Fast alle CEO, die Bain & Company kürzlich weltweit befragt hat, gehen davon aus, dass sich die betrieblichen Abläufe infolge der Corona-Pandemie spürbar wandeln werden. Überraschend ist aber, dass 42 Prozent auch mittel- bis langfristig signifikante und systematische Veränderungen in ihren Unternehmen vornehmen wollen.

Schnellere Führungsmodelle und Entscheidungswege sind nun gefragt. Sie werden ebenso die Zeit nach Corona prägen. Statt rein langfristiger Budgetplanung ist kurzfristiges Denken und Agieren in Szenarien erforderlich. Die Arbeitswelt benötigt insgesamt mehr Flexibilität – Agilitätskonzepte erhalten so einen weiteren Schub.

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In einigen Fällen schnitten agile Teams nach unseren Beobachtungen im Lockdown sogar besser ab als zuvor. So entwickelte ein führender Konsumgüterhersteller innert zwei Wochen ein funktionsfähiges Dashboard zur Messung der Marketingausgaben. Das Tempo entsprach einer Vervierfachung der Teamproduktivität.

Rund 20 bis 30 Prozent der heutigen Büroarbeitsplätze könnten ins Homeoffice verlegt werden – ein Einschnitt für die Immobilien- und Baubranche. Entsprechend verändern sich die Anforderungen an Technik und Kommunikation. Firmen müssen in die Ausrüstung von Heimarbeitsplätzen investieren.

Die Schweiz wird sich gegenüber der Konkurrenz in Asien steigern müssen

Die Umsetzung digitaler Geschäftsmodelle erstreckte sich bis anhin oft über Jahre, jetzt werden sie in einem Bruchteil der Zeit realisiert. Viele der neuen Angewohnheiten werden bleiben. Ein Beispiel ist der Online-Kauf von Lebensmitteln, der im Lockdown anzog und sich laut Bain-Analysen bis 2025 in vielen Ländern verdoppeln wird. In puncto E-Readiness wird sich die Schweiz, vor allem gegenüber Asien, allerdings noch rasch steigern müssen.

«Es wird zu einer Deglobalisierung kommen.»

Der Trend hin zu immer grösseren und stärker verdichteten Metropolen schwächt sich indes ab. So hat Bain in einer Studie festgestellt, dass die sogenannten Distanzkosten seit Jahren sinken. Dagegen steigen die Kosten für urbanes Leben durch hohe Mieten oder überlastete Verkehrsnetze. Nicht zuletzt Technologien wie 5G ermöglichen es, dass wieder mehr Menschen aufs Land ziehen.

Der Lockdown hat Kreativität und Dynamik freigesetzt

Die Welt nach Corona wird ökonomisch fragmentierter sein – und durch die Pandemie wird es zu einer Deglobalisierung kommen. Mit Folgen für die Schweizer Wirtschaft, die von der hohen internationalen Vernetzung profitiert hat. Denn der Binnenmarkt ist begrenzt. Zudem schwächt der starke Franken die Wettbewerbsfähigkeit der Exportindustrie. Regierungen weltweit drängen darauf, bestimmte Schlüsselindustrien wieder im eigenen Land zu haben. Viele Unternehmen werden ihre Produktionsstandorte und Lieferketten überdenken müssen.

Die Lockdown-Erfahrungen werden zugleich den Megatrend Nachhaltigkeit beschleunigen. Immer mehr Kunden achten auf ESG-Kriterien. Mitarbeitende verzichten häufiger auf Geschäftsreisen und nutzen die virtuelle Kollaboration. Bereits seit Längerem setzen institutionelle Investoren auf Nachhaltigkeit. So erhielten 2019 laut Morningstar 300 ESG-orientierte Fonds viermal mehr Investorengelder als im Vorjahr. In Kürze wird Nachhaltigkeit eine unabdingbare Voraussetzung sein, um im Markt mitzuspielen.

Die Krise wird den Wandel in vielen Bereichen forcieren. Der Lockdown hat aber auch Kreativität und Dynamik freigesetzt. Beides kann dabei helfen, gestärkt in die Zukunft zu gehen. In der Wirtschaft wird sich so die Spreu vom Weizen trennen.

 

Thomas Lustgarten ist Chairman von Bain & Company in der Schweiz.

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