Ob Inflation, Energiekrise oder Cybergefahren: Wir sehen uns heute mit ganz unterschiedlichen Problemen konfrontiert. Sind die Schweizer Privatversicherer für diese Herausforderungen gerüstet?
Wir diskutieren tatsächlich Themen, von denen wir vor wenigen Jahren noch nicht erwartet hätten, dass sie uns in dieser Intensität beschäftigen würden. Aber ja: Die Versicherungswirtschaft ist gerüstet für diese Themen. Dennoch stellen sie uns vor Herausforderungen. So müssen wir unseren Kundinnen und Kunden zum Beispiel erklären können, was versicherbar ist und was nicht.

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Welche Ereignisse sind typischerweise nicht versicherbar?
Ein gutes Beispiel ist eine Strommangellage: Sie ist vorhersehbar, von nationaler Tragweite, mit enormem volkswirtschaftlichem Schadenpotenzial – und somit für Privatversicherer nicht versicherbar.

Warum nicht?
Bei einem solchen Ereignis ist das Stromverteilnetz zwar intakt, gegenüber der bestehenden Nachfrage besteht jedoch ein struktureller Angebotsmangel. Es handelt sich aber nicht um ein Marktversagen. Eine Strommangellage ist das Ergebnis nicht zielführender Regulierung. Eine Strommangellage ist nicht diversifizierbar, da die ganze Schweiz oder sogar mehrere Länder in Europa gleichzeitig betroffen sein können. Diese Problematik kennen wir bereits von der Corona-Pandemie.

Wie haben die Privatversicherer in der Pandemie darauf reagiert?
Vor zwei Jahren haben wir innerhalb einer Arbeitsgruppe des Bundes einen Vorschlag erarbeitet, wie eine Pandemie weitgehend versichert werden könnte. Leider kam eine Pandemieversicherung bis dato nicht zustande; es fehlte am genügend grossen politischen Interessen an solchen Partnerschaften zwischen Bund, Versicherern und Versicherten.

Was beschäftigt die Versicherungsbranche aktuell sonst noch?
Was uns neben den Toprisiken stark beschäftigt, ist die Inflation. Obwohl es durchaus ökonomische Vorzeichen dafür gegeben hat, stellt diese die Wirtschaft vor nicht mehr gewohnte Herausforderungen.

Wie geht die Branche damit um?
Die Versicherungssummen müssen nach oben angepasst werden, mit der Zeit steigen auch die Schadenleistungen. Im Lebengeschäft bedeutet es die Rückkehr des Zinses.

Auch die Altersvorsorge ist ein Thema, mit dem sich die Privatversicherer intensiv beschäftigen. Welche Herausforderungen bringt die steigende Lebenserwartung mit sich?
Die Schweiz hat ein ausgewogenes Dreisäulensystem mit AHV, BVG und freiwilligem Sparen in der dritten Säule. Das ist eine wichtige Errungenschaft, die eine sehr gute Basis darstellt. Seit der Einführung dieses Konzepts vor 50 Jahren hat sich unsere Gesellschaft jedoch stark verändert: Aufgrund der demografischen Entwicklung gibt es heute im Verhältnis zu den Erwerbstätigen immer mehr Rentnerinnen und Rentner. Auch kennen wir ganz andere Lebens- und Arbeitsformen als früher. Hier benötigt das System Anpassungen.

«Wer motiviert und tüchtig ist, hat jederzeit die Chance, sich weiterzuentwickeln.»

Urs Arbter

Entscheidende Elemente einer tragfähigen BVG-Reform sind die sofortige Senkung des Mindestumwandlungssatzes auf 6,0 Prozent und die Sicherung des Rentenniveaus – sowohl langfristig als auch für die Übergangsgeneration mittels geeigneter Kompensationsmassnahmen. Die BVG-Reform ist nun im Ständerat. Es ist zu hoffen, dass das Geschäft ohne weiteren Verzug vorangetrieben wird.

Wagen wir einen Blick in die Kristallkugel: Was braucht es, damit der Versicherungsstandort Schweiz auch in Zukunft attraktiv bleibt?
Der Leitsatz ist und bleibt der gleiche: so viel Regulierung wie nötig, so wenig wie möglich. Leider besteht die Tendenz, immer mehr regulieren zu wollen. Nicht jedes einzelne Ereignis darf in eine Regulierung münden. Das Vertrauen in die Marktkräfte muss wieder mehr Gewicht erhalten. Nicht zwingend notwendige Regulierung generiert primär Kosten, die letztlich wieder in die Prämien fliessen. Meine Erwartung an die Aufsichtsbehörde ist: möglichst nah am Geschäft bleiben und nur dort regulierend eingreifen, wo es aus Gesamtperspektive einen Mehrwert bringt.

Regulierung versus Freiheit?
Das ist das Stichwort. Wirtschaftliche Freiheit ist ganz wichtig, auch für die Versicherungsgesellschaften. Nur so können sie den Kundinnen und Kunden gute, innovative Produkte offerieren.

Wie können zusätzliche Regulierungen vermieden werden?
Indem die im SVV organisierte Versicherungsbranche aufkommende Fragestellungen geeignet adressiert. Wir haben beispielsweise ein Projekt zu den Mehrleistungen in der Spitalzusatzversicherung, das wir im vergangenen Jahr lanciert haben. Konkret geht es um die Strukturierung der Abrechnungen von Zusatzleistungen. Wir wollen sicherstellen, dass diese in Zukunft transparent und nachvollziehbar sind. Wenn die Versicherten über ihre Dienstleistungen informiert sind, stärkt dies das Kundeninteresse und wir können auch zusätzliche Regulierung vermeiden.

Sie haben zwei Kinder – beide sind nicht in der Versicherungsindustrie tätig. Was sollen wir einem angehenden Kaufmann oder einer Hochschulabsolventin sagen, warum er oder sie in die Versicherungswelt eintauchen soll?
Dafür gibt es viele Gründe! Je nachdem, ob sie bei einem Rückversicherer, einer Lebensversicherung, im Nichtlebengeschäft oder bei einer Krankenversicherung arbeiten, üben sie unter Umständen einen anderen Beruf aus. Interessant sind alle Sparten. Dazu kommen die vielfältigen Karrieremöglichkeiten, die unsere Branche im In- und Ausland zu bieten hat.

Wer motiviert und tüchtig ist, hat jederzeit die Chance, sich weiterzuentwickeln und immer wieder neue Herausforderungen anzunehmen. Die Breite, aber auch die Sinnhaftigkeit, die die Versicherungswirtschaft bietet, macht unsere Branche ungemein spannend und attraktiv.