Mit einer koordinierten Reaktion der EU und der Nato in Form von Sanktionen wurden die russische Wirtschaft und wichtige Personen seit Beginn des Konflikts finanziell geschädigt. Doch wie sieht es mit den Auswirkungen auf die EU-Wirtschaft aus?    

Direkte wirtschaftliche Auswirkungen  

Der Krieg wirkt sich über verschiedene Kanäle auf die EU-Wirtschaft aus. Der Handel mit der Ukraine und Russland wird zurückgehen. Für die EU sind die Auswirkungen auf den ersten Blick relativ gering, da die russische und die ukrainische Wirtschaft nur etwa 1 Prozent des gesamten Handels ausmachen. Die viel wichtigere wirtschaftliche Verbindung zwischen der EU, Russland und der Ukraine besteht in der Einfuhr von Energie und Rohstoffen, insbesondere auch Agrarrohstoffen.  

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Der Ölpreis ist aufgrund der Befürchtung, dass die Ölversorgung aus Russland zurückgehen könnte, stark angestiegen. Der Preis für Gas ist jedoch viel schneller gestiegen, da es nicht so leicht umgeleitet oder ersetzt werden kann. Europa ist daher von russischen Gasimporten über verschiedene Pipelines abhängig. Das Risiko, dass diese Ströme unterbrochen werden, hat zu einem starken Preisanstieg geführt.    

Über den Autor

Jacob Vijverberg ist seit 2008 Mitglied bei Aegon AM. Er ist für die strategische Vermögensallokation, makroökonomische Analysen und Ertragsstrategien zuständig. Zuvor arbeitete er bei der ABN-AMRO Bank als Quantitative Risk Analyst mit Schwerpunkt Risikomodellierung. Vijverberg verfügt über 15 Jahre Branchenerfahrung, hat einen MSc in Experimentalphysik von der Universität Utrecht und ist CFA Charterholder.           ​

Russland hält Verträge ein    

Vorläufig fliessen die Gasimporte aber weiter. Ein erheblicher Teil davon beruht auf längerfristigen Verträgen, die Russland möglicherweise einhalten will, wie es dies auch während des Kalten Krieges getan hat. Russland hat 2021 rund 55 Milliarden Dollar mit Erdgas aus Pipelines verdient, was etwa 3 Prozent seines BIP entspricht. Und diese Zahl wird 2022 aufgrund deutlich höherer Preise wahrscheinlich noch steigen. Es besteht also ein starker finanzieller Anreiz für Russland, den Gasfluss aufrechtzuerhalten.    

Europa ist nach wie vor in hohem Masse von fossilen Brennstoffen abhängig, von denen es den grössten Teil importiert. Der grösste Teil des Erdgases wird von der Industrie und den Haushalten zum Heizen und zur Stromerzeugung verbraucht.    

Russische Gasabschaltung wird EU-Rezession auslösen    

Wenn Russland sein Gas abstellt, wird dies zu einer Rezession in Europa führen, da die energieintensive Produktion wahrscheinlich eingestellt werden muss. Schätzungen zeigen, dass die direkten und indirekten Auswirkungen eines hypothetischen 10-prozentigen Gasrationierungsschocks auf den Unternehmenssektor das BIP des Euro-Raumes um etwa 0,7 Prozent verringern würden. Obwohl solche Schätzungen nur eine Teilmenge aller möglichen Kanäle berücksichtigen, über die die Wirtschaft beeinträchtigt werden könnte, zeigen sie doch, dass die Wirtschaftstätigkeit auf einen Gasrationierungsschock empfindlich reagiert.    

Selbst wenn das Gas weiterfliesst, wird die europäische Wirtschaft erheblich beeinträchtigt, je nachdem, wie lange die Energiepreise hoch bleiben. Bleiben die Öl- und Gaspreise auf ihrem derzeitigen Niveau, wird das BIP den meisten Prognosen zufolge in den nächsten zwei Jahren um etwa 2 Prozent sinken. Auch die Inflation wird in diesem Fall bis Mitte 2022 auf 8 Prozent ansteigen. Diese Schätzungen sind jedoch aufgrund der vielen miteinander verknüpften Effekte in einem Stressszenario sehr unsicher.    

Der Lichtblick, die EU wird zum Handeln gezwungen    

Die EU bereitet eine Reihe von Massnahmen vor, um die Abhängigkeit von Energieimporten zu verringern. Dazu gehören der beschleunigte Einsatz von erneuerbaren Energien, Energiesparmassnahmen und die Gewinnung von LNG-Lieferungen. Ziel ist es, die Gasimporte um zwei Drittel zu reduzieren.

Das scheint ehrgeizig zu sein, aber durch die Umsetzung einer Kombination von Massnahmen, insbesondere durch mehr LNG-Importe, könnte die EU diesem Ziel ein gutes Stück näherkommen. Alle diese Massnahmen werden mit wirtschaftlichen Kosten verbunden sein. Zum jetzigen Zeitpunkt ist unklar, ob die EU mehr Schulden machen wird, um die beschleunigte Energiewende und die Erhöhung der Verteidigungsausgaben zu finanzieren.    

Schub für erneuerbare Energien    

Abgesehen von den offensichtlichen ökologischen Vorteilen von Investitionen in erneuerbare Energien sind diese auch aus wirtschaftlicher Sicht attraktiv. Vor allem im Vergleich zu den derzeitigen Preisen für fossile Brennstoffe werden mehr erneuerbare Energieträger Energie zu deutlich niedrigeren Kosten erzeugen. Dies bedeutet, dass sich die negativen Auswirkungen der hohen Energiepreise langsam umkehren werden, was zu einer besseren Handelsbilanz und einer Umkehrung des derzeitigen Kaufkraftverlustes führen wird.    

Insgesamt ist die Wirtschaft der EU zehnmal grösser als die russische Wirtschaft und die EU ist ganz gewiss in der Lage, sich von russischen Energieeinfuhren unabhängig zu machen. Dies, obwohl die kurzfristigen Kosten erheblich sind. Die langfristigen Aussichten sind dafür umso besser.    

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