung für die europäischen Märkte zu entwickeln, denn damit wäre eine umfassende Deckung für Unternehmen auf breiter Basis verfügbar», sagt der CEO ART AG & AGCS Switzerland, Christoph Müller.

Die Allianz habe dem Bund bereits verschiedene Varianten für eine für alle Beteiligten tragfähige und partnerschaftliche Versicherungslösung präsentiert, die es ermöglicht, das Pandemierisiko angemessen vorzufinanzieren. «Damit haben wir als Versicherungswirtschaft die Bereitschaft gezeigt, unseren Beitrag bei solchen Grossrisiken zu leisten. Der Ball liegt jetzt bei den politischen Entscheidungsträgern.»

«Public-Private Partnerships können Anreize nach dem Verursacherprinzip schaffen.»
Jörg Bertogg, Commercial Insurance Zurich

Grenzen der Versicherbarkeit

Der Blick in die Vergangenheit zeige, dass es der Versicherungsbranche mit intelligenten Lösungen immer wieder gelungen sei, die Grenzen der Versicherbarkeit zu verschieben. Auch mit Blick auf die Covid-19-Pandemie fordern allerdings immer mehr Akteure – darunter auch die Ferma als Vereinigung der europäischen Risikomanager – eine Poollösung. Eine solche Public-Private Partnership von privater Versicherungswirtschaft und staatlichen Akteuren wäre tatsächlich ein nachhaltiges Konstrukt für die Deckung systemischer Risiken wie einer Pandemie, ist Christoph Müller überzeugt.

Auch Jörg Bertogg von der Zurich sieht grosse Vorteile für Public-Private-Lösungen bei schwer versicherbaren Grossrisiken. Eine Zusammenarbeit zwischen Versicherern und Staat ermögliche auch, jene Risiken zu decken, welche die Vericherungsindustrie alleine nicht absichern kann: «Vielen Menschen war bis zur Covid-19-Pandemie nicht bewusst, dass Risiken ohne Deckung durch Versicherer letztlich von der Allgemeinheit getragen werden müssen, also von den Steuerzahlenden und den nachkommenden Generationen. Public-Private Partnerships können in diesem Bereich die Gesellschaft entlasten, indem sie erstens bisher unversicherte Risiken besser versicherbar machen und zweitens wünschenswerte Anreize nach dem Verursacherprinzip schaffen.» Vergleichbar zu einer Pandemie hätte auch eine Strommangellage in der Schweiz verheerende wirtschaftliche Auswirkungen, welche durch die Versicherungsindustrie nicht abgedeckt werden können. Für solch schwer versicherbare Risiken können Public-Private Partnerships mögliche Lösungswege aufzeigen.

Moreno Bühler, Country Manager a. i. bei Axa XL Insurance, weist auf ein konkretes Beispiel hin, wie eine solche Public-Private Partnership funktionieren kann: Das Insurance Development Forum (IDF) ist eine öffentlich-private Partnerschaft unter dem Vorsitz der Axa. Das IDF wird von der Weltbank und den Vereinten Nationen unterstützt. Seine Aufgabe ist es, den Einsatz von Versicherungslösungen auf unterversicherte Regionen auszuweiten, um den Schutz von weniger privilegierten Menschen, Gemeinschaften, Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen vor Naturkatastrophen zu verbessern.

Gute Zeiten für kreative Lösungen

Die Erfolgsaussichten dürften sich jedoch in der Schweiz in engem Rahmen halten. So hatte bereits der Schweizerische Versicherungsverband (SVV) einen neuen Ansatz vorgeschlagen, um Grossrisiken inskünftig zu bewältigen. Doch der Bundesrat blockte ab, wie SVV-Direktor Thomas Helbling im Interview mit der Handelszeitung vom 23. September offenlegte.

Doch: «Krisenzeiten sind für Versicherer immer super, denn die Branche hat in diesen die Möglichkeit, kreativ zu werden und neue Lösungen zu kreieren. Aktuell wird das ja auch sichtbar.» Das sagt Didier Sornette, Professor für Entrepreneurial Risks an der ETH Zürich im Gespräch mit HZ Insurance. Aber auch für die Versicherer gelte, so Sornette, «die Dosis, die das Gift ausmacht. Zu viele Krisen sind auch für Versicherer nicht gut.»