Martin Taylor ist ein Mann der klaren Worte. Er ist Präsident des zwölfköpfigen Verwaltungsrates des Agrarchemieunternehmens Syngenta, in dem zwei Frauen vertreten sind. Die Tatsache, dass tendenziell vorsichtigere Frauen im Arbeitsleben eine immer grössere Rolle spielten, erklärte Taylor am St.Galler Management-Symposium, werde sich auf das Risikoverhalten auswirken.

Noch entspricht die Analyse des Briten nicht der Realität. Gemäss Seco haben in der Schweiz 20 Prozent aller Arbeitnehmer eine Frau als Vorgesetzte. In der Europäischen Union liegt dieser Wert bei 29  Prozent. Der Anteil der Chefinnen von Schweizer Firmen stagniert, während er in unseren Nachbarländern langsam ansteigt.

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Männliche Spielregeln besser verstehen

Dass trotz verbesserter Rahmenbedingungen, konkreter Unternehmensinitiativen und Quotendiskussionen hierzulande noch immer viele ambitionierte Frauen im mittleren Management stecken bleiben, wird gerne archaischen Geschlechterprägungen zugeschrieben. Es wird häufig argumentiert, die tendenziell beziehungsorientierten, konfliktscheuen, angepassteren Frauen könnten sich in den normgebenden, hierarchie- und statusbetonten Männerrunden zu wenig durchsetzen.

«Es ist notwendig, die männlichen Spielregeln zu verstehen», bestätigt Tanja Weiher. Die einstige UBS-Kaderfrau und Unternehmensberaterin bringt in ihrem Mentoring-Programm Wirtschaftskapitäne mit Kaderfrauen zusammen. Mit dieser individuellen Förderung will sie ohne staatliche Regulatorien den Frauenanteil in Top-Positionen erhöhen. Die ausgewählten Frauen werden gezielt vernetzt und auf Positionen im obersten Management vorbereitet.

Ihr Programm inspiriert die Beteiligten beiderseits. «Der Umgang mit weiblichen Führungskräften ist in der heutigen durch Männer dominierten Führungswelt noch zu wenig geübt», hält etwa Mentor Calvin Grieder, Chef der Bühler Gruppe, fest. Er erwarte daher einen gegenseitigen Austausch. «Was Frauen brauchen, sind starke Netzwerke, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Personen, die sie gezielt fördern», sagt Mentee Katrin Koch, Managing Director bei der UBS.

Die Wirtschaft habe nun die letzte Chance, selber Frauen zu fördern, bevor die Politik regulierend eingreift, meint Norbert Thom. Allerdings glaubt der kürzlich emeritierte Professor am Institut für Organisation und Personal der Universität Bern nicht daran, dass Frauen den Führungsstil revolutionieren werden, sobald sie in diesen Netzwerken Einsitz nehmen. «Wenn mehr Frauen im Top-Management vertreten sind, wird nicht das Paradies kommen. Der Führungsstil wird nicht sozialkompetenter. Frauen werden auch hart durchgreifen und Leute entlassen.» Wenn eine Mehrheit von Frauen führe, werde es auch Rivalitäten und Ressourcenkämpfe geben. Am Ende müssten nämlich auch bei den Frauen die Ergebnisse stimmen. Gleichwohl dürfte es einen Wandel geben. «Der Ton wird sich ändern, Frauen werden besser zuhören, schonender auftreten im direkten Kampf.»

Bei aller Nüchternheit steht Thom für Diversität in Führungsetagen ein. Es brauche Männer und Frauen mit unterschiedlichen Lebenserfahrungen. «Das Schlimmste wäre eine Führungscrew mit Leuten aus der gleichen Schulklasse.» Frauen bringen laut Thom andere Perspektiven ein, etwa jene der Konsumenten.

Um diese zusätzlichen Perspektiven geht es den Vertretern des Diversitätsmodells. Sie messen die Effektivität aller Beiträge nicht mehr am männlichen Standard. Vielmehr betonen sie den ökonomischen Nutzen und die Notwendigkeit der Vielfalt. «Ich habe die Erfahrung gemacht, dass gemischte Gremien breiter diskutieren. Mit Frauen wird die Themenbreite grösser», erklärt Wirtschaftspsychologe Alexander Unseld aus Speicher. «Da man sich im Team vertiefter mit zusätzlichen Themen auseinandersetzt, steigt die Wettbewerbsfähigkeit», glaubt Unseld.

Genau deshalb brauche es vermehrt Frauen an der Führungsspitze, ist Regula Dietsche, Co-Leiterin des Diversity Center am Institut für Führung und Personalmanagement der Universität St.Gallen, überzeugt. «Nicht um Quoten erfüllen zu können und schon gar nicht, um die altbekannte Frauenfrage erneut aufzuheizen. Vielmehr um durch gemeinsame Lernprozesse auf den Teppichetagen achtsamkeitsbasiertes Innovationspotenzial zu üben, zu leben und dadurch den komplexen Märkten gerecht zu werden.»

Dietsche ist überzeugt, dass im Miteinander die grössten Chancen liegen. «Wo reine Männergremien hinführen, haben wir oft genug gesehen. Wo gemischte Teams hinführen, müssen wir noch vermehrt erproben», sagt die Organisationspsychologin und Innovationsmanagerin. Die Chancen auf Erfolg stünden gut, doch bräuchten derartige Prozesse Zeit. «Erst wenn die internen Führungsgrundsätze auch der Haltung an der Bar nach dem zweiten Bier entsprechen, werden letztlich vermehrt Frauen Fuss fassen können», glaubt Dietsche. Diesen systemischen Ansatz fordert sie für alle involvierten Disziplinen. «Was die Weightwatchers in Bezug auf Gewichtsreduktionen hinkriegen, muss die Psychologie in Bezug auf die Stereotypenreduktion erst noch erfinden.»

Neue Physik als Vorbild

Als Vorbild nennt die Diversity-Expertin die Neue Physik, welche die Wahrnehmung schult, das Ganze zu sehen. «Gefragt sind weniger Diskussionen über unsere Verschiedenheit als vielmehr die gelebten Erprobungen eines Plus-Summen-Spiels. Nur im Zusammenspiel von Verschiedenartigkeiten kann sich die Welt erhalten.» Dadurch werde die Welt nicht besser, aber nachhaltig anders.