Soll sich die globale Wirtschaft grundlegend wandeln, kommt der Finanzbranche eine Schlüsselrolle zu, da sie die Mittel verwaltet und kanalisiert, um diesen Wandel so effektiv wie möglich Wirklichkeit werden zu lassen. Nötig dazu ist strategisches Denken, eine enge Zusammenarbeit aller Beteiligten und eine gehörige Portion Beharrlichkeit. Gefragt ist ausserdem eine solide Datenbasis, fundierte Fachkenntnis und idealerweise Enthusiasmus für das, was man tut.  

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Joseph Beuys hat es vorgemacht

Sicherlich fällt es auf den ersten Blick schwer, die Gemeinsamkeiten zwischen dem Werk von Joseph Beuys und dem Erstellen eines Transformationsratings zu erkennen. Doch auf den zweiten Blick wird dies schnell klar: Joseph Beuys wäre in diesem Jahr hundert Jahre alt geworden. Er galt lange Zeit als komischer Kauz, als exzentrischer Selbstdarsteller. Dabei werden seine Leistungen nicht nur für die Kunst, sondern auch für die Stadtgestaltung geflissentlich unterschätzt, wenn nicht übersehen – Beispiel «Stadtverwaldung» statt «Stadtverwaltung».
 

Über den Autor

Henrik Pontzen leitet seit Januar 2019 die Abteilung ESG im Portfoliomanagement der Union Investment.  

Zuvor war er Berater bei Capco sowie zehn Jahre in verschiedenen Funktionen für die HSBC tätig: Als Leiter der Institutional Client Group verantwortete er hier die produktübergreifende Betreuung deutscher Assetmanager. Davor betreute er Versicherungen und Assetmanager im Verwahrstellengeschäft der HSBC als Leiter Custody Sales und leitete das Business-Risk-Control-Management in Deutschland und in sieben weiteren europäischen Ländern.  

Seit 2016 ist Henrik Pontzen Vorstand der DVFA (Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management).    

Zur Documenta des Jahres 1982 liess Beuys 7000 Eichen im Kasseler Stadtgebiet pflanzen. Damit hat er zum einen das Erscheinungsbild der Stadt nachhaltig verändert. Zum andern hat er die Grenzen dessen ausgelotet, was machbar ist: Als Beuys im Vorfeld der Kunstaktion beim Kasseler Gartenbauamt anfragte, wie viele Bäume denn im Stadtgebiet noch gepflanzt werden könnten, sagten die Beamten: «Fünfzig.»  

Vision und Beharrlichkeit  

Fünf Jahre später, zum Abschluss des Projekts und kurz nach dem Tod des Künstlers, wurde der 7000. und damit letzte Baum gepflanzt. Beteiligt hatten sich über die Jahre diverse Künstler, Künstlerinnen und Prominente, aber auch Bürgerinnen und Bürger, die für 500 D-Mark einen Baum pflanzen konnten. Die Aktion nahm immer wieder Fahrt auf, fuhr sich aber gelegentlich auch fest, bevor zum Abschluss im Juni 1987 Wenzel Beuys, Sohn des Künstlers, den letzten Baum neben die erste, fünf Jahre zuvor gepflanzte Eiche setzte.  

Für das Gelingen des Projekts waren mehrere Faktoren entscheidend: eine Vision, eine Strategie und ein langer Atem, gepaart mit Pragmatismus und Flexibilität. Die Aktion war teuer und alles andere als durchfinanziert. Als im Laufe der Jahre wieder einmal das Geld ausging, flog Joseph Beuys nach Japan, um eine Whiskey-Werbung zu drehen. Das Salär von 400’000 D-Mark floss in das Kasseler Projekt.  

Lehren für das Assetmanagement  

Aus der monumentalen Kunstaktion lassen sich einige Lehren für das nachhaltige Assetmanagement ziehen. Grosse Ziele sind erreichbar, allerdings nur durch gute Planung und konsequent beharrliche Ausführung. Deswegen beginnt auch die Transformation für einen nachhaltigen Investor mit dem ersten Schritt – konkret: mit der Analyse, welche Daten und Informationen nötig sind, um die Transformationschancen eines Konzerns überhaupt erst beurteilen zu können.

HZ-Musterportfolios
Aktuelle Markteinschätzungen und Wissensbeiträge rund ums Investieren

Schliesslich lässt sich das Problem nicht damit lösen, dass Investorinnen und Investoren ihre Mittel jetzt auf die bereits nachhaltigen Konzerne konzentrieren. Vielmehr muss es darum gehen, Unternehmen zu identifizieren, die noch nicht nachhaltig sind, es aber werden wollen. Doch hier gilt es, die Spreu vom Weizen zu trennen. Die Behauptung ist das eine, der Beleg aber oft etwas völlig anderes. Daher benötigen wir eine Strategie. Wie gehen wir vor?  

Für unsere Transformationratings analysieren wir Unternehmen. Der Ansatz hat im Kern drei Dimensionen:  

  • ESG-Strategie: Ist sie überzeugend und ambitioniert? Setzt sich das Unternehmen langfristige Ziele sowie Zwischenziele?  
  • ESG-Investitionen: Wird entsprechend der Strategie systematisch in die Transformation des Geschäftsmodells im Sinne der Nachhaltigkeit investiert?  
  • ESG-Governance: Lassen Unternehmensführung und -kultur erwarten, dass an der Nachhaltigkeitsstrategie langfristig festgehalten wird? Stellt eine wohl ausgestaltete Corporate Governance die Transformation des Geschäftsmodells sicher?  

All das eröffnet natürlich viel Raum für Interpretation. Denn rein theoretisch kann jedes Unternehmen mit einem aktuell eher schlechten oder mässigen Nachhaltigkeitsstatus zum Transformationskandidaten werden. Faktisch scheiden jedoch einige Unternehmen aus, die ein unter bestimmten Nachhaltigkeitsgesichtspunkten besonders problematisches, auf ein negativ eingeschätztes Kernprodukt fokussiertes Geschäftsmodell haben, das sie von einem passablen ESG-Status ausschliesst.  

Die Mühe lohnt sich  

Um dem analytisch Rechnung zu tragen, muss in der Tat ein dickes Brett gebohrt werden: Zwar müssen dafür keine 7000 Eichen gepflanzt, aber viele Unternehmen unter die Lupe genommen werden. Und so, wie man nicht Birnen mit Äpfeln vergleicht, sollten auch beispielsweise Energieversorger nicht mit Softwareherstellern verglichen werden. Das bedeutet: Um aussagekräftige Vergleiche treffen zu können, benötigt man auch Kategorien pro Sektor.

Diese sind in der Regel qualitativer Natur, können aber durchaus auch quantitativer Natur sein, etwa bei Ausgaben für grüne Investitionen. Am Ende stehen im Schnitt sechs verschiedene Indikatoren pro Sektor, anhand derer in den vergangenen 18 Monaten rund 250 Kandidaten identifiziert wurden, die gute bis sehr gute Chancen auf eine erfolgreiche Transformation haben.  

Wirklich nachhaltige Unternehmen sind gefragt  

Die Auswahl dieser Unternehmen geht ohne Zweifel mit hohen Kosten und viel Mühe einher. Wie bei der Stadtverwaltung braucht es den strategischen Weitblick, ein motiviertes Team und viel Beharrlichkeit. Doch auch diese Aktion sollte sich gleichwohl lohnen: Aufgrund der regulatorischen Initiativen sind wirklich nachhaltige Unternehmen als Investitionsziele derzeit absolut gefragt. Sie werden an den Kapitalmärkten mit einer Prämie gehandelt, sind also recht teuer.

Wer als Investorin oder Investor frühzeitig Adressen identifiziert, die noch nicht grün sind, es aber werden wollen, kann heute mit einem Abschlag investieren, hat also höhere Ertragschancen.  

Die Letzten werden die Ersten sein  

Das ist gut für die Anlegenden, aber nicht nur für sie: Denn wir werden der grössten Herausforderung unserer Zeit, dem Klimawandel, nicht erfolgreich begegnen können, wenn wir nur in die nachhaltigsten, grünsten, saubersten Unternehmen investieren. Vielmehr gilt es, alle mitzunehmen, die sich auf den Weg begeben wollen und können. Der Hebel für die Einsparung von Treibhausgasemissionen ist schlicht viel grösser, wenn man einen braunen Konzern zum grünen umstrukturiert, als wenn man seine Mittel nur auf die grünsten konzentriert.  

Das hätte sicherlich auch Joseph Beuys eingeleuchtet. Schliesslich hat er für seine 7000 Eichen das Stadtgebiet ausgewählt – und nicht den Wald.