Chinas Immobilienmarkt kommt nicht zur Ruhe: Der hoch verschuldete Immobilienentwickler Evergrande hat in den USA Gläubigerschutz beantragt. Der chinesische Konzern hat grosse Probleme und löste bereits Ende 2021 eine schwere Krise in China aus. Die Sorgen um den chinesischen Immobilienmarkt verunsichern nun bereits die internationalen Finanzmärkte und lasten auf den Kursen im deutschen Leitindex Dax. Experten sehen aber allenfalls eine geringe Ansteckungsgefahr für die Immobilien- und Finanzmärkte im Westen.

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Evergrande hatte Schulden von über 300 Milliarden Dollar (gut 278 Milliarden Franken) angehäuft und gilt als das am höchsten verschuldete Immobilienunternehmen der Welt. Zinszahlungen konnten nicht mehr pünktlich geleistet werden. Im Januar 2022 kündigte das Unternehmen einen Restrukturierungsplan an. Er wurde über ein Jahr später im März präsentiert. Wie die britische «Financial Times» berichtete, sollen in diesem Monat Verhandlungen mit Gläubigern in Hongkong stattfinden.

Wie aus Gerichtsunterlagen hervorgeht, beantragte Evergrande am Donnerstag in Manhattan Gläubigerschutz nach Kapitel 15 des US-Insolvenzrechts. Damit will es sich in den USA vor Forderungen schützen, während anderswo die Verhandlungen weitergehen.

Krise dauert schon länger an

Der chinesische Immobiliensektor befindet sich seit geraumer Zeit in einer schweren Krise, für die Evergrande wegen seiner schieren Grösse zum Symbol geworden ist. Nicht nur profitgierige Immobilienentwickler, die unverhältnismässig und oft am Bedarf vorbei gebaut haben, sind für die aktuelle Situation verantwortlich.

Auch Peking trägt seinen Teil dazu bei. Denn bevor die Branche in Schieflage geriet, wurde sie mit harten neuen Regeln zum Schuldenabbau konfrontiert. Dutzende weitere Immobilienentwickler wurden seither in den Abgrund gerissen. Die allzu strengen Regeln wurden oft als Hauptursache der Krise angesehen. Inzwischen hat Peking die Vorschriften wieder etwas gelockert und Hilfe für die Branche signalisiert.

Doch viel Vertrauen ist verspielt, die Verunsicherung gross. Erst vergangene Woche stürzte das Unternehmen Country Garden an der Börse ab, nachdem es zwei Kuponzahlungen für US-Dollar-Anleihen verpasst hatte. Dabei galt der zweitgrösste Entwickler des Landes zuvor als relativ stabil. Zwar handelt es sich zunächst nur um Zinszahlungen in Höhe von 22,5 Millionen US-Dollar. Dennoch wurden sofort Erinnerungen an Evergrande wach, wo die Probleme ähnlich begannen.

Probleme springen auf andere Bereiche über

Die Krise wirkt sich auch auf andere Bereiche der Wirtschaft aus, da der Immobiliensektor in China immer eine wichtige Stütze des Wachstums war. Die chinesische Wirtschaft ist derzeit ohnehin angeschlagen. Die Erholung nach der Corona-Pandemie fällt schwächer aus als von der Regierung erhofft.

Mit Zhongrong International Trust scheint nun auch eine von Chinas berüchtigten «Schattenbanken» in ernsthafte Schwierigkeiten zu geraten. Dabei handelt es sich um Finanzunternehmen, die keine Banklizenz haben, aber im Auftrag von Investoren Geld anlegen - oft mit dem Versprechen hoher Zinszahlungen. Zhongrong soll in Liquiditätsschwierigkeiten geraten sein, weil es grosse Summen in den krisengeschüttelten Immobiliensektor investiert hat. Vor der Zentrale in Peking kam es bereits zu Protesten verärgerter Anleger.

Die Sorgen um Chinas Immobilienbranche dämpfen inzwischen auch die Stimmung an den Finanzmärkten. Beim Immobilienspezialisten Jones Lang La Salle (JLL) sieht man aber keinen Grund zur Panik. «Die Zahlungsunfähigkeit von Evergrande betrifft in erster Linie die Anleihegläubiger, die ihr Investment sehr wahrscheinlich abschreiben müssen», sagt Jan Eckert, Chef Capital Markets bei JLL für die Region Deutschland, Österreich und Schweiz. «Auch wenn die Summen gewaltig sind, die hier im Feuer stehen, so ist es angesichts der Grösse des globalen institutionellen Kapitalmarkts in jedem Fall verkraftbar.» Die Folgen für die Immobilienmärkte blieben auf die Märkte beschränkt, in denen Evergrande tätig sei. «Für Europas Immobilienmärkte erwarte ich keine negativen Folgen.»

Die Anleger sorgen sich zudem um eine Abkühlung der Weltwirtschaft. Die Gefahr für die globalen Kapitalmärkte gehe weniger von direkten Ansteckungsgefahren vom Immobilien- und Schattenbankensektor aus, sagt Björn Jesch, globaler Investmentchef bei der Deutsche-Bank-Fondstochter DWS. Vielmehr liege sie in der Geschwindigkeit, mit der die Stimmung gedreht habe: «Galt China zu Jahresanfang noch als Hoffnungsträger für das globale Wachstum dank Wiedereröffnungsphantasie, gilt das Land nun als Belastungsfaktor.«

Auch könne die Krise in Chinas Immobilienbranche Vorteile für Europa haben. So entlaste eine Abschwächung der Bautätigkeit die globalen Rohstoffmärkte und schwäche damit den Inflationsdruck, meint Jesch. Auch an hiesigen Baustellen könnte die Krise sich in niedrigeren Kosten bemerkbar machen: Eine schwächere Nachfrage aus China nach Rohstoffen wie Stahl und Glas könne nach langer Zeit der Knappheit und gestiegener Preise dazu beitragen, «die Zwänge, mit denen europäische Bauunternehmer konfrontiert sind, weiter zu lockern».

(awp/rul)