Die neue Seidenstrasse ist ein Jahrhundertprojekt: Über den Landweg sollen Güter aus Fernost nach Europa rollen. Um die Kosten überschaubar zu halten, soll dafür die Trasse der Transsibirischen Eisenbahn genutzt werden, genauer der Transmongolischen, die China durchquert und Peking bei Ulan-Ude mit der Transsib und damit Moskau verbindet. Diese Trasse nutzt die russische Breitspur, auf der europäische Züge nicht verkehren können. Deshalb sollen die Gleise in Breitspur, die derzeit beim slowakischen Košice enden, weiter bis in den Raum Wien/Bratislava ausgebaut werden. Güterterminals dort würden die Waren weiter verteilen. Österreichs Bundesbahnen (ÖBB) wären das Bindeglied.

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Herr Matthä, müssen Sie jetzt auf Ihre späten Tage noch Russisch lernen?
(Lacht.) Nein. Ich kann immerhin «spasibo» sagen. Aber auch «ni hao» und «xiexie».

Hallo und danke auf Chinesisch. Schon vorbeugend für die Zeit, wenn die Bahn-Seidenstrasse fertig ist?
Genau. Wir sind häufiger in China zu Besuch, weil ja die Märkte vor allem in China liegen und wir entsprechende Kooperationsvereinbarungen brauchen.

Dass der Wirtschaftsraum Wien profitiert, sobald die Seidenstrasse hier ankommt, ist klar. Aber was verspricht sich die ÖBB wirtschaftlich davon?
Ich schicke mal voraus, dass die ÖBB Rail Cargo Group in Europa punkto Grösse die Nummer zwei ist – wir sind zwar ein kleines Land, haben aber eine sehr starke Güterbahn. Punkto Profitabilität sind wir übrigens die Nummer eins in der EU.

Was heisst das in Zahlen?
Wir schreiben einen Vorsteuergewinn auf Stufe EBT von gut 40 Millionen Euro. Das ist mir zwar zu wenig, aber wenn ich mir die anderen staatlichen Bahnen anschaue, die Verluste schreiben, ein gutes Ergebnis.

Wo also liegt der Mehrwert für die ÖBB?
Wir sind sehr stark auf die Märkte in Ost- und Südosteuropa orientiert, und wir haben eine lange Tradition von Verkehr aus Russland in den europäischen Raum hinein. Seit einigen Jahren verstärkt auch aus China heraus. Dieses Jahr werden wir mindestens 300 Züge aus China heraus organisieren, über unterschiedliche Routen. Wir sind aber auch stark in der sogenannten maritimen Seidenstrasse positioniert: etwa in Piräus oder Triest. In diesen Häfen kommt die Hauptmasse der Güter an und geht dann ins europäische Bahnnetz. Wir versprechen uns also höhere Gütermengen: Wir verstehen uns in Österreich als Logistikhub für Zentraleuropa.

Sehen Sie die ÖBB vor allem als Weiterlieferanten der Güter, oder wollen Sie auch selbst auf der Breitspur fahren?
Nein, dort haben wir Kooperationspartner. Die verantworten für uns auf der Breitspur Richtung Osten die Abwicklung und die Qualität der Transportdienste.

Der Eigenbauspieler

Andreas Matthä hat eine lange Karriere bei der österreichischen Staatsbahn ÖBB hinter sich: Der 55-jährige Betriebswirt und Brückenbautechniker startete 1982 beim ÖBB-Konzern, beaufsichtigte zunächst grosse Bauprojekte, stieg intern mehrere Stufen auf und avancierte vor zehn Jahren zum Vorstand des ÖBB-Teilkonzerns Infrastruktur. Im Juli 2016 schliesslich wurde er zum Vorstandsvorsitzenden (CEO) der übergeordneten ÖBB-Holding berufen – als Nachfolger von Christian Kern, der seinerzeit Regierungschef Österreichs wurde und dies bis Ende 2017 blieb. Matthä ist Mitglied der sozialdemokratischen Partei SPÖ, politisch aber nicht aktiv. Er ist verheiratet und hat eine Tochter.

Andreas Matthä
Quelle: Lukas Ilgner

Aufmerksamkeit hat die ÖBB in den Nachbarländern vor allem durch das Nachtzuggeschäft erregt …
… das ist eins meiner Lieblingsprodukte.

SBB und Deutsche Bahn (DB) können Nachtzüge offenbar nicht profitabel betreiben. Die ÖBB schon. Was machen Sie besser?
So sollte man das nicht formulieren. Durch die Längsstreckung Österreichs führen wir traditionell zwischen Wien und Feldkirch einen Nachtzug, der auch Autos mitnimmt. Diese Verbindung läuft sehr gut, weil es wenig Sinn macht, von Wien nach Feldkirch oder Bregenz mit dem Auto zu fahren – das ist wirklich nicht lustig. Wir haben auch schon immer einen Nachtzug nach Hamburg betrieben. Und so haben wir unser bestehendes Nachtnetz mit den neuen Destinationen verbunden, die wir von der Deutschen Bahn übernommen haben. Das waren rund 40 Prozent des deutschen Nachtzugverkehrs.

Und warum verdienen Sie mit Nightjets Geld, und die DB wirtschaftete tiefrot?
Wir können unsere Produktion optimieren, sodass wir nicht dieselben Kosten haben wie die DB. Wir fahren mit einer Garnitur vier Tage durch das Nachtnetz, erst dann ist dieser Zug in Wien zurück. Das bringt uns Kostenvorteile. Reich werden wir damit nicht, aber es ist ein schönes positives Ergebnis und ein Zeichen, dass wir österreichische Gastlichkeit im Ausland präsentieren wollen – auch in der Schweiz.

Wie läuft Ihre Nachtverbindung zwischen Zürich und Hamburg?
Sehr gut, wir sind hochzufrieden. Die Kooperation mit den SBB funktioniert gut.

Und Ihre eigenen Nachtstrecken in die Schweiz von Wien und Graz nach Zürich?
Die laufen super, die Auslastung ist sehr zufriedenstellend.

ÖBB Zug

ÖBB-Chef Andreas Matthä ist mit der Auslastung der Nachtverbindungen zufrieden.

Quelle: Ullstein/GettyImages

Sie hatten ein Fernbusprodukt namens Hellö, es im Sommer aber an Flixbus verkauft. Kapitulieren Europas Bahnen vor den Fernbussen?
Dort, wo die Infrastruktur modern ist und wir attraktive Fahrzeiten anbieten können, wie auf unserer Weststrecke zwischen Wien und Salzburg, da tut uns der Fernbus nicht besonders weh. Aber er saugt extrem preissensitives Publikum ab. Wo wir allerdings spüren, dass der Fernbus signifikant Marktanteile gewinnt, ist auf unserer Südstrecke von Wien Richtung Graz.

Was ist dort das Problem?
Unsere Bahntrasse ist dort 150 Jahre alt, unsere Fahrzeiten unbefriedigend lang. Wir modernisieren dort bis 2026 die Infrastruktur und werden damit unsere Marktposition deutlich verbessern.

Tut Ihnen der Hellö-Verkauf nicht weh?
Wir standen vor der Entscheidung, im Busgeschäft viel Kapital in die Hand zu nehmen, um den Markt aufzurollen. Aber wir haben dann entschieden, das Geld lieber in die Nightjets zu investieren. Finanziell sind wir mit einem blauen Auge davongekommen.

In der Schweiz beginnt die Konfrontation mit landesinternen Fernbussen erst, Bern hat gerade drei Strecken genehmigt. Was kann die Schweiz von Österreich lernen?
Die SBB haben ja eine herausragende Qualität, generell ist das Fahrplanangebot in der Schweiz sehr dicht dank dem integrierten Taktfahrplan. Der ist letztlich auch Vorbild für den österreichischen Taktfahrplan. Dieses Angebot ist generell schon ein guter Schutz, und ich glaube auch, Andreas Meyer …

… der SBB-Chef …
… wird mit guten Angeboten heftig dagegenhalten. Das sehr preissensitive Publikum, das in den Bussen sitzt, muss man eben als Teil des Wettbewerbs sehen und sich auf die eigenen Stärken konzentrieren: Qualität, Information, Bequemlichkeit, da hat der Zug zweifellos Vorteile.

Der integrierte Taktfahrplan der Schweiz ist eine Art landesweites S-Bahn-Netz. Das sieht die ÖBB als Vorbild? Ist das nicht ein Gegenmodell zu Ihren Nightjets und Railjets?
Die Schweiz hat durch ihre Landesstruktur die Chance, relativ kurze Strecken zu fahren. Wir haben versucht, diesen integrierten Taktfahrplan ein Stück weit zu übertragen. Wir modernisieren deshalb unsere Infrastruktur so, dass wir zu bestimmten Zeiten in den Taktknoten ankommen und dazu nachgelagert dann Regionalzüge und Busse abfahren lassen.

Gelingt das?
Ja. Wir setzen das teilweise sogar im Highspeedbereich um, das macht das Bahnfahren in Summe viel attraktiver. Deshalb sind die Züge auf der Weststrecke voll. Auf der Südstrecke eben noch nicht, obwohl dort gleich viele Menschen leben.

Auf Ihrer Weststrecke bietet der private Konkurrent Westbahn Zugreisen an, so etwas gibt es in der Schweiz bisher nicht. Wie kommen Sie mit diesem Gegner klar?
Weil Bahntickets in Österreich relativ günstig sind, ist es kein echter Preiswettbewerb, sondern eher ein Wettbewerb um Qualität, Service und Angebot. Der Wettbewerber fährt ja nur auf einem Streckenabschnitt, der sehr modern ist.

Westbahn

Privater Konkurrent: Westbahn.

Quelle: Westbahn

Zwischen Wien und Salzburg.
Hier kann man beobachten, dass unsere Züge wie auch die des Wettbewerbers voll sind. In Summe ist das Marktvolumen grösser geworden.

Haben Sie auf der Strecke letztlich Einbussen verzeichnet?
Dank dem Streckenausbau hat sich die Zahl der Reisenden deutlich erhöht, sodass die Züge beider Anbieter gut ausgelastet sind.

Verstehe. Etwas anderes: Warum kann die ÖBB flächendeckendes Handynetz und funktionierendes W-LAN in Zügen anbieten – die SBB aber nicht? Berge hat Österreich ja auch genügend.
Wir haben gemeinsam mit den Mobilfunkbetreibern 100 Millionen Euro ins Streckennetz investiert, und diese 100 Millionen beziehen sich nur auf die Hauptstrecken. Rund 70 Millionen haben wir, den Rest die Telefonfirmen bezahlt. Es ist in Europa einmalig, dass die grossen Mobilfunker zusammenspannen.

Was haben Sie mit dem Geld angestellt?
Die Zahl der Funkmasten entlang der Strecke deutlich verdichtet und in die Railjets Repeater eingebaut, sodass man im Zug telefonieren kann. W-LAN funktioniert schon seit einem Jahr.

Sie haben Andreas Meyer gerade angesprochen. Es gehört ja zur Folklore, dass Bahnchefs umstritten sind – er bisweilen auch. Wie ist Ihr Eindruck als Kollege?
Wir arbeiten hervorragend zusammen, und ich glaube auch, wir haben fachlich dieselbe Wellenlänge. Die ÖBB ist in vielen Punkten spitze in der EU, und in Europa sind nur die SBB noch besser. Man müsste wohl sagen: Gut, dass die Schweiz nicht in der EU ist (lacht).

Andreas Meyer

SBB-Chef Andreas Meyer.

Quelle: Keystone

Sie selber sind über 30 Jahre bei der ÖBB und jetzt Bahnchef.
Ja, ich bin, wie man bei uns sagt, ein Eigenbauspieler.

Jetzt stehen Sie als Bahnchef im Feuer. Wie nehmen Sie die Rolle wahr?
Die Eisenbahn lässt niemand kalt. Wir sind ein öffentliches Unternehmen. Wir fahren jeden Tag 6000 Züge, befördern 1,3 Millionen Passagiere. Wir haben jeden Tag die Chance, unsere Kunden zu überzeugen. Und das gelingt uns überwiegend.

Es gab immer wieder Krach zwischen ÖBB und SBB, weil die Railjets von Wien nach Zürich, wenn sie mit wenigen Minuten Verspätung in Buchs SG ankamen, dort lange warten mussten, bis sie sich in den Verkehr nach Zürich einreihen konnten. Wie ist die aktuelle Lage?
Wir kämpfen immer wieder mit Baustellensituationen zwischen Salzburg und Rosenheim, weil die deutschen Kollegen diesen Abschnitt modernisieren. Das macht uns Sorgen, weil wir dann die Pünktlichkeit, die wir von uns selbst fordern, nicht einhalten können. Und die Schweizer Kollegen sind sehr stringent, damit sie selbst ihre Fahrplanqualität halten können: Du hast einen Slot von acht Minuten, wenn du in dieser Frist nicht ankommst, verlierst du den Slot. Wir haben Massnahmen getroffen, sodass sich die Lage deutlich gebessert hat.

Haltepunkte beim Railjet gestrichen?
Das zum Beispiel, und wir haben mit den deutschen Kollegen einiges vereinbart.

Im Railjet von und nach Österreich sitzen auch Schweizer. Die SBB müssen doch ein Interesse haben, dass auch die pünktlich ankommen!
Die SBB müssen wegen ihrer Taktdichte schon stringent sein. Wir überlegen auch bei uns immer wieder, ob wir nicht in die Schweizer Richtung gehen müssen. Weil unser Bahnnetz fast genauso stark belastet ist wie das der Schweiz. Nur noch Holland kommt in Europa annähernd an dieses Level heran. Man kann also nicht allzu viel herumschieben, denn sonst wird der gesamte Bahnverkehr beeinträchtigt.

Sie haben tatsächlich Verständnis für die kompromisslose Haltung der SBB?
Ja, das tut zwar weh, aber ich verstehe es.

Das autonome Fahren auf der Strasse steht vor der Tür. Haben Sie Sorge, dass die wegen ihrer Infrastruktur teure Eisenbahn als Verkehrsträger abgelöst wird?
Platooning, die Verkettung von selbstfahrenden LKWs, wird ein Stück weit den Markt umgestalten, und das wird uns unter Kostendruck setzen, klar. Aber: Auch ein selbstfahrendes Auto steht am Schluss im Stau. Und was wir nicht vergessen dürfen: Die Bahn ist mit nahezu null CO2-Ausstoss die beste Klima-Alternative.

Sehen Sie Chancen in den neuen Technologien?
Ja. Wir könnten unsere Geschäftsmodelle verlängern, und zwar am Ende des Tages bis zur letzten Meile in der Logistik und im Personentransport: mit selbstfahrenden Mikrobussen und selbstfahrenden LKWs, die den Container zum Kunden bringen. Im Risiko steckt also auch die Chance.

Dirk Ruschmann
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