Je mehr Frauen in Chefetagen aufsteigen, desto härter und zielorientierter wird der Führungsstil im Unternehmen. Zu diesem überraschenden Ergebnis kommt eine Untersuchung der internationalen Personalberatung Russell Reynolds Associates, die der «Welt am Sonntag» exklusiv vorliegt. In gemischten Führungsteams nimmt der Fokus auf gute soziale Beziehungen danach signifikant ab.

Das widerspricht der bisher herrschenden Meinung in der Diversity-Debatte. Danach werde mit dem Einzug weiblicher Chefs auch die Führung «weiblicher», sprich sozialer und verantwortungsvoller.

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Weniger Fürsorge für andere

Der Auswertung von Tiefeninterviews mit über 4300 internationalen Entscheidern zufolge ist das Gegenteil der Fall: Steigt der Frauenanteil in Führungsgremien über die kritische Masse von 22 Prozent, bricht das klassische Geschlechterstereotyp auf. Dann kümmern sich Frauen stärker um ihre eigene Karriere und nähern sich in Sachen Durchsetzungskraft und Härte ihren männlichen Kollegen an. Die Fürsorge für andere und die Beziehungspflege dagegen nehmen messbar ab und das sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen.

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«Dadurch wird die Managerwelt härter», sagte Studienautor Joachim Bohner, Assessment-Experte von Russell Reynolds, der «Welt am Sonntag». Dafür würden alle miteinander fokussierter, kämpferischer und damit auch erfolgreicher. «Frauen und Männer an der Spitze nähern sich dem Idealtypus des 'General Managers' an», so Bohner.


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Keine Scheu vor härteren Entscheidungen

Dieser Typus ist nach Ansicht der Personalberater am besten gerüstet für unsere dynamische Zeit, in der sich Märkte und Anforderungen an Unternehmen mit so rasanter Geschwindigkeit verändern wie nie zuvor. «Dieser hat eine hohe Leistungsorientierung, gepaart mit der Kraft und der Fähigkeit, Menschen emotional mitzunehmen, scheut aber auch nicht vor härteren Entscheidungen zurück, wenn diese in Transformationsprozessen nötig sind.»

Für die Managerinnen in aller Welt ist die Überwindung der klassischen Geschlechterrollen «ein Befreiungsschlag», davon ist Bohner überzeugt. «Sie können ihren Exotenstatus abschütteln und einfach nur Führungskräfte sein», sagt der promovierte Psychologe. Frauen werde nicht mehr allein aufgebürdet, mit ihrer vermeintlich höheren emotionalen Intelligenz auch noch die sozialen Probleme in den Teams zu lösen. «Dadurch haben sie endlich gleiche Chancen, in ihrem eigentlichen Job erfolgreich zu sein, wie männliche Manager.»

Kaum mehr signifikante Unterschiede

Berater von Russell Reynolds haben anhand von 48 Dimensionen, etwa abstraktes Denken, menschliche Wärme oder Angstgefühl, sogenannte psychometrische Profile von Topmanagerinnen und Topmanagern aus 25 Ländern erstellt. Diese haben sie nach Ländern mit geringem, mittlerem und hohem Anteil weiblicher Führungskräfte sortiert.

Einmal in grösserer Zahl in Topjobs angekommen, unterscheiden sich Männer und Frauen der Studie zufolge kaum mehr signifikant in ihren Charaktereigenschaften. «Dann werden die Persönlichkeitsunterschiede von Mensch zu Mensch wesentlich relevanter als die Unterschiede zwischen Mann und Frau», erklärt Bohner.

Dieser Text ist zuerst in unserer Schwesterpublikation «Die Welt» unter dem Titel «Frauen verlieren als Chef Sozialkompetenz» erschienen.