Die Finanzmärkte neigen zu manisch-depressiven Zyklen, und in den vergangen Jahren war diese Tendenz besonders ausgeprägt. In Phasen der Risikofreude produzieren die Anleger – angetrieben von «animalischen Instinkten» – Bullenmärkte, Überhitzung und manchmal regelrechte Blasen; irgendwann jedoch folgt dann auf eine negative Erschütterung eine Überreaktion und sie werden übertrieben pessimistisch, stossen Risikowerte ab und erzwingen eine Korrektur oder einen Bärenmarkt.

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Während die Kurse US-amerikanischer und globaler Aktien im gesamten Jahresverlauf 2017 steil anstiegen, kamen die Märkte in 2018 ins Trudeln und gerieten im letzten Quartal des Jahres schwer unter Druck.

Diese Risikoscheu spiegelte Sorgen über eine globale Rezession und die chinesisch-amerikanischen Handelsspannungen wider, aber auch über Signale der US-Notenbank (Fed), dass diese die Zinsen weiter anheben und eine quantitative Verknappung verfolgen würde. Doch seit Januar sind die Märkte gestiegen, und zwar so stark, dass einige führende Vermögensverwalter nun einen steilen Kursanstieg über das bestehende hohe Niveau hinaus prognostizieren.

Es liesse sich argumentieren, dass sich diese neuerliche Phase der Risikofreudigkeit für den Rest des Jahres fortsetzen wird. Zunächst einmal stabilisiert sich das Wachstum in China aufgrund der dortigen makroökonomischen Konjunkturimpulse, was Befürchtungen über eine harte Landung abschwächt. Zudem könnten die USA und China in Kürze eine Einigung erreichen, die eine weitere Eskalation des laufenden Handelskrieges verhindert.

Auch wird für die USA und die Welt für die zweite Jahreshälfte eine leichte Wachstumserholung erwartet. Und die von einem «harten Brexit» ausgehende Destabilisierung wurde vermieden, unter anderem indem die Europäische Union die Frist für den Austritt des Vereinigten Königreichs auf den 31. Oktober 2019 verschoben hat. Was die Wachstumsaussichten für die Eurozone angeht, so wird viel von Deutschland abhängen, wo die Konjunktur angesichts des nachlassenden globalen Gegenwinds wieder anziehen könnte.

Geldpolitik der Notenbanken

Auch verfolgen die Notenbanken, insbesondere die Fed, erneut eine extrem akkommodierende Geldpolitik, und dies scheint die angespannte Finanzlage, die Ende 2018 die Phase der Risikoscheu hervorrief, wieder in ihr Gegenteil verkehrt zu haben. Und an der politischen Front sind die Chancen auf ein Amtsenthebungsverfahren gegen US-Präsident Donald Trump seit der Veröffentlichung des Mueller-Reports, der Trump vom Vorwurf der kriminellen Verschwörung entlastet, gesunken (auch wenn der Bericht die Frage der Justizbehinderung nicht beantwortet).

Nun, da die Russlandermittlungen vorbei sind, wird Trump womöglich von weiteren destabilisierenden Äusserungen (oder Tweets) absehen, die den Aktienmarkt verunsichern könnten, da dieser eine zentrale Messgröße ist, an der er den eigenen Erfolg festmacht.

Und schliesslich könnten die stärkeren Märkte (in einer positiven Rückkopplungsschleife) das Wirtschaftswachstum ankurbeln, was dann wiederum zu noch höheren Marktbewertungen führen könnte.

Diese Entwicklungen könnten für den Rest des Jahres für eine positive Entwicklung sorgen. Doch das ist nicht gesagt. Während die Märkte die vorgenannten positiven Entwicklungen bereits eingepreist haben, könnten andere Faktoren eine neuerliche Phase der Risikoscheu auslösen. Zunächst einmal ist das KGV in vielen Märkten, insbesondere jedoch bei US-Aktien, hoch, sodass selbst eine bescheidene Erschütterung eine Kurskorrektur auslösen könnte.

Tatsächlich sind die Gewinnspannen der US-Unternehmen derzeit so hoch, dass es in diesem Jahr zu einem Gewinnrückgang kommen könnte, wenn das Wachstum bei derzeit rund 2 Prozent verharrt und zugleich angesichts des angespannten Arbeitsmarktes die Produktionskosten steigen.

Erhöhte Risiken

Zweitens sind mit dem Umfang und der Zusammensetzung der Schulden des US-Unternehmenssektors – bedingt durch die Häufigkeit kreditfinanzierter Übernahmen, hoch verzinster Risikoanleihen (Junkbonds) und gefallener Börsenlieblinge, deren Anleihen von Investment-Grade auf nahezu Ramschstatus heruntergestuft wurden – erhöhte Risiken verbunden. Darüber hinaus leidet der Sektor für Gewerbeimmobilien unter Überkapazitäten, weil die Bauträger zu viel gebaut haben und der elektronische Handel die Nachfrage nach Ladenflächen reduziert hat.

Vor diesem Hintergrund könnte jedes Anzeichen einer Wachstumsverlangsamung bei Unternehmen, die im starken Masse mit Fremdkapital arbeiten, zu einem plötzlichen Anstieg der Kapitalkosten führen, und das nicht nur in den USA, sondern auch in den Schwellenmärkten, wo die Schulden zu einem erheblichen Anteil auf Dollar lauten.

Drittens dürften sich, falls das Wirtschaftswachstum in den USA Bestand hat, die Markerwartungen an eine anhaltend akkommodierende Geldpolitik seitens der Fed als unbegründet erweisen. Eine überraschend kommende Entscheidung der Fed, die Leitzinsen nicht zu senken, könnte daher eine Kurskorrektur bei den Aktien auslösen.

Viertens könnten auch die Hoffnungen auf eine Beilegung des chinesisch-amerikanischen Handelskrieges unbegründet sein. Selbst im Falle einer Einigung könnte der Konflikt erneut eskalieren, sofern eine der beiden Seiten vermutet, dass die andere ihren Teil der Vereinbarung nicht einhält. Und andere derzeit köchelnde Handelsspannungen könnten überkochen, etwa falls der US-Kongress das überarbeitete NAFTA-Abkommen der Trump-Regierung nicht ratifiziert oder falls Trump tatsächlich Einfuhrzölle auf europäische Autos verhängt.

Fünftens ist das Wachstum in Europa sehr fragil und könnte durch eine Vielzahl von Faktoren beeinträchtigt werden. Das reicht von einem starken Abschneiden der populistischen Parteien bei den anstehenden Europawahlen bis hin zu einer politischen oder wirtschaftlichen Krise in Italien. Dies käme dann zu einem Zeitpunkt, an dem nur beschränkter Spielraum für geld- und fiskalpolitische Impulse in der Eurozone besteht und an dem die Integration der Eurozone zum Stillstand gekommen ist.

Politische Risiken in den Schwellenländern

Sechstens sind auch viele Schwellenvolkswirtschaften erheblichen politischen Risiken ausgesetzt, etwa (vom am wenigsten anfälligen bis zum anfälligsten Land) Mexiko, Brasilien, Argentinien, die Türkei, der Iran und Venezuela. Und Chinas jüngste Konjunkturimpulse haben dem ohnehin stark verschuldeten Unternehmenssektor noch zusätzliche Finanzrisiken aufgebürdet – und reichen womöglich noch nicht einmal aus, um dessen Wachstumsrate zu steigern.

Siebtens könnte Trump auf den Mueller-Report statt mit Vernunft mit Tamtam reagieren. Angesichts der für 2020 anstehenden Präsidentschaftswahlen könnte er seine Konflikte mit den Demokraten forcieren, neue Salven im Handelskrieg abfeuern, das Direktorium der Fed mit unqualifizierten Amigos besetzen, die Fed unter Druck setzen, die Leitzinsen zu senken oder wegen der Schuldengrenze oder der Einwanderungspolitik einen weiteren Regierungsstillstand herbeiführen.

Zugleich könnte die Strategie der Trump-Regierung gegenüber dem Iran und Venezuela die Ölpreise – die sich seit dem vergangen Herbst erholt haben – unter neuerlichen Aufwärtsdruck setzen, worunter das Wachstum leiden könnte.

Geringes Potenzialwachstum

Und schliesslich befinden wir uns noch immer in einer Welt mit geringem potentiellen Wachstum – einer durch hohe private und öffentliche Schulden, wachsende Ungleichheit und erhöhte geopolitische Risiken getragenen «neuen Mittelmässigkeit». Die weit verbreitete populistische Gegenreaktion auf Globalisierung, Handel, Migration und technologische Entwicklung wird fast mit Sicherheit irgendwann negative Auswirkungen auf Wachstum und Märkte haben.

Während sich die jüngste Liebesaffäre der Anleger mit den Aktienmärkten also in diesem Jahr fortsetzen könnte, wird das eine wankelmütige und schwankungsanfällige Beziehung bleiben. Eine Anzahl von Enttäuschungen könnten eine neuerliche Phase der Risikoscheu und womöglich eine steile Marktkorrektur auslösen. Die Frage ist nicht, ob das passieren wird, sondern wann.

Nouriel Roubini ist CEO von Roubini Macro Associates und Professor für Ökonomie an der Stern School of Business der New York University. Aus dem Englischen von Jan Doolan. Copyright: Project Syndicate, 2019.