Ökonomen definieren eine Arbeitslosenquote zwischen 2 und 3 Prozent als Vollbeschäftigung. Nach dem britischen Ökonomen und Begründer der Makroöknomie John Maynard Keynes ist Vollbeschäftigung das Ziel staatlicher Wirtschaftspolitik. Allerdings bringt sie auch Probleme mit sich. 

In der Schweiz herrscht nun Vollbeschäftigung. Die Arbeitslosigkeit bleibt weiter auf einem tiefen Niveau – seit Mai liegt sie unverändert bei 2,4 Prozent, wie das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) vermeldet. Demnach waren Ende August knapp 108'000 Menschen arbeitslos gemeldet – ein Rückgang von mehr als 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Damit ist die Arbeitslosigkeit so tief wie seit zehn Jahren nicht mehr. «Hauptgrund für die sehr guten Arbeitsmarktzahlen ist der seit bereits längerer Zeit breit abgestützte Aufschwung der Schweizer Wirtschaft», sagt Alexis Körber, Leiter Macro Research am Basler Wirtschaftsforschungsinstitut BAK Economics.

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In diesem Jahr wird ein Wirtschaftswachstum von 2,4 Prozent erwartet. Der Arbeitsmarkt zieht entsprechend stark an, auch in jenen Branchen, die stark von der Frankenschwäche betroffen waren. Vor allem die Industrie hat sich erholt. Die Ökonomen bei BAK Economics rechnen mit einem minimalen Anstieg der Arbeitslosenquote auf 2,5 bis 2,6 Prozent im kommenden Jahr, denn der Beschäftigungszuwachs der vergangenen Monate komme langsam an seine Grenze. Zudem seien die konjunkturellen Risiken zuletzt aufgrund weltwirtschaftlicher Unsicherheiten gestiegen. 

Arbeitslosigkeit Schweiz
Quelle: Statista

Flexibler Arbeitsmarkt

Während sich die Nachbarländer zwar wirtschaftlich erholen, kämpfen Frankreich mit 9,2 Prozent und Italien mit 10,4 Prozent beispielsweise immer noch mit einer recht hohen Arbeitslosenquote.

Was macht die Schweiz besser als andere Länder? Vor allem trägt der deutlich flexiblere Arbeitsmarkt zur hohen Beschäftigung bei: Die Eintrittshürden sind niedriger, weil Schweizer Arbeitgeber einfach und schnell neue Arbeitnehmende einstellen können.

Gleichzeitig können Arbeitnehmende auch schneller entlassen werden als in Ländern mit strengeren Arbeitsmarktgesetzen. Doch zu Letzterem greifen laut BAK die Unternehmen eher selten. «Selbst während der Wirtschaftskrise 2009 und der Frankenstärke 2015 haben die meisten Firmen ihre Angestellten gehalten und stattdessen zu anderen Massnahmen wie Kurzarbeit gegriffen», sagt BAK-Ökonom Alexis Körber.

Verknappung der Arbeitskräfte

Dennoch gibt es Faktoren, die das Schweizer Erfolgsmodell mittelfristig eintrüben könnten: Durch die sinkende Arbeitslosigkeit wird das Arbeitskräftepotenzial knapper. Die gute Auftragslage in vielen Unternehmen und damit verbunden ein gestiegener Personalbedarf haben dazu geführt, dass viele Stellen unbesetzt sind. Gemäss einer Studie der Credit Suisse von Juni sind das 70'000 – vor allem im Dienstleistungssektor, aber auch in Industrie und Baubranche.

Um diese Lücke zu füllen, könnten Arbeitskräfte aus dem Ausland eingestellt werden. Stattdessen werden gewissen Branchen durch die strengere Erteilung von Arbeitsbewilligungen Fachkräfte entzogen, die in der Schweiz nicht ausreichend vorhanden sind. Am 1. Juli sind erste Massnahmen «gegen die Masseneinwanderung» in Kraft getreten, die aus der Abstimmung von 2014 resultierten. Seither sind Arbeitgeber verpflichtet, die regionalen Arbeitsvermittlungen über freie Stellen in Berufsgruppen mit einer Arbeitslosenquote von über 8 Prozent zu informieren. Ab 2020 gilt ein Schwellenwert von 5 Prozent für die Stellenmeldepflicht

Sinkende Zuwanderung

Die Zuwanderung ist in jüngster Zeit ohnehin gesunken. Das hat nicht nur mit den restriktiveren Bestimmungen zu tun, sondern auch mit der besseren wirtschaftlichen Lage in den wichtigsten Herkunftsländern in der EU, etwa Deutschland oder Südeuropa. Der Anreiz für Ausländer, in der Schweiz zu arbeiten hat dementsprechend abgenommen. Die Zuwanderung liegt derzeit um rund ein Drittel tiefer als in den zuwanderungsstarken Jahren 2007 bis 2016 .

Zuwanderung Schweiz

Zuwanderung in die Schweiz: Zahl der Personen seit dem Jahr 2000 (in Tausend).

Quelle: BAK Economics

Mit dem Fachkräftebedarf hat sich auch BAK Economics beschäftigt und stellt ein zunehmendes Ungleichgewicht am Arbeitsmarkt fest, da traditionelle Massnahmen wie Zuwanderung und Qualifizierung nicht mehr nicht mehr im benötigtem Umfang greifen. Der Fachkräftemangel wird sich weiter verschärfen, erwartet BAK-Ökonom Körber. «Allein schon aufgrund des demografischen Wandels und den mit der zunehmenden Digitalisierung weiter steigenden Anforderungen im Berufsleben.»

Allerdings tue die Schweiz nicht genug, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Neben der Beibehaltung des liberalen Arbeitsmarkts müsse das Arbeitskräftepotenzial gepflegt werden: Dafür sollte die Schweiz einerseits offen bleiben für qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland und andererseits Anreize für lebenslanges Lernen und berufliche Fortbildung schaffen, sowie auch in neue Technologien investieren.

Die Arbeitgeber sind ebenfalls gefragt: Neben einer angemessenen Vergütung sollten sie zunehmend Möglichkeiten für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Kinderbetreuungsangebote und flexible Arbeitszeiten bieten, um für Arbeitnehmende attraktiv zu sein.