Nach einer fast sechsstündigen Debatte - über zwei Tage verteilt - beschloss die grosse Kammer am Mittwoch einen indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Für tiefere Prämien - Kostenbremse im Gesundheitswesen (Kostenbremse-Initiative)». In der Gesamtabstimmung wurden die verschiedenen Änderungen im Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) mit 104 zu 74 Stimmen bei 5 Enthaltungen angenommen. Die Mitte-Partei, welche die Initiative lanciert hatte, erzielte damit einen Teilerfolg. Das Volksbegehren selbst war im Nationalrat indes chancenlos. Mit 156 zu 28 Stimmen empfiehlt die grosse Kammer die Kostenbremse-Initiative Volk und Ständen zur Ablehnung.

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Neue Kosten- und Qualitätsziele


Dass auch der Bundesrat und namentlich Gesundheitsminister Alain Berset zufrieden sein kann, hat vor allem einen Grund. Anders als von der vorberatenden Nationalratskommission vorgeschlagen, verankerte das Plenum Kosten- und Qualitätsziele im Gesetz. Dieser Entscheid fiel am Dienstag mit 94 zu 91 Stimmen bei einer Enthaltung sehr knapp aus - und kam auch dadurch zustande, dass insbesondere mehrere SVP-Mitglieder während der Abstimmung abwesend waren. Für die Kostenzielvorgaben stimmten Mitte, SP und Grüne. Auf der Verliererseite waren SVP, FDP und GLP. Gemäss dem vom Nationalrat beschlossenen Gegenvorschlag soll der Bundesrat künftig nach Anhörung aller Akteure im Gesundheitswesen Kosten- und Qualitätsziele für die Leistungen für die darauffolgenden vier Jahre festlegen. Jeder Kanton kann sich daran orientieren und ebenfalls Kosten- und Qualitätsziele für die darauffolgenden vier Jahre festlegen.


Druck auf Tarmed-Reform


Die unterlegenen Fraktionen argumentierten erfolglos, dass die Versorgung der Patientinnen und Patienten unter gesetzlichen Kostenvorgaben leiden könnte. Bundesrat und Mitte-Links konterten: Die Lösung sehe keinen Automatismus vor, wonach Behandlungen nicht mehr gemacht werden dürften, sobald das Kostenziel überschritten wäre. Im Gegensatz zum Bundesrat verzichtete der Nationalrat darauf, im Gesetz zu konkretisieren, was passieren soll, falls die Kostenziele überschritten würden. Geht es nach der Regierung, würden in einem solchen Fall Massnahmen geprüft - etwa die Anpassung von Tarifverträgen. Dafür beschloss der Nationalrat, dass das Kostenwachstum in der obligatorischen Krankenversicherung mit weiteren konkreten Massnahmen bei den Tarifen und den Laboranalysen gebremst werden soll. Beispielsweise soll der Bundesrat unverzüglich überhöhte sowie nicht sachgerechte und nicht betriebswirtschaftliche Vergütungen inder Tarifstruktur Tarmed für ambulante ärztliche Behandlungen senken. Die Tarifgenehmigungsbehörde soll künftig auch für gewisse Spezialisten die Tarife senken oder die Grundversorger in bestimmten Regionen besserstellen können.


Initiative deutlich abgelehnt


Initiative und Gegenvorschlag gehen nun an den Ständerat. Insbesondere die gesetzlichen Kostenzielvorgaben dürften auch dort zu reden geben. Bleiben Mitte-, SP- und Grünen-Vertreterinnen und -Vertreter in der kleinen Kammer geschlossen auf der Linie des Nationalrats, hätten sie eine Mehrheit und könnten den Gegenvorschlag so durchsetzen. Die Kostenbremse-Initiative dagegen dürfte auch im Ständerat chancenlos sein. Sie verlangt, dass Bundesrat, Bundesversammlung und Kantone eingreifen müssen, wenn die Gesundheitskosten im Vergleich zur Lohnentwicklung zu stark steigen. Zu stark hiesse gemäss Initiativtext, wenn das Kostenwachstum pro versicherter Person um einen Fünftel über der Nominallohnentwicklung läge. Nur die Mitte befürwortete im Nationalrat das Volksbegehren. Eine starre Kostenbremse, die weder den medizinisch-technischen Fortschritt noch die Alterung der Bevölkerung berücksichtige, sei gefährlich, lautete der Tenor in den übrigen Fraktionen.


Pfister kritisiert "Gesundheitskartell"


Dass etwas gegen die Kostenexplosion im Gesundheitswesen getan werden soll, ist im Parlament dagegen Konsens. "Hohe Prämien werden zu Schuldenfallen", sagte Mitte-Sprecher Christian Lohr (TG). Noch deutlicher wurde Mitte-Präsident Gerhard Pfister (ZG). Er sprach von einem "Gesundheitskartell", das sich in "diesem Milliardenmarkt" selber erhalte. Regine Sauter (FDP/ZH) plädierte für eine bessere Koordination zwischen den Leistungserbringern. Ziel müsse es sein, das Geld intelligenter einzusetzen, hielt SP-Sprecherin Barbara Gysi (SG) fest. In zwei Wochen debattiert der Nationalrat erneut, wie die Kosten im Gesundheitswesen weiter gesenkt werden könnten. Dann wird es um die Volksinitiative "Maximal zehn Prozent des Einkommens für die Krankenkassenprämien (Prämien-Entlastungs-Initiative)" der SP gehen.