Die Welt steht an einem Scheideweg: Die technologischen, wirtschaftlichen und politischen Hürden sind gefallen, damit netto keine Treibhausgase mehr in die Atmosphäre gelangen. Zu diesem Schluss kommt der Weltklimarat (IPCC) in seinem am Montag vorgelegten dritten Teil des sechsten Sachstandberichts.

278 Wissenschafterinnen und Wissenschafter aus 65 Ländern begutachteten für den Klimabericht über 18’000 wissenschaftliche Publikationen. Sie arbeiteten auf, wie man die Treibhausgasemissionen senken und den Klimawandel stoppen kann.

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Das Papier war in einem zweiwöchigen virtuellen Prozess mit Regierungsvertretern der 195 an der Klimakonvention beteiligten Staaten ratifiziert worden.

Treibhausgasemissionen so hoch wie nie zuvor

Die Weltgemeinschaft hatte sich im Pariser Klimaabkommen 2015 darauf geeinigt, die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen. Allerdings: In den Jahren 2010 bis 2019 waren die durchschnittlichen jährlichen Treibhausgasemissionen weltweit auf dem höchsten Stand in der Geschichte der Menschheit. Die gute Nachricht: Immerhin hat sich die Wachstumsrate verlangsamt.

Ohne sofortige und tiefgreifende Emissionssenkungen in allen Sektoren ist eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad nicht zu erreichen, so der IPCC-Bericht.

Wind turbines turn behind a solar farm in Rapshagen, Germany, Thursday, Oct. 28, 2021. Climate change is going to get worse, but as gloomy as the latest scientific reports are, including today‚Äôs from the United Nations, scientist after scientis…

Seit 2010 sind die Kosten für Solar- und Windenergie sowie für Batterien nachhaltig um bis zu 85 Prozent gesunken.

Quelle: keystone-sda.ch

Know-how und Instrumente sind vorhanden

Ermutigend sei, dass es immer mehr erfolgreiche Klimamassnahmen gibt, so die Wissenschafter im jüngsten Bericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses über Klimaänderungen (IPCC). Zudem kenne man heute die Instrumente und besitze das Know-how, um den Treibhausgasausstoss in allen Sektoren bis 2030 mindestens zu halbieren. Vorausgesetzt, dass jetzt gehandelt werde. 

Seit 2010 sind die Kosten für Solar- und Windenergie sowie für Batterien nachhaltig um bis zu 85 Prozent gesunken. Eine wachsende Zahl von Massnahmen und Gesetzen hat die Energieeffizienz verbessert, die Abholzung von Wäldern verringert und den Einsatz erneuerbarer Energien beschleunigt.

«Wir befinden uns an einem Scheideweg. Die Entscheidungen, die wir jetzt treffen, können eine lebenswerte Zukunft sichern. Wir haben die Instrumente und das Know-how, um die Erwärmung zu begrenzen», sagte der IPCC-Vorsitzende, der Südkoreaner Hoesung Lee. «Ich bin ermutigt durch Klimamassnahmen, die in vielen Ländern ergriffen werden. Es gibt Politiken, Vorschriften und Markt-Instrumente, die sich als wirksam erweisen. Wenn diese ausgeweitet und in grösserem Umfang und gerechter angewandt werden, können sie eine tiefgreifende Emissionsreduzierung unterstützen und Innovationen anregen», so Lee.

Symbolbild Elektroauto, der Akku wird im Freien an einem Regentag geladen, Ladestecker steckt im Fahrzeuganschluss E-Auto lädt im Regen *** Symbol image Electric car the Battery will in Free to a Rainy day loaded Charging plug lies in e Car loads in…

Die Elektrifizierung des Verkehrs muss schneller voranschreiten, damit die Klimaziele erreicht werden.

Quelle: imago/Martin Bäuml Fotodesign

Änderungen im Lebensstil mit Vorteilen

Um die globale Erwärmung zu begrenzen, sind umfassende Veränderungen im Energiesektor erforderlich. Dazu gehört eine erhebliche Verringerung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe, eine weit verbreitete Elektrifizierung, eine verbesserte Energieeffizienz und die Verwendung alternativer Brennstoffe (wie Wasserstoff).

«Wenn die richtigen politischen Massnahmen, Infrastrukturen und Technologien vorhanden sind, die eine Änderung unseres Lebensstils und unserer Verhaltensweisen zu ermöglichen, können die Treibhausgasemissionen bis 2050 um 40 bis 70 Prozent gesenkt werden. Dies bietet ein erhebliches ungenutztes Potenzial», sagte der Co-Vorsitzende der IPCC-Arbeitsgruppe III, Priyadarshi Shukla. «Die Forschung zeigt auch, dass diese Änderungen des Lebensstils unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden verbessern können», so Shukla.

Potenzial in Städten und für Gebäude

Städte und Gemeinden haben ebenfalls erhebliche Möglichkeiten zur Emissionsreduzierung, erläutert der Bericht. Diese können durch einen geringeren Energieverbrauch (z. B. durch die Schaffung kompakter, begehbarer Städte) erreicht werden, Elektrifizierung des Verkehrs in Kombination mit emissionsarmen Energiequellen und verbesserter Kohlenstoffaufnahme und Speicherung von Kohlenstoff durch die Natur.

Es gibt Optionen für etablierte, schnell wachsende und neue Städte. «Wir sehen Beispiele für Null-Energie- oder Null-Kohlenstoff-Gebäude in fast allen Klimazonen», sagte der IPCC-Co-Vorsitzende der Arbeitsgruppe III, Jim Skea. «Massnahmen in diesem Jahrzehnt sind entscheidend, um das Emissionssenkungspotenzial von Gebäuden zu nutzen.»

Neue Produktionverfahren für die Industrie

Die Verringerung der Emissionen in der Industrie erfordert einen effizienteren Materialeinsatz, die Wiederverwendung und das Recycling sowie die Minimierung von Abfällen. Bei Grundstoffen, einschliesslich Stahl, Baumaterialien und Chemikalien, befinden sich treibhausgasarme und treibhausgasfreie Produktionsverfahren in der Pilot- oder marktreifen Phase. Auf diesen Sektor entfällt etwa ein Viertel der weltweiten Emissionen.

Netto-null-Emissionen zu erreichen, wird eine Herausforderung sein und erfordert neue Produktionsverfahren, emissionsarme und emissionsfreie Elektrizität, Wasserstoff und, wo nötig, Kohlenstoffabscheidung und -speicherung.

Schweine stehen auf einem Bio-Bauernhof in einem Stall und stecken ihre Ruessel durch das Gitter. Lanke, 10.07.2017. Lanke Deutschland PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright: xThomasxTrutschel/photothek.netx

Pigs Stand on a Bio Farm in a Stable a…

In der Land- und Viehwirtschaft liegen noch Potenziale.

Quelle: imago/photothek

Land- und Forstwirtschaft können viel mehr leisten

Land- und Forstwirtschaft sowie andere Landnutzungsformen können in grossem Umfang zur Emissionsminderung beitragen und auch Kohlendioxid in grossem Umfang abscheiden und speichern. Allerdings kann dieser Bereich nicht die verzögerten Emissionssenkungen in anderen Sektoren kompensieren, so der Bericht.

Die richtigen Weichenstellungen könnten der biologischen Vielfalt zugutekommen, bei der Anpassung an den Klimawandel helfen und die Sicherung von Lebensgrundlagen, Nahrung, Wasser und einem ausreichenden Holz-Angebot ermöglichen, schreiben die Wissenschafter weiter.

Die nächsten Jahre sind entscheidend

Die Szenarien des Berichts, die eine Begrenzung der Erwärmung auf etwa 1,5 Grad ermöglichen, setzen voraus, dass die globalen Treibhausgasemissionen spätestens 2025 ihren Höhepunkt erreichen und bis 2030 um 43 Prozent reduziert werden. Gleichzeitig müsste auch der Methanausstoss um etwa einen Drittel reduziert werden.

Selbst wenn das erfolgt, ist es fast unvermeidlich, dass die Temperaturschwelle vorübergehend überschritten wird, sie aber bis zum Ende des Jahrhunderts wieder darunter liegt. «Wenn wir die globale Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzen wollen, heisst es jetzt oder nie», so Skea. «Ohne sofortige und tiefgreifende Emissionssenkungen in allen Sektoren wird das unmöglich sein.»

Die globale Temperatur wird sich stabilisieren, wenn die Kohlendioxidemissionen das Netto-null-Ziel erreichen. Bei 1,5 Grad bedeutet dies, dass die Kohlendioxidemissionen Anfang der 2050er Jahre weltweit auf null sinken; bei 2 Grad ist dies in den frühen 2070er Jahren der Fall.

Diese Bewertung zeigt, dass die Begrenzung der Erwärmung auf etwa 2 Grad immer noch erfordert, dass die globalen Treibhausgasemissionen bis spätestens 2025 ihren Höhepunkt erreichen und bis 2030 um einen Viertel reduziert werden müssen.

Investitionslücke schliessen

Bis zum Jahr 2030 müssten die Finanzflüsse laut IPCC in dem Bereich klimaschonender Technologien in allen Sektoren auf das Drei- bis Sechsfache steigen. Das Schliessen dieser «Investitionslücke» verspreche enorme Vorteile: Kalkuliere man die eingesparten Ausgaben für die Klimaschäden mit ein, könnten die Billionen-Investitionen in den Klimaschutz die globale Wertschöpfung «um allenfalls wenige Prozentpunkte» reduzieren.

(SDA/sas/ff)