Was beschäftigt derzeit die Finanzmärkte?
Thomas Heller*: Im Fokus stehen nach wie vor die Notenbanken. In die Geldpolitik ist zuletzt wieder mehr Bewegung gekommen. Nach dem die Europäische Zentralbank (EZB) im Sommer einen «verbalen Regimewechsel» vollzogen hatte, lässt sie nun Taten folgen. EZB-Chef Mario Draghi verkündete am Donnerstag, dass das bis Ende Jahr angesetzte Anleihenkaufprogramm um neun Monate verlängert wird, das Kaufvolumen allerdings von derzeit 60 Milliarden Euro auf 30 Milliarden Euro reduziert wird.

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Derweil hat die US-Notenbank (Fed) diesen Monat damit begonnen, ihre in der Finanzkrise stark angestiegene Bilanz abzubauen. Die Anleger werden dabei genau verfolgen, ob die Wende ohne grössere Turbulenzen über die Bühne gehen wird. Im Dezember steht dann der dritte Zinsschritt in den USA in diesem Jahr an.

Und in Grossbritannien?
Auch die Bank of England steht in den Startlöchern für eine Zinserhöhung. Zumindest preist das der Markt aktuell ein. Ich erachte dies allerdings angesichts der politischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten in Grossbritannien für verfrüht. Insbesondere da die Inflation von derzeit 3 Prozent, das Hauptargument für einen Zinsschritt, erheblich von der Pfund-Schwäche nach dem Brexit geprägt ist. Dieser Effekt läuft langsam aus. Ausserdem präsentieren die Unternehmen momentan ihre Ergebnisse für das dritte Quartal. Darauf werden die Anleger ebenfalls mit Argusaugen schauen.

Wie wird sich die Schweizer Börse kurzfristig entwickeln?
Die Schweizer Börse bewegt sich bereits seit einigen Monaten per Saldo mehr oder weniger seitwärts. Dieser Trend dürfte vorerst anhalten. Und eigentlich rechne ich angesichts der schon lange anhaltenden Hausse und der hohen Bewertungen mit einem temporären Rücksetzer. Wann dieser genau eintreten wird, ist allerdings schwierig vorherzusagen.

Wo steht der SMI in zwölf Monaten?
Das Potenzial scheint aus obigen Gründen limitiert. Viel mehr als 9'300 Punkte liegen für den SMI wohl nicht drin. Immerhin gibt es in der Zeit zusätzlich zu den Kursgewinnen eine Dividendenrendite von gut 3 Prozent.

Die US-Notenbank soll einen neuen Chef erhalten. Was halten Sie von Favorit Jerome Powell?
Neben der Amtsinhaberin Janet Yellen gewährleistet Jerome Powell wohl am meisten Kontinuität in der US-Geldpolitik. In den gut drei Jahren seiner Fed-Zugehörigkeit ist er nicht durch starke Opposition gegen das vorherrschende geldpolitische Regime aufgefallen. Die Märkte könnten sich mit einem Fed-Chef Powell sicherlich sehr gut anfreunden. Er scheint derzeit tatsächlich der Favorit zu sein. Wobei man bei Donald Trump ja nie weiss …

Welche Weichen stellen sich mit der Neubesetzung der Fed-Spitze?
Es geht nicht nur um die Nachfolge (oder Bestätigung) von Janet Yellen an der Fed-Spitze. Es sind auch die Rolle des Vize-Chefs sowie zwei weitere Sitze zu besetzen. Und je nachdem, ob mehr Falken (Befürworter einer restriktiveren Geldpolitik) oder Tauben (Anhänger einer expansiveren Geldpolitik) im Gremium sitzen, gibt das der Fed-Politik schon ein anderes Gesicht. Insofern werden mit der Besetzung der vier Vakanzen die Weichen tatsächlich neu gestellt. Im Wahlkampf hatte sich Trump eher noch wie ein Falke gebärdet. Aber auch er weiss, dass er sich angesichts der hohen Staatsverschuldung, der geplanten Steuerreform (Mindereinnahmen) und des womöglich noch folgenden Investitionsprogramms (Mehrausgaben) höhere Zinsen gar nicht leisten kann. Diese Erkenntnis wird Trump bei den Nominationen im Hinterkopf haben.

Wie schätzen Sie Novartis’ Entscheid ein, vorerst an Alcon festzuhalten und auch einen Börsengang zu prüfen?
Er ist zumindest nachvollziehbar. Der Turnaround von Alcon ist noch nicht abgeschlossen. In den nächsten Quartalen ist mit weiteren operativen Fortschritten zu rechnen, was sich in einer höheren Profitabilität niederschlagen sollte. Novartis kann Alcon dann zu einem höheren Preis verkaufen oder an die Börse bringen. Eine sofortige Abspaltung drängte sich nicht auf.

Es bleiben noch zwei Monate im alten Jahr. Wie sollen Anleger den Endspurt nutzen?
Im Grunde sollten Anleger zum Jahresende hin nichts tun, was sie nicht auch sonst tun würden. Es gibt zwar gegen Ende eines Jahres Muster, die sich regelmässig wiederholen. Die Weihnachtsrally etwa. Oder dass Titel, die bereits gut gelaufen sind, zum Jahresende hin verstärkt gesucht sind, weil Vermögensverwalter sogenanntes «window dressing» betreiben - das heisst, sie wollen im Vermögensauszug die Börsenstars des abgelaufenen Jahres ausweisen. Man kann versuchen, solche Effekte auszunutzen, muss sich aber bewusst sein, dass der Erfolg alles andere als garantiert ist. In diesem Jahr könnte es ja genau anders laufen...

* Thomas Heller ist CIO und Leiter Research bei der Schwyzer Kantonalbank.

 

 

 

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