Der junge Mann mit der schmalen Brille war sichtlich nervös, als er im Scheinwerferlicht am Hauptsitz der Swatch Group sass. Mit leiser, zitternder Stimme erzählte er etwas von Meisterstücken der Uhrmacherkunst, schwadronierte über die nötige «Subversivität in der Führungsetage» und über seine Skepsis gegenüber Presse und Börse. So häufig, wie er sich verhaspelte, merkte man dem 33-Jährigen an, dass er in diesem Moment wohl an jedem anderen Ort der Welt lieber gewesen wäre als hier vor den Mikrofonen der Reporter. Es war der 6.  Mai 2004, und der Auftritt markierte einen Generationenwechsel im Familienkonzern: Erstmals berichtete nicht mehr Unternehmensgründer Nicolas G. Hayek sr. der Öffentlichkeit. Erstmals sass mit Marc Alexander Hayek sein Enkel an der Seite von Konzernchef Nick Hayek jr. auf dem Podium.

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Wer Marc Hayek heute trifft, erlebt einen ganz anderen Menschen: selbstsicher, ruhig, gefasst. Einer, der weiss, was er will und wovon er redet. Einer, der gleichzeitig Luxus verkörpert und Understatement ausdrückt. In seinen zehn Jahren an der Spitze von Blancpain hat sich aber nicht nur Marc Hayek gewandelt, sondern dieser hat auch die älteste Uhrenmarke der Welt (siehe die Blancpain-Historie unter 'Weitere Artikel') einem Wandel unterzogen.

«Die ersten Jahre waren für mich die Challenge, nichts zu verändern», sagt der inzwischen 39-Jährige. «Ich finde es das Schlimmste, wenn jemand kommt und allem eine neue Richtung gibt. Das ist eine Ohrfeige für den Vorgänger und die Marke.» Stattdessen ging es hinter den Kulissen zur Sache. «Ich hatte das Paket verkauft bekommen: Es lief alles, es musste aber gepusht werden», erinnert sich Hayek. «Und als ich das Paket aufmachte, musste ich feststellen, dass wichtige Teile fehlten.» Denn die Struktur der Firma mit Hauptsitz in Paudex VD und Manufaktur in Le Brassus VD hatte dem rasanten Wachstum der vorangegangenen Jahre nicht folgen können. Es gab Qualitätsprobleme bei der Fertigung und Mängel im Kundendienst. Ein IT-System existierte nicht, ein Mitarbeiter hatte das Wichtigste im Kopf, den Rest auf fliegenden Zetteln. «Im Prinzip bekam ich eine Mogelpackung», sagt Hayek. «Aber es war eine geniale Erfahrung: Ich habe gelitten und von allen Seiten aufs Dach bekommen.» Gleich der erste Händler, den er bei seinen Antrittsgesprächen am Basler Uhrensalon traf, polterte: «Ich baue auf Sie, das kann so nicht weitergehen!»

Um- und Aufbau. In den folgenden Jahren gestaltete Hayek die Produktionsabläufe neu, verbesserte die Qualitätskontrollen, baute einen Kundendienst auf, führte eine Planungssoftware ein und brachte die Distribution, die bislang über Agenten lief, in die Obhut der Swatch Group. Auch die Uhrenmanufaktur Frédéric Piguet integrierte er komplett.

Den Gestaltungswillen und Fleiss hat Marc Hayek von seinem Grossvater Nicolas Hayek, bei dem er aufwuchs, weil sich seine Eltern kurz nach seiner Geburt trennten. Der Firmengründer lehrte ihn Verantwortungsgefühl, die Abneigung gegen Börse und Banken und – schon als Kind – das Lesen von Bilanzen.

Seinem Onkel Nick, der im gleichen Haushalt aufwuchs, eiferte Marc nach wie einem grossen Bruder – «was er machte und hatte, wollte ich auch». Doch Marc ist anders als der Swatch-Group-CEO: logischer, zahlenorientierter, weniger impulsiv. «Nick hat dafür eine kreative Seite, die ich nie haben werde.» Und Marc sieht sich gar als grösserer Rebell als Nick, der mit Piratenflagge vor dem Bürofenster und Krawattenverweigerung kokettiert. «Er ist nach aussen der Rebell, so inszeniert er sich. Doch er wird langsam altersweise. Ich bin immerhin der, der noch im Rennauto sitzt!», sagt Marc Hayek.

Die Lust an der Provokation übernahm er jedenfalls von Nick: An der Basler Uhrenmesse baute Blancpain als Messestand ein Holzchalet zwischen all die noblen Glaspaläste. Beim Relaunch des Uhrenmodells Fifty Fathoms liess sich der Hobbytaucher in Thailand unter Wasser filmen – am Uhrmachertisch. Auch den direkten Führungsstil über mehrere Hierarchiestufen kopierte Marc Hayek – «eine Familienkrankheit», wie er sagt. Mit Delegieren tut er sich ebenfalls schwer. Als «kundenorientiert, offen, ideenreich, bescheiden» beschreibt ihn dafür Franz Türler, der in Zürich die zweitgrösste der weltweit 35 Blancpain-Boutiquen betreibt. «Als Verhandlungspartner ist er fair, ohne weich zu sein, er hat klare Vorstellungen und ist sehr geradlinig», sagt einer, der mit ihm geschäftet. «Ein angenehmer Mensch», heisst es unisono, wenn man Weggefährten über ihn befragt.

Marc Hayek als Blancpain-Chef zu installieren, war ein genialer Schachzug von Jean-Claude Biver. Der hatte die stillgelegte Marke während 18 Jahren wieder aufgebaut und trug damit stark zum Wiederaufschwung der mechanischen Uhr bei. Als Biver, gesundheitlich angeschlagen und von Querelen mit der Organisation zermürbt, im Jahr 2000 einen Nachfolger suchte, war es das Beste, einen Hayek zu wählen. So stellte Biver sicher, dass sein Baby im Familienkonzern weiter höchste Aufmerksamkeit genoss. Marc Hayek arbeitete damals als Gastronom in Zürich und hatte – abgesehen von zwei kurzen Stages bei Certina und Swatch – keine Ahnung von Uhren. Aber «er hatte Fingerspitzengefühl für Luxus, Interesse an der Marke und eine Unternehmerseele», erinnert sich Biver. Und vor allem hatte er den mächtigen Grossvater im Hintergrund, der eingreifen konnte, wenn etwas schiefzugehen drohte. In den ersten Jahren, so böse Zungen, sei Marcs wichtigstes Führungsinstrument denn auch die Telefonnummer des Seniors gewesen.

Heute ist das anders. Der jüngste Hayek hat sich den Respekt inner- und ausserhalb des Konzerns erarbeitet. Er habe viele Freiheiten, sagt er: «Aber so wie mich mein Grossvater geprägt hat, kann ich häufig gar nicht anders entscheiden, als er es tun würde.» Denn sosehr Marc Hayek sich anfangs zurückhielt mit Änderungen an der Marke, so sehr hat er das nun nachgeholt. «Als ich kam, hiess es: Understatement, Understatement, Understatement. Ich dachte mir, man kann mit Blancpain etwas weiter gehen.»

Etwa durch die Partnerschaft mit Lamborghini. Die italienische Sportwagenschmiede ist ein Bubentraum von Hayek. Doch es ist ein seltsames Duo, das sich da gefunden hat. Hier die Luxusuhr, im Markenkern dezent, elegant, unaufgeregt, im Design sehr klassisch. Dort der Brachialsportwagen, hypermodern, aggressiv, machohaft und mit futuristischem Kampfjet-Design. «Das ist genau das, was Blancpain gefehlt hat, um die Marke zu komplettieren», antwortet Hayek. «Das Yin und das Yang.» Tradition und Innovation zu vereinen, sieht er als seine Hauptaufgabe.

Also sponsert Blancpain die GT-Wettkampfserie Lamborghini Blancpain Super Trofeo. Hayek nimmt an den jährlich sechs Rennwochenenden selber als Fahrer teil und belegte letzte Saison immerhin Platz zwei. «Marc hat sich während der Saison unglaublich gesteigert», sagt sein Kollege im deutschen Team Reiter Engineering, der Profifahrer Peter Kox: «Bei den ersten Rennen wurden wir noch überrundet, in den letzten kämpften wir stets um den Sieg.» Fünf Millionen Franken über drei Jahre lässt sich Hayek den Spass kosten, 15 Prozent des Marketingbudgets von Blancpain. «Aber er erhält einen grossen Werbeeffekt dafür», sagt Rennstall-Chef Hans Reiter. Vater Roland Weber ist schuld an Marc Hayeks Rennfieber: Als der sechs Jahre war, schenkte er ihm ein kleines Motorrad, mit dem der Spross den Garten des Familiensitzes am Hallwilersee umpflügte. Später, mit 22, war Hayek Schweizer Meister im BMX-Fahren. GT-Rennen sind die logische Fortsetzung.

Blancpain, ist Konzernchef Nick Hayek überzeugt, hat in den letzten Jahren Positionierung, Botschaft und Identität verstärkt: «Die Marke hat sich gut entwickelt. Sie hat viel mehr Sauerstoff.» Puristen freilich kritisieren, Marc Hayek mute der Marke zu viel zu, drohe sie zu überdehnen. Die Uhr Saint-Valentin 2010 etwa könnte eins zu eins aus dem Produktkatalog von Piaget stammen. Die Neuauflage der Fifty Fathoms mit schwarzer Lünette ähnelt einer Breitling. Von den Uhren aus der Blancpain Women’s Collection mit Kautschukarmband, die wie eine veredelte Swatch wirken, «haben wir weniger verkauft, als wir uns vorstellten», gibt Hayek zu. Ein Ex-Kadermann, der noch zu Zeiten Jean-Claude Bivers tätig war, kritisiert: «Hayek hat sich verirrt, das entspricht alles nicht dem Blancpain-Geist. Wo ist da die gemeinsame DNA?»

Ziel verfehlt. Als «sehr dynamisch» bezeichnet Uhrenhändler Türler die Entwicklung der Marke. «Das gibt ein zweites Bein, auch eine zweite Kundschaft», sagt er: «Aber alteingesessene Kunden müssen sich erst daran gewöhnen.» Seine wirtschaftlichen Ziele hat Hayek bislang jedenfalls nicht erreicht. 2005 produzierte Blancpain 10  000 Uhren pro Jahr. «Mein Ziel ist, in drei Jahren auf 15  000 zu kommen», sagte Hayek damals. Heute ist er bei 12  000. «Ohne Krise wären es 16  000 bis 17  000.» In der Rezession musste die Marke einen Umsatzrückgang von 20 Prozent hinnehmen, weniger als der Branchenschnitt, mehr als der Konzernschnitt. Heute, schätzt die Bank Sarasin, dürfte Blancpain 167 Millionen Franken umsetzen. Damit ist sie hinter Breguet die zweitgrösste Luxusmarke im Konzern. Klar ist aber auch: «Die Marke hat noch Potenzial», wie es Türler ausdrückt.

Revival. Bereits hat die Nachfrage spürbar angezogen, besonders im wichtigsten Markt, China. 2010 soll schon so gut werden wie das Rekordjahr 2008. «Wenn wir danach erneut bei 20 Prozent Wachstum pro Jahr liegen, gefällt mir das», sagt Hayek. Das freilich hängt davon ab, wie gut er neue Märkte erschliessen kann, allen voran Indien. Als Fernziel, in fünf bis zehn Jahren, will er gar 20  000 Stück verkaufen. Und weiterhin, treu der Firmengeschichte, für uhrmacherische Highlights sorgen: Unter dem Projektnamen «1736» ist ein Nachfolger geplant für die «1735», einst die komplizierteste Uhr der Welt. «Sie soll mehr als nur ein Statusobjekt werden», verspricht Hayek – die Rede ist von Komplikationen im Baukastensystem.

Auch sonst hinterlässt der Zigarren- und Weinliebhaber seine Spuren: Er sitzt im Produktkomitee, das die gruppenweiten Neulancierungen koordiniert, und macht dort «sehr gute Arbeit» (ein anderes Komiteemitglied). In der Konzernleitung ist er zuständig für den Mittleren Osten und für Panama, von wo aus der Zukunftsmarkt Mittel- und Südamerika gesteuert wird. «Marc hat heute schon sehr viel Einfluss», sagt Konzernchef Nick Hayek: «Ich kann mir vorstellen, dass er mehr macht. Er hat grosses Potenzial.» Hayek sr. wollte ihn bereits bei Breguet stärker involvieren. Doch der Enkel wehrte ab: «Ich kann nicht hinstehen und Breguet verkörpern. Das geht nicht auf.» Auch Jaquet Droz wurde ihm nach dem Abgang von Manuel Emch angetragen (inzwischen kümmert sich Nick Hayek selber um die Nischenmarke).

Die Frage liegt auf der Hand: Wird Marc Hayek, verheiratet mit einer Kubanerin, seit einem halben Jahr Vater, eines Tages seinen Onkel Nick an der Konzernspitze beerben und so die – noch junge – Familientradition fortsetzen? «Es ist nicht mein deklariertes Ziel», sagt Marc Hayek diplomatisch. «Und auch nicht mein Entscheid. Aber wenn es so weit kommt: schön und gut.» Ein Dementi klingt anders. Und er setzt noch eins drauf: «Bräuchte es mich heute, stünde ich parat.»

Es wäre ein logischer Schritt. Dass Nick Hayek eines Tages für den Senior ins VR-Präsidium nachrückt, dürfte beschlossen sein. Seine kürzlich erfolgte Berufung in den Verwaltungsrat deutet darauf hin. Früher oder später ist dann auch der CEO-Posten wieder zu besetzen. Wer Hayek sr. kennt, weiss, dass sich dieser nichts mehr wünscht, als den Konzern noch fester in Familienhand überzuführen. Und dass er sehr grosse Stücke auf seinen Enkel hält. «Marc macht sehr gute Arbeit», sagt auch Nick Hayek.

Doch sein Meisterstück muss Marc Hayek erst noch leisten. Als bisher härtesten Entscheid bezeichnet er die Kündigung von Mitarbeitern, die am falschen Platz waren. Eine echte Bewährungsprobe steht noch aus. Vielleicht kommt sie in ein paar Jahren bei Omega. Markenchef Stephen Urquhart ist bereits 64, neben ihm kümmert sich Nick Hayek intensiv um die Marke. Kommt Marc Hayek dort eines Tages zum Zug und macht er seine Sache gut, wäre der Weg nach ganz oben frei.

Von dem einst so schüchternen und leisen Mann dürfte in der Uhrenwelt jedenfalls noch einiges zu hören sein.