Es gibt derzeit wohl keinen Politiker, der staatsmännischer auftritt als Xi Jinping. Der chinesische Regierungschef wirkt bereits wie der Repräsentant der grössten Volkswirtschaft der Welt. Noch sehen die Zahlen die USA vorn, doch China rückt unaufhaltsam näher und wird die Vereinigten Staaten in den kommenden Jahren mit grosser Wahrscheinlichkeit als Wirtschaftsweltmacht überholen.

Die USA konnten sich im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg unter anderem mithilfe des Marshall-Plans als einzige Weltmacht etablieren. Der Brückenkopf Europa – und die Insel Japan – im geopolitisch wichtigen Wirtschaftsraum Eurasien war dafür von entscheidener Bedeutung. China hat nun ebenfalls Pläne für Eurasien – allerdings weitreichendere als damals die USA. Am «Belt and Road»-Forum in Peking im Mai dieses Jahres wurden sie konkretisiert. Hundert Staaten nahmen teil, beinahe dreissig Regierungschefs erschienen persönlich und wollten sich über das Mammutprojekt «One Belt, One Road» informieren.

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900 Milliarden für neue Seidenstrasse

Insgesamt will das Reich der Mitte 900 Milliarden Dollar in eine neue Seidenstrasse investieren. Entstehen soll ein weitverzweigtes Netz von Land-, See- und Luftwegen, entlang deren modernste Logistikinfrastruktur errichtet wird. Europa, Afrika und Asien werden so näher zusammenrücken. Das Projekt beeindruckt, sogar der amerikanische Politikwissenschafter Francis Fukuyama lobt: «Der Zweck von ‹One Belt, One Road› besteht darin, industrielle Kapazitäten und Konsumnachfrage in Ländern ausserhalb Chinas aufzubauen. Anstatt Rohmaterial zu verarbeiten, versucht China seine Schwerindustrie in weniger entwickelte Gebiete zu verschieben und macht diese dadurch reicher und schafft Nachfrage für chinesische Produkte.»

Für Frontier-Märkte sind das gute Nachrichten, denn sie werden massiv von Chinas Marshall-Plan profitieren. Oliver Bell, Portfoliomanager von T. Rowe Price, hat die «Handelszeitung» mitgenommen auf die Reise entlang der neuen Seidenstrasse.

Vietnam: Fast zu viel Optimismus

Unsere erste Station ist Vietnam. Bell, der sich seit vielen Jahren in Frontier-Märkten, dem Nahen Osten und Afrika bewegt, erklärt: «Bereits seit fünf Jahren steht die Wirtschaft auf einem sehr stabilen Fundament. Getragen wird dieses von der exportorientierten Volkswirtschaft – 1,1 Prozent trägt Vietnam zum weltweiten Exportvolumen bei.» Dieser Eindruck bestätigt sich, wenn man sich im Land umschaut – es hat sich zu einem Fabriken-Hub entwickelt mit Schwerpunkt Elektronikindustrie. Eine andere Stütze für Prosperität sind die nicht abebbenden Direktinvestitionen ins Land. Und auch im Bankensystem tut sich etwas. Bell meint: «Die Probleme der Vergangenheit sind angepackt worden. Heute ist das Finanzsystem ehrlicher und sauberer.» T. Rowe Price setzt auf die Aktien Military Commercial Joint und Bank for Foreign Trade.

Zuletzt positionierten sich Bell und sein Team etwas zurückhaltender. Der Grund ist der allgemeine Optimismus der Finanzgemeinde bezüglich Vietnam. Der Konsens gewichtet das Land im Frontier-Markt-Universum höher als andere Länder. Und seit es für ausländische Investoren einfacher geworden ist, sich an vietnamesischen Unternehmen zu beteiligen, ist die Nachfrage in den Himmel gestiegen. Das hat insbesondere die Kurse der Beteiligungen von T. Rowe Price an Vietnam Dairy Products und DHG Pharmaceuticals angetrieben. In der Vergangenheit war die Inflationsentwicklung ein aussagekräftiger Indikator, ob der Markt heiss läuft. Doch noch scheint von dieser Seite keine Gefahr zu drohen. Die Teuerung steigt zwar, liegt aber immer noch unter 5 Prozent. Das ist noch kein Grund zur Sorge. Und auch währungsseitig droht kein Schock. Die Zentralbank achtet darauf, dass der Dong nicht zu stark wird.

Sri Lanka: Grosse Investitionen geplant

Nach einer Zwischenlandung in Bangkok und mehreren Stunden Flug landen wir in Colombo, gegenwärtig der Lieblingsmarkt von Bell. «Das ist unser grösstes Übergewicht im Bereich Frontier-Märkte», sagt er. Sri Lanka profitiere besonders von seiner geografischen Lage im eher stabilen Zentrum der indisch-australischen Platte. Hinzu kommt die Küstenlinie, die von Tiefwasser umgeben ist. Das prädestiniert Sri Lanka im Gegensatz zu Indien für den Bau von Grossseehäfen. Drei an der Zahl sind es auf der Insel.

In der De-facto-Hauptstadt Colombo befindet sich der grösste der drei Häfen. Die Regierung, die Chinesen und die John Keells Holding, das grösste kotierte Konglomerat des Landes, betreiben je ein Quai. Zwei zusätzliche Quais sollen in naher Zukunft gebaut werden. Betreiber dafür zu finden, dürfte nicht schwierig sein. Bell vermutet, dass es sich um Inder handeln wird.

Überhaupt versucht sich Indien gegen den wachsenden Einfluss von China in Sri Lanka zu stemmen – gefürchtet wird vor allem die strategisch-militärische Macht. Den finanziellen Mitteln Chinas hat Indien wenig entgegenzusetzen. China hat in den vergangenen Jahren Milliarden in Sri Lanka investiert. Jüngst wurde ein Vertrag über 1,1 Milliarden Dollar unterzeichnet, der China den Ausbau und den Betrieb des südlichen Grosshafens in Hambantota zusichert. Dabei handelt es sich um ein Schlüsselprojekt der «One Belt, One Road»-Initiative.

Der Bauboom in Sri Lanka hat erst begonnen und dürfte mehrere Jahre dauern. Denn nicht nur China treibt Vorhaben voran, sondern auch die Regierung und Private haben grosse Pläne. Ein naheliegender Nutzniesser wird Tokyo Cement sein, der grösste Zementkonzern Sri Lankas mit einem Marktanteil von 32 Prozent. Und Access Engineering steht ebenfalls gut da. Bell gefällt hier vor allem, dass die Gesellschaft Projekte sehr sorgfältig auswählt und nicht nur auf Wachstum aus ist.

Bangladesch: Stabiler als vermutet

Wer sich in der Region befindet, sollte unbedingt Bangladesch besuchen. Das Land hat einiges zu bieten – auch wenn wir in unseren Breitengraden nur selten Positives aus der Hauptstadt Dhaka und aus dem Umland hören – die burmesische Flüchtlingskrise macht Schlagzeilen. Oder die verheerenden Überschwemmungen in diesem Jahr.

Umso erstaunlicher ist es, dass Bangladesch die vom IMF prognostizierten Wachstumsraten von 7,1 Prozent für 2017 und 7 Prozent für 2018 tatsächlich erzielen dürfte. Laut Bell sind die unverändert «gesunden» Exportvolumen dafür verantwortlich und Überweisungen von Bangladescher aus dem Ausland stützen den Binnenkonsum. Zudem zeige die Beschäftigungsrate weiterhin aufwärts – der Druck auf die Löhne bremse die positive Entwicklung noch nicht und die Urbanisierung schreite voran. Hilfreich sei zudem die herrschende politische Stabilität, das anziehende Konsumentenvertrauen und der Konjunkturoptimismus.

Für T. Rowe Price ist Bangladesch als Anlagethema etwas weniger wichtig als Vietnam und Sri Lanka. Vier Aktien hält der Frontier-Markt-Spezialist hier aber doch – zwei Banken (Brac Bank, Eastern Bank), mit Grameenphone ein Telco und eine kleine Beteiligung am Konsumgüterund Kekshersteller Olympic Industries.

Auf Grameenphone angesprochen, meint Bell, dass hier die Verlockung in der rasch steigenden Penetrationsrate von Smartphones liege. Aktuell beträgt die Durchdringung lediglich 25 Prozent. Ausgebaut werde das Datengeschäft und Grameenphone gewinne Marktanteile, im Gegensatz zu den Mitbewerbern.

«One Belt, One Road» wird für weit mehr Länder als die hier vorgestellten Konjunkturimpulse liefern. Auf der neuen eurasischen Landbrücke etwa für Kasachstan und Russland und, falls sich die politische Lage entspannt, auch in Iran. Das «Invest»-Ressort wird in loser Folge Anlagechancen in diesen Ländern vorstellen.